Finanzkapitalismus: Wenn Anleger Tote zählen
Mithilfe von Anleihen sollen in armen Ländern beim Ausbruch von Pandemien Menschenleben gerettet werden. Doch auch im Fall des Coronavirus dürften am Ende die Investoren die zynischen Wetten gewinnen.
Den ärmsten Staaten im Fall von Seuchen und Pandemien frühzeitig und umfassend helfen: So lautete das grosse Versprechen der Weltbank, als sie 2017 Pandemieanleihen auf den Weg brachte. Mit der globalen Verbreitung des Coronavirus sind diese Anlagevehikel in den Fokus einer breiteren Öffentlichkeit gerückt. Und damit auch die Frage: Halten die Wertpapiere tatsächlich, was sie versprechen?
Der Hintergrund für die Schaffung der Pandemieanleihen war die Erfahrung der Ebolaepidemie mit über 11 000 Toten in mehreren afrikanischen Ländern. Als sie 2016 für beendet erklärt wurde, kritisierte Jim Yong Kim, damaliger Präsident der Weltbank, das «kollektive Versagen» der Weltgemeinschaft. Zu langsam sei die Hilfe angelaufen, zu gering sei sie ausgefallen. Um Abhilfe zu schaffen, richtete die Weltbank die Pandemic Emergency Financing Facility (PEF) ein, einen Soforthilfefonds für Seuchenkrankheiten wie Ebola, das Lassafieber oder auch Coronaviren (siehe WOZ Nr. 27/2017 ).
Die Wertpapiere, die aufgrund dieser Entstehungsgeschichte auch «Ebola-Bonds» genannt werden, sind Wetten gegen Pandemien. Sie funktionieren ähnlich wie die schon länger existierenden Katastrophen-Bonds, die Cat-Bonds. Ein Investor zeichnet dabei eine Anleihe von einem Versicherungsunternehmen oder Rückversicherer für eine bestimmte Zeit. Tritt in diesem Zeitraum die definierte Katastrophe nicht ein, bekommt der Investor sein Geld zurück. Tritt sie jedoch ein, muss er auf einen Teil seines Geldes oder auf alles verzichten. Als Ausgleich für das Risiko erhält der Investor einen Zins. Die Wertpapiere sind weder für PrivatanlegerInnen konstruiert, noch werden sie an einer Börse gehandelt, sondern richten sich an institutionelle Investoren wie Pensionskassen oder Hedgefonds. Die Mindestanlage liegt bei 250 000 US-Dollar.
Pech für den Kongo
Bei den Pandemieanleihen emittierte die Weltbank mit den deutschen und Schweizer Rückversicherern Munich Re beziehungsweise Swiss Re Anleihen in zwei Tranchen im Wert von insgesamt 320 Millionen Dollar. Pensionskassen, Stiftungen und Vermögensverwalter rissen sich förmlich um die Wertpapiere. Der Grund liegt in den vergleichsweise üppigen Zinsen von teils über zehn Prozent, für die es zudem noch von Deutschland, Australien und Japan eine Garantie gab.
2018 gerieten die Pandemieanleihen erstmals in die Kritik. Damals brach erneut das Ebolavirus aus – diesmal im Kongo. Mehrere Tausend Menschen erkrankten, über 2000 starben. Es war der zweitschwerste Ausbruch der Erkrankung, doch es floss kein Geld, das durch die Ebola-Bonds eingesammelt worden war. Denn das Kleingedruckte der Anleihen besagt: Geld gibt es erst, wenn die Krankheit die Landesgrenze zu zwei Nachbarstaaten überschreitet und dort binnen eines bestimmten Zeitraums mindestens zwanzig Opfer zu beklagen sind. Mit Uganda breitete sich die Krankheit aber in lediglich ein Nachbarland der Demokratischen Republik Kongo aus, wo auch weniger als zwanzig Menschen starben: Pech für den Kongo, Glück für die Investoren. Die Weltgesundheitsorganisation WHO hat das Coronavirus offiziell noch nicht zur Pandemie erklärt. Die FinanzmanagerInnen dürften allerdings bereits die Toten zählen. Gemäss den Kriterien des Fonds müssen mindestens acht Entwicklungsländer betroffen und 2500 Menschen gestorben sein, damit sie zahlen müssen. Auf den knapp 400 Seiten der Fondsbestimmungen werden weitere Kriterien exakt definiert: so etwa, dass die Gelder erst drei Monate nach Ausbruch einer Epidemie fliessen dürfen. Ob die Wette der Investoren auch beim Coronavirus aufgeht, wird sich bald zeigen. Mitte März soll entschieden werden, ob Entwicklungsländer Geld aus den Anleihen erhalten.
«Finanzielle Verblödung»
Olga Jonas, eine Gesundheitsökonomin, die lange für die Weltbank arbeitete, bezweifelt dies angesichts der «verworrenen Kriterien». Es sei nicht klar, ob überhaupt Geld ausgezahlt werde. «Es ist obszön, dass die Weltbank die Anleihen auf diese Weise eingerichtet hat. Sie wartet ab, während Menschen sterben.»
Unsinn sind die Pandemieanleihen aufgrund der Entwicklung der Kapitalmärkte ohnehin: Dort wird zumindest den Industriestaaten das Geld hinterhergeworfen, Mittel zur Bekämpfung des Coronavirus wären somit günstiger und schneller zu haben. Von «finanzieller Verblödung» sprach denn auch Larry Summers, ehemaliger Chefvolkswirt der Weltbank.