Essen für alle: «Kein Problem, ich bin da!»

Nr. 19 –

Amine Diare Conde steht hinter der Aktion «Essen für alle». Seit bald zwei Monaten sammelt er Spenden und verteilt Essen an Sans-Papiers, Obdachlose und alle anderen, die es im Lockdown brauchen. Dabei hat er selbst kein Bleiberecht in der Schweiz.

Kauft die Lebensmittel bereits per Tonne: Amine Diare Conde in seinem Lager in der Autonomen Schule Zürich.

«Es ist ein ruhiger Nachmittag», sagt Amine Diare Conde. Der 22-jährige Guineer koordiniert auch diesen Donnerstag in der Autonomen Schule Zürich (ASZ) die Aktion «Essen für alle». Wo sonst Sprachkurse stattfinden, werden jetzt Lebensmittel gelagert.

Neben mehreren Kühlschränken, vollgepackt mit Fertigmahlzeiten, liegen ein paar Hundert Kilogramm Zwiebeln auf einem Haufen. In Dutzenden Papiertaschen, die in einer Ecke stehen, sind Essensrationen abgepackt: Sie enthalten Kartoffeln, Pasta, Tomatenpassata, Mehl, Reis und Öl. Über 2000 solcher Care-Pakete bringt «Essen für alle» Woche für Woche unter die Leute.

Als der Lockdown kam, war Diare Conde sofort klar, dass all jene, die bisher etwa dank Suppenküchen von Hilfsorganisationen überlebten, noch weiter in Not geraten würden. Dazu sei für ihn absehbar gewesen, dass Sans-Papiers, die ihre Arbeitsstelle verlören, vor dem Nichts stünden. «Was soll eine alleinerziehende Papierlose im Lockdown tun? Für die Behörden existiert sie nicht», sagt Diare Conde.

Keine Pausen, kein Chef

Jeweils an einem Nachmittag pro Woche können nun Sans-Papiers, Obdachlose und alle, die bedürftig sind, in der Autonomen Schule Essen abholen. Die meisten Care-Pakete aber verteilen Diare Conde und seine mittlerweile über hundert HelferInnen an abgewiesene Asylsuchende in den Notunterkünften im Aargau, Basel, Bern, Freiburg, Solothurn und Zürich. Denn wer dort lebt, wird in Zeiten von Corona mit den wenigen Franken Nothilfe pro Tag noch weniger satt – etwa weil die Suppenküchen geschlossen sind.

«Essen für alle» startete ursprünglich mit 5000 Fertigmahlzeiten, gespendet von einer Firma, die sonst Kitas beliefert. Bald darauf trafen auch Geldspenden ein. Mittlerweile kann Diare Conde damit en gros einkaufen: 1300 Pack Pasta, eine Tonne Rapsöl, 1,2 Tonnen Basmatireis.

An diesem «ruhigen» Nachmittag wollen Dutzende Menschen etwas von Diare Conde. Er antwortet dann immer wieder mit demselben Satz: «Kein Problem, ich bin da.» Er sagt ihn einem Afghanen, von dem das Migrationsamt ausgedruckte Unterlagen verlangt, obwohl alle Copyshops geschlossen sind. Er sagt ihn ins Handy, nachdem er erfahren hat, dass sich eine Spendenanlieferung um Stunden verspätet. Auch einer «Essen für alle»-Aktivistin der ersten Stunde hat Diare Conde an diesem Nachmittag versichert, dass sie sich keine Sorgen machen müsse. Sie war während Wochen mit ihm in den Notunterkünften unterwegs gewesen; jetzt macht sie Ferien. Diare Conde, der weiss, dass Pausen wichtig sind, gönnt sich selbst keine. Er habe es versucht – aber dann sei er nachts wach gelegen. Oft ist der 22-Jährige von acht Uhr morgens bis zehn Uhr abends in der Autonomen Schule.

«Wenn sich Menschen aus Eigenantrieb engagieren, fühle ich mich wohl», sagt er. Hierarchien möge er nicht: «Ich bin kein Chef.» Vielen gelte er als Organisationstalent. «Aber nicht alle sehen, wie viel Arbeit das bedeutet.» Nachdem er an diesem Tag die Spendenbuchhaltung nachgeführt hat, setzt er sich an die Hausaufgaben und lernt Mathematik: Er holt gerade den Schulabschluss nach.

Alleine durch Wüste und Meer

«Da ich privilegiert bin, engagiere ich mich», sagt er. Ausser ihm selbst käme wohl niemand auf die Idee, Diare Conde privilegiert zu nennen: Schon über fünf Jahre lebt er in der Schweiz. Zwei Lehrstellen durfte er nicht antreten, weil er da noch im Asylverfahren war. Die Finanzierung seiner Schulausbildung musste er mit Stiftungsanträgen selbst organisieren. Seit er illegalisiert sei, bekomme er körperliche Schmerzen, wann immer er ein Polizeiauto erblicke. «Das traumatisiert mich jedes Mal.»

«Privilegiert» nennt sich Diare Conde, weil er nicht in einem Bunker leben muss, sondern privat in der Stadt untergekommen ist. Auch, weil er viele FreundInnen, ein starkes Netzwerk und Erfahrung im Behördenumgang hat. Den Leiter des kantonalen Migrationsamts konnte er zum Gespräch treffen und ihm dabei erklären, weshalb niemand freiwillig in eine Diktatur zurückkehrt. Ausschaffungshaft und Zwangsausschaffungen hält Diare Conde nicht nur für inhuman, sondern auch für absurd – weil sie so teuer sind. Die Repression will Diare Conde der Schweizer Bevölkerung aber nicht zum Vorwurf machen. Für eine andere Asylpolitik brauche es vor allem Aufklärungsarbeit.

Diare Conde ist in einem autoritären Staat aufgewachsen. Proteste gegen die Regierungspolitik werden in Guinea mit Waffengewalt unterdrückt. In einem umstrittenen Referendum hat der nominell demokratisch gewählte Präsident Alpha Condé im März eine Verfassungsänderung durchgebracht, die es ihm erlaubt anzutreten, bis er fast hundert Jahre alt ist. Offiziell haben knapp neunzig Prozent dafür gestimmt. «Das tönt wie Science-Fiction, aber es ist Realität», sagt Diare Conde.

Mit sechzehn ist Amine Diare Conde geflohen – alleine durch die Sahara und übers Mittelmeer. Wer das erlebt habe, fürchte sich nicht vor der Pandemie. Wer sich hingegen immer abgesichert wähnte, lerne nun vielleicht, dass ein leeres Supermarktregal kein Weltuntergang sei. Für Diare Conde ist Ungewissheit normal: Letzten Herbst hat er ein Härtefallgesuch eingereicht. Bis jetzt wartet er auf den Entscheid.