Anti-Lockdown-Proteste: Herzerwärmende Verschwörungstheorien
Alec Gagneux ist Pazifist, engagierte sich für Ecopop und Vollgeld und glaubt an die Kraft der Sonne. Jetzt ist er Initiant der «Mahnwachen» gegen die Coronamassnahmen in Bern. Was sagt er dazu, dass dort auch Rechtsextreme auftauchen?
«Ich sehe heute die Sonne wohl nicht mehr», sagt Alec Gagneux am Telefon, er sei von Polizei umringt und werde gleich verhaftet. Der weitläufige Platz vor dem BEA-Expo-Gelände in Bern, wo die Sessionen des Parlaments provisorisch stattfinden, ist abgesperrt. Vor dem Absperrband tummeln sich ungefähr dreissig DemonstrantInnen, dahinter eine Reihe PolizistInnen. Einer schreit sie an: «Nur Sklaven tragen Masken!» Manche haben Schilder