Vanessa Nakate: Gegen den Bösewicht in der Geschichte

Nr. 11 –

Die ugandische Aktivistin Vanessa Nakate wurde nicht deshalb berühmt, weil sie aus einem Wef-Foto herausgeschnitten wurde – sondern weil sie dies nicht auf sich sitzen liess. Ihre Mission: den Opfern der Klimaerwärmung im Globalen Süden eine Stimme zu geben.

«Nicht alle haben die Möglichkeit oder die Energie, sich zu ­wehren»: Die ugandische Klimaaktivistin Vanessa Nakate in Zürich.

Jedes Mal, wenn Vanessa Nakate ins Mikrofon spricht, wird es andächtig still im Saal. «Der Klimawandel ist real, er wird nicht erst in der Zukunft da sein», sagt sie mit eindringlicher Stimme. Nakate blickt direkt ins Publikum. «Im Globalen Norden sehen die meisten Leute bloss Zahlen, wenn eine Katastrophe passiert», fährt sie fort. «Aber seid ihr euch bewusst, dass Familien schon heute alles verlieren, weil sie von Überschwemmungen und Dürren getroffen werden?» Die vier PodiumsteilnehmerInnen neben ihr nicken zustimmend, mehrmals erntet die 23-Jährige an diesem Donnerstag Ende Februar in der Aktionshalle der Roten Fabrik in Zürich lauten Applaus.

Ein paar Stunden vor dem Podium sitzt Nakate im Restaurant am Seeufer. Im ganzen Trubel rundherum wirkt sie etwas verloren. Sie sei immer nervös, bevor sie vor Publikum auftrete, «aber sobald ich anfange zu reden, ist die Nervosität weg». Der Lärmpegel ist hoch, BesucherInnen des «Reclaim Democracy»-Kongresses drängen sich um die Tische an der Wärme.

Druck von unten

Vanessa Nakate hat erst vor etwas mehr als einem Jahr begonnen, sich mit der Klimaerhitzung auseinanderzusetzen. Aufgewachsen ist sie in einem Dorf ausserhalb von Ugandas Hauptstadt Kampala; der Vater besitzt einen Shop für Solarbatterien, die Mutter führt ein Restaurant. Sie sei Klimaaktivistin geworden, sagt sie, weil sie in der unterrichtsfreien Zeit vor ihren Uniabschlussprüfungen etwas Sinnvolles habe tun wollen.

Rasch sei ihr klar geworden, dass die Klimaerwärmung in weiten Landesteilen die grösste Bedrohung für die Bevölkerung darstelle: «Überflutungen und Erdrutsche zerstören Häuser und töten Menschen.» Zudem würden Dürren die Ernährungssicherheit immer stärker gefährden. Während einiger Monate habe sie mit ihrem Protestschild allein vor dem Regierungsgebäude gestanden, bevor weitere AktivistInnen sich ihr anschlossen.

Was aber will Nakate mit ihrem Protest erreichen? Die Klimaerwärmung wird nicht dort verursacht, wo die Auswirkungen am stärksten spürbar sind. Während der Lebensstil der Menschen im Globalen Norden den Planeten immer schneller zerstört, ist im Globalen Süden der CO₂-Ausstoss pro Kopf fast verschwindend klein. Und selbst wenn die autoritäre ugandische Regierung wollte, könnte sie angesichts der internationalen Machtverhältnisse wenig ausrichten. «Genau darum ist es nötig, in der Bevölkerung ein Bewusstsein zu schaffen», sagt Nakate.

Zusammen mit ihren MitstreiterInnen habe sie angefangen, Schulen zu besuchen, um dort Aufklärungsarbeit zu leisten. Und im August letzten Jahres gründete sie Rise Up, ein Netzwerk, in dem junge KlimaaktivistInnen Know-how und Erfahrungen austauschen und das in mittlerweile acht afrikanischen Ländern aktiv ist. Es gehe darum, Druck von unten aufzubauen – und Regierungen etwa dazu zu bewegen, keine zerstörerischen Investitionen ins Land zu lassen.

Aufmerksamkeit als Pflicht

Als Vanessa Nakate im September zum Uno-Klimagipfel nach New York eingeladen wurde, war es das erste Mal, dass sie Uganda verliess. Und an der Madrider Klimakonferenz im Dezember erhielt sie erstmals die Gelegenheit, an einer Medienkonferenz zu sprechen. Dort habe sie erfahren müssen, dass ihre Stimme kaum wahrgenommen werde. «Es waren etwa 250 Journalisten da, aber nur zwei oder drei von ihnen berichteten über das, was ich gesagt habe», erzählt sie. An solchen Konferenzen könne man die VertreterInnen des Globalen Südens ohnehin mit einem Blick abzählen.

Deshalb habe es sie dann auch besonders getroffen, als sie im Januar am Wef in Davos nachträglich aus einem Agenturfoto herausgeschnitten wurde, für das sie gemeinsam mit Aktivistinnen aus Europa posiert hatte. «Es war ein Symbol für etwas, das schon lange passierte», sagt Nakate. «Die Stimmen jener Leute, die ganz zuvorderst vom Klimawandel betroffen sind, werden ausgelöscht.»

Nakate mag es nicht, auch heute noch ständig auf diesen Vorfall angesprochen zu werden. Aber ironischerweise bot er ihr überhaupt erst die Gelegenheit, sich Gehör zu verschaffen. Auf Twitter veröffentlichte sie ein Handyvideo, in dem sie unter anderem sagte: «Dies ist das erste Mal in meinem Leben, dass ich die Bedeutung des Wortes Rassismus verstanden habe.»

Sie habe unglaublich viele Reaktionen erhalten, sagt Nakate, auch unzählige hasserfüllte, die sie aber komplett ignoriere. Und einige AktivistInnen hätten sie wissen lassen, dass ihnen Ähnliches auch schon passiert sei. Sie empfinde es deshalb als Pflicht, das plötzliche Medieninteresse zu nutzen: «Nicht alle haben die Möglichkeit oder die Energie, sich zu wehren.»

Sie sei eigentlich kein politischer Mensch, meint Nakate, ihr Aktivismus beschränke sich einzig auf die Klimaerwärmung. Das Ungerechtigkeitsempfinden aber, das damit verbunden ist, lässt sie später von allen Podiumsgästen fast am radikalsten klingen: spätestens dann nämlich, als sie die Heuchelei anprangert, mit der sich wohlhabende Leute nach klimabedingten Naturkatastrophen durch Spendengelder als weisse RetterInnen zu inszenieren versuchten. «Es bringt nichts, im Nachhinein als Held aufzutreten», sagt sie. Wer sich die Ursachen der Klimaerwärmung anschaue, müsse einsehen: «In dieser Geschichte bist du der Bösewicht.»