John Heartfield: Mit Schere und Foto gegen Bajonette

Nr. 17 –

Endlich eine geglückte «Ausstellung» im Netz. John Heartfields Grafiken und Fotomontagen offenbaren online neue Facetten. Man erkennt nochmals ihre Virtuosität – aber auch die wachsende Distanz zur Gegenwart.

Adolf Hitler, im braunen Gewand, den Bauch leicht vor, die Hand zackig nach oben gereckt. Hinter ihm steht ein unbekannter Mann im dunklen Anzug, der dem Führer ein Bündel Geldscheine in die Grusshand legt. Auch wenn man noch nie etwas von einem John Heartfield gehört haben sollte: Zumindest seine Fotomontage von 1932, «Der Sinn des Hitlergrusses: Kleiner Mann bittet um grosse Gaben» für die Titelseite der Berliner «Arbeiter-Illustrierten-Zeitung», dürften alle schon einmal im Geschichtsbuch gesehen haben.

Das berühmte Bild, das die wahren Kräfte hinter dem deutschen Faschismus in einem Sujet zusammenziehen will, begründete den legendären Status seines Schöpfers. Sein Leben und sein restliches Werk drohen freilich hinter der Agitpropchiffre zu verschwinden. Ausgerechnet eine virtuelle Ausstellung ermöglicht es nun, den ganzen Kosmos des 1891 bei Berlin als Helmut Herzfelde geborenen Malers, Grafikers, Fotomontagekünstlers und Bühnenbildners zu entdecken.

Puppe mit Schweinemaske

Ende März hätte in Berlins Akademie der Künste die erste grosse John-Heartfield-Ausstellung seit den Retrospektiven 1966 im damaligen Westberlin und 1991 im wiedervereinigten Berlin eröffnen sollen. Die Coronapandemie zwang das ambitionierte Vorhaben ins Netz. Dass man das Digitalprojekt, das daraus werden musste, nicht so frustriert wegklickt wie die Diashows, zu denen die virtuellen Angebote vieler Museen derzeit missraten, hat etwas mit der netzaffinen Machart zu tun. Es kombiniert einen biografischen Parcours und ein über 6000 Objekte umfassendes, über mehrere Jahre erarbeitetes Onlinearchiv, das einen in dieser Grössenordnung wohl einmaligen direkten Zugriff auf den Ausnahmekünstler und sein Werk bietet. In «Kosmos Heartfield» greift die Hand mit den ausgestreckten fünf Fingern, die Heartfield 1928 für ein Wahlplakat der KPD entwarf, nach den Betrachtenden. Klickt man einen der fünf Finger an, öffnen sich illustrierte Stationen wie «Flucht und Exil» oder «Heartfields Ausstellungen».

Dass aus dem Waisenkind einmal der Pionier der politischen Fotomontage werden sollte, war ihm nicht in die Wiege gelegt. «Ein grosser Maler wollte ich schon werden», rekapituliert er in einem raren Tondokument aus dem Jahr 1967 seine Versuche, nach dem Leben bei Pflegeeltern als Buchhändler und Künstler Fuss zu fassen. Dass er aber erst über die Bekanntschaft mit seinem Kriegskameraden George Grosz und den Dunstkreis des Dada zur Fotomontage fand, weiss kaum jemand. Im Umfeld der von seinem Bruder, dem Verleger Wieland Herzfelde, herausgegebenen Zeitschrift «Neue Jugend» experimentieren die beiden mit waghalsigen Kombinationen von Bild und Text, vor allem bei Buchumschlägen.

Heartfields renitenter, durch die Kriegserfahrung gespeister antimilitaristischer und antinationalistischer Geist zeigt sich schon 1916. Aus Protest gegen die deutsche Anglophobie ändert er seinen Namen demonstrativ in John Heartfield. 1917 gründet er mit seinem Bruder den Malik-Verlag, 1919 tritt er der KPD bei. 1920 organisieren die aufmüpfigen Bohemiens die «Erste Internationale Dada Messe», an der sich auch Otto Dix, Hannah Höch und Max Ernst beteiligen. Konservative wie linke Kritiker zerreissen die Schau in der Luft. Es kommt zu Tumulten.

Grenzt man nun in der «Zeitstrahlsuche» auf «Heartfield Online», dem digitalen Gesamtkatalog seines Œuvres und zweiten Teil der virtuellen Ausstellung, die Suche nach Heartfields Werken auf das Jahr 1920 ein, springt einem eine Fotografie entgegen, die die Eröffnung der Schau am 5. Juni in der Kunsthandlung Dr. Burchard zeigt. Wer das Bild heranzoomt, sieht an der Decke Heartfields berühmten «Preussischen Erzengel» schweben – die Puppe eines Uniformierten mit Schweinemaske statt Gesicht. Aus der antibourgeoisen Chaosästhetik des Dada entwickelte sich dann die kristallklare Antithetik der paradoxen Montagen Heartfields. Dieser Mann focht gleichsam mit Schere und Foto gegen Bajonette.

