Neue Gentechnik: Skalpell statt Schrotflinte
Ein neues biotechnologisches Werkzeug verspricht die Gentechnik zu revolutionieren. Was ist von diesem Versprechen zu halten?
«Eine Revolution überrollt gerade weite Bereiche der Lebenswissenschaften», verkündete die «Zeit» Ende November 2014: «Sie wird die Medizin verändern, die Landwirtschaft umkrempeln, unsere Ernährung bestimmen.» Gemeint ist das sogenannte Genome Engineering, ein neues biotechnologisches Verfahren, das zielgerichtete Veränderungen im Erbgut möglich macht. Es soll defekte Gene reparieren und neue Erbanlagen einfügen können – oder anders formuliert: Krankheiten heilen und Pflanzen mit erwünschten Eigenschaften erschaffen.
«Das ist Zukunftsmusik», sagt der Pflanzengenetiker Samuel Wüst vom Institut für Evolutionsbiologie und Umweltwissenschaften der Universität Zürich, der selber mit dem neuen Verfahren arbeitet. Aber der Grundlagenforschung verleihe das neue biotechnologische Werkzeug mit dem Namen Crispr-Cas9 in der Tat einen Kreativitätsschub, der mit der Erfindung des Computers vergleichbar sei.
Werkzeug präzis, Resultat weniger
Das Crispr-Cas9-System ist erstmals 2012 in einem wissenschaftlichen Fachartikel beschrieben worden; seit 2013 sind bereits über tausend Studien dazu erschienen. Im Wesentlichen handelt es sich um ein biotechnologisches Werkzeug, bestehend aus einer repetitiven Erbgutsequenz aus einem Bakteriengenom (Crispr), das mit einem Enzym (Cas9) verbunden ist, das Ribonukleinsäure (RNA) bindet. Mit diesem Werkzeug lassen sich spezifische Abschnitte auf dem Genom gezielt ansteuern und markieren, verändern oder herausschneiden.
Seine einzelnen Bausteine haben spezifische Funktionen. Die RNA funktioniert als Steuerung: Ausgestattet mit einer Sequenz, die spiegelbildlich ist zur avisierten Erbgutsequenz, leitet sie das Crispr-Cas9 zum entsprechenden Genomabschnitt. Dort kommt das Cas9 zum Einsatz: Es wird im Labor mit einer spezifischen Funktion ausgerüstet – Schneiden beispielsweise oder Kopieren – und kann so am Zielort ein Gen beschneiden, aktivieren oder unterdrücken.
Stellt man sich das Genom als Buch vor, entsprechen Gene einzelnen Wörtern darin. Musste man bislang in der Gentechnik nach dem Zufallsprinzip neue Wörter (Transgene) ins Genom einbringen und anschliessend in mühsamer Kleinarbeit die von ihnen verursachten Mutationen aufspüren, kann man mit dem neuen Werkzeug rasch und unkompliziert ein spezifisches Wort wie «Tisch» anpeilen und verändern – indem man zum Beispiel den Buchstaben «T» herausschneidet oder mit einem «F» ersetzt. «Jetzt haben wir ein Skalpell zur Verfügung», sagt Wüst, «wo wir früher nur mit der Schrotflinte auf das Genom schiessen konnten.»
Vom Ziel, dank Crispr-Cas9 neue Erbanlagen präzis einfügen zu können, ist man indes noch weit entfernt. Zumeist verlässt man sich in der Anwendung auf die Reparaturmechanismen der Zellen, doch die verlaufen nicht immer gleich und sind fehleranfällig. So kann es vorkommen, dass im Wort «Tisch» am Schluss nicht immer der Buchstabe «T» draussen ist, sondern mal das «i», mal das «Ti» oder auch das «s». Mit andern Worten: Mit Crispr-Cas9 hat man zwar ein Präzisionswerkzeug geschaffen, das Resultat lässt sich aber nicht zuverlässig reproduzieren. «Bis zur klinischen Anwendung beim Menschen ist es noch ein weiter Weg», sagt Samuel Wüst.
Keine transgene Pflanze mehr
Ausserdem warnt er vor einem allzu mechanistischen Verständnis der Genetik und damit verbundenen übertriebenen Machbarkeitsfantasien. Der trockenresistente und gleichzeitig äusserst ertragreiche Mais etwa dürfte noch lange ein Wunschtraum bleiben. «Trockenresistenz ist eine sehr schwierig zu manipulierende Eigenschaft», so Wüst. «Und was im Labor funktioniert, tut das noch lange nicht im Feld.» In der Ökologie richte man die Aufmerksamkeit viel stärker auf sogenannte Trade-offs in Pflanzen – was bedeutet, dass zum Beispiel eine erhöhte Trockenresistenz auf Kosten des Ertrags geht.
Im Gegensatz zu herkömmlichen Methoden der gentechnischen Manipulation können mit dem neuen biotechnologischen Werkzeug über Generationen stabile Veränderungen in einen Organismus eingefügt werden, ohne dass transgene Elemente zurückbleiben. Eine mit Crispr-Cas9 manipulierte Pflanze aus dem Labor unterscheidet sich am Schluss also in ihrer Biologie nicht mehr von Pflanzen in der freien Natur. Und das wirft eine ganze Reihe neuer rechtlicher und ethischer Fragen auf, zu denen eine gesellschaftliche Debatte geführt werden muss.