Ausstellung: Grüsse von der «MS Basilea»

Nr. 10 –

Von Schiffen, die auch Schweizer Geschichte schrieben und die Schweiz in die Seefahrts-, Handels- und Kolonialgeschichte verstrickten: Das Johann-Jacobs-Museum in Zürich lotet solche Beziehungsnetze aus.

Das Meer und die Metaebene: Die «MS Basilea» in einem Super-8-Film aus den sechziger Jahren. Still: Private Sammlung, Johann Jacobs Museum

Vom Schiff aus ist nicht viel zu sehen: Die Faltungen der Leinwand brechen die gefilmte Meersicht, die mehrere Beamer an die Wände des Ausstellungsraums werfen. Aus kleinen Boxen am Boden wummern Motorgeräusche, zu Füssen der zerklüfteten Leinwand liegen Bildschirme. Sie zeigen Szenen, die Besatzungsmitglieder des Schweizer Handelsschiffs MS Basilea aufgenommen haben: Büffel und Busse werden verladen; Haile Selassie, von 1916 bis 1930 Regent Äthiopiens und danach Kaiser von Abessinien, geht von Bord eines Kriegsschiffs; in einer Aufnahme der chinesischen Stadt Dalian zur Zeit der Kulturrevolution paradiert das Militär. Denselben Raum teilt sich die Installation mit militärhistorischen Amateurclips, Porzellanschüsseln mit kolonialen Motiven oder Plastikmodellen von Containerschiffen. Die Ausstellung «Ein Schiff wird nicht kommen» im Johann-Jacobs-Museum empfängt die BesucherInnen wie ein mediales Spiegelkabinett.

Ein Frachter stirbt

Vermutlich haben die Seeleute die Super-8-Aufnahmen für den Heimgebrauch gemacht. Knapp sechzig Jahre später flimmern sie in Endlosschleife über Screens im Museum, im Ensemble mit anderen zu Kunst arrangierten Zeitzeugen. Auch wenn die Texttafeln Hinweise liefern: Die inhaltlichen Kontinuitäten zwischen den Artefakten aufzudecken, überlassen die KuratorInnen Bettina Schuler und Adnan Softić weitgehend den BesucherInnen.

Wie erhellend diese kommentarlose Offenheit sein kann, lässt sich gut an einer Filmschleife zeigen: Die «Basilea» liegt vor Anker, auf Deck sind Besatzungsmitglieder mit nacktem Oberkörper, junge Frauen klettern über Strickleitern an Bord. Schnitt. Einer der Männer öffnet einer Frau den Reissverschluss ihres Kleids, in der anderen Hand hält er ein Bier – und grinst über ihre Schulter in die Kamera. Dieser Moment, in dem der vermeintlich neutrale dokumentarische Blick des touristischen Zeugen in den Blick des Komplizen kippt: Er brennt sich ein, weil er einen so unvorbereitet trifft.

Im Nebenraum ist es die Filmemacherin Hira Nabi, die mit «All That Perishes at the Edge of Land» die ZuschauerInnen zum Nachdenken bringt. Sie begleitet das Ende des Frachters Ocean Master auf einem Schiffsfriedhof in Pakistan, wo ArbeiterInnen unter prekären Bedingungen Schiffe zerlegen, um Holz, Stahl und andere Materialien zurückzugewinnen. Mitten hinein in das apokalyptische Ächzen dieser Demontage tönt plötzlich die Stimme des Frachters, der sich an einen der Arbeiter wendet: «In meiner Zerstörung liegt die Zerstörung von dir, der Umwelt, des Strands, des Meers.»

Der Arbeiter antwortet mit einer Klage über die ökonomischen Zwänge, die ihn von Karachi, weg von seiner Familie, hierhergebracht hätten, und über die Giftstoffe, denen er und seine Kollegen ständig ausgesetzt seien. «Irgendwann wird man vielleicht winzige Teile von mir in deinem Körper finden», antwortet das Schiff. In einem surrealen, libidinös aufgeladenen Dialog lernt man so etwas über destruktive Wechselwirkungen des globalen Warenverkehrs und Rohstoffkreislaufs.

Schiffbrüchige

Rückblende ins Jahr 1819, wo Théodore Géricaults Gemälde «Das Floss der Medusa» am Pariser Salon für einen Skandal sorgte. Die Darstellung von Schiffbrüchigen brach mit der für die Schiffsmalerei typischen Ikonografie des kolonialen Erfolgs – auslaufende Schiffe, Schiffe, die idyllisch vor Anker liegen, oder solche, die im Sturm heroisch den Kurs halten. Géricaults Schiffbrüchige hingegen treiben nach einem Unglück vor der Küste Senegals im Jahr 1816 auf einer aufgewühlten See, manche mit verstümmelten Beinen, andere vielleicht schon tot.

Fotos und Videoausschnitten, auf denen dieses historische Gemälde zu sehen ist, stellen die KuratorInnen Skizzen des Malers Dierk Schmidt zur Seite. Auf diesen ist ein Flüchtlingsboot zu sehen, das auf der Überfahrt von Indonesien nach Australien kenterte. Erneut stellt sich damit die Frage nach historischer Zeugenschaft und ihrer künstlerischen Bearbeitung. Während Géricault die Überlebenden für eine möglichst realitätsgetreue Darstellung befragen konnte, können Schmidts Abstraktionen auf einer schwarzen Aluminiumplatte auch als Versuch gelesen werden, die Unsichtbarkeit der Opfer darzustellen.

Auch ein Stockwerk höher werden die politischen und ökonomischen Verstrickungen hinter den ausgestellten Artefakten als semiotisches Netz den BesucherInnen zur individuellen Sinnproduktion angeboten. So etwa beim Ensemble aus Bialetti-Kaffeemaschine und einer Szene aristokratischer Gemütlichkeit mit kaffeetrinkender Dame, Schosshündchen und schwarzem Diener aus Porzellan. Oder in der Soundinstallation «Bibby Challenge», in der uns Ko-Kurator Adnan Softić verschiedene Stimmen hören lässt, die von schwimmenden Wohnblöcken in Hamburg erzählen, in denen Flüchtlinge des jugoslawischen Bürgerkriegs aufgenommen wurden und in denen Softićeine Zeit lang lebte.

Eine dieser Stimmen schwärmt, wie sehr ihr das multikulturelle Flair im Containerschiff gefallen habe. Eine andere erinnert sich an die feuchte Kälte, die im Winter um die Boote herrschte. Und eine dritte sagt diesen Satz, der hierzulande besonders hallt: «Der Staat ist kein Boot, und er schwimmt auch nicht im Fluss der Geschichte.» Während man ihn hört, fällt der Blick aus dem prunkvollen Salon der Villa, in der das Johann-Jacobs-Museum untergebracht ist, hinaus auf den See.

«Ein Schiff wird nicht kommen», Johann Jacobs Museum, Zürich, Dienstag, Samstag und Sonntag, noch bis Dienstag, 5. Mai 2020.