Erfolg und Massenwirkung

Ausstellungen beziehen ihre prägende Kraft aus realen Werken im dreidimensionalen Raum. Es gibt jedoch kaum ein Œuvre, das so auf plakative, zweidimensionale Visualität setzt wie das John Heartfields: von der mit einem Bajonett durchbohrten Friedenstaube auf dem Antikriegsplakat «Krieg! (Niemals wieder!)» bis zu der über die Leichenfelder des Weltkriegs schleichenden Hyäne mit Zylinder und preussischem Kriegsorden, die als mit «Krieg und Leichen – Die letzte Hoffnung der Reichen» betitelte Montagefotografie 1932 auf der Titelseite der «Arbeiter-Illustrierten-Zeitung» prangte. Die Arbeit für das publizistische Flaggschiff des kommunistischen Verlegers Willi Münzenberg begründete Heartfields Erfolg und die Massenwirkung, auf die er mit seiner operativen Kunst aus war.

Seine Suggestivkraft dürfte der eine Grund sein, warum Heartfield online so gut funktioniert – auch wenn die Formate, etwa von Plakaten, zwangsläufig auf Bildschirmgrösse beschränkt sind. Der andere ist, dass den Kuratorinnen Angela Lammert, Rosa von der Schulenburg und Anna Schultz, so wie sie Archiv und Biografie koppeln, jene «Verzahnung» von analog und digital gelungen ist, an der sich derzeit Medien wie Museen die Zähne ausbeissen.

Ein einstündiger Onlinerundgang in diesem Verbund ist so ergiebig wie ein leibhaftiger Besuch. BesucherInnen können sich «ihren» Heartfield zusammenbasteln. In einem eigenen Account kann man Werke aus dem Angebot speichern, drucken oder mit Freunden teilen; der Genese von Motiven hinterherspüren, die er oft retuschierte, manipulierte, variierte. Bei der Schlagwortsuche spuckt beispielsweise das Wort «Hitler» 411, das Wort «Frieden» 92 Treffer aus. Manche dürften hier auch zum ersten Mal die Bucheinbände oder Bühnenentwürfe für Erwin Piscator oder Bertolt Brecht sehen, mit der sich der nach dem Exil in die DDR zurückgekehrte und 1968 verstorbene Heartfield über Wasser hielt. Im Realsozialismus geriet ausgerechnet seine Arbeit unter «Formalismus»- und Avantgardeverdacht.

Kunsthistorisches Kunststück

«John Heartfield. Fotografie plus Dynamit» hätte die Ausstellung ursprünglich heissen sollen. Und eigentlich eignet jedem seiner Werke diese ungeheure visuelle Explosivkraft. Sie macht sie zu Ikonen der politischen Kunst, die ein breites Echo fanden: von den frühen Plakaten des Grafikers Klaus Staeck über die Protestaktionen der Guerrilla Girls bis zur slowenischen Avantgardeband Laibach, die für ihre Plattencover Motive von Heartfield verwendete.

So wie derzeit Klassenherrschaft und Faschismus weltweit wieder auf dem Vormarsch sind, würde man sich unwillkürlich KünstlerInnen wünschen, die die Herren Trump, Bolsonaro, Orban, Erdogan, Duterte, Putin, Netanjahu oder Modi so gnadenlos blossstellten wie Heartfield, als er 1933 Hermann Göring als «Henker des Dritten Reichs» mit einer blutigen Schürze über der Uniform und einem Schlachtbeil in der Hand vor dem brennenden Berliner Reichstag montierte.

Die Bedrohung durch diese neuen Autokraten ist real. Dennoch sind die Mikrophysik der Macht, die Biopolitik der Disziplinargesellschaft nur noch schwer mit den Bildern der Monokelträger, Kanonenfresser und zigarreschmauchenden Fabrikbesitzer der Zwischenkriegszeit des 20. Jahrhunderts zu fassen, die Heartfield im Visier hatte. Sein manichäisches Weltbild will nicht recht als Grundlage einer politischen Ästhetik in einer Zeit taugen, in der das Nichtbinäre zum Glaubensbekenntnis avanciert ist.

Die Vorteile dieses Virtuosen liegen offen zutage: die politisch-ästhetische Angriffslust, die Fähigkeit zur Polarisierung und die atemberaubende satirische Dialektik. Wie kaum ein Politkünstler heute schöpfte er aus dem visuellen Repertoire der Alltagskultur, arbeitete mit Humor. Heartfield gelang das kunsthistorische Kunststück, die auf Reiz und Suggestion zielenden Methoden der bürgerlichen Massenmedien in solche der Irritation und Aufklärung umzuwidmen. Es ist grossartig, dass dieses Œuvre gerade jetzt wie eine Werkstatt des visuellen Protests offenliegt. Freilich gehören diese Techniken heute längst auch zur Grundausrüstung der grossen Verführer der Konsumästhetik und der Souffleurinnen des Postfaktischen. Und Heartfields Position ist somit endgültig historisch geworden.

Archiv und Ausstellung können auf den Seiten www.heartfield.adk.de und www.johnheartfield.de gratis erforscht werden.

Angela Lammert, Rosa von der Schulenburg, Anna Schultz (Hrsg.): «John Heartfield. Fotografie plus Dynamit». Hirmer Verlag. München 2020. 312 Seiten. 50 Franken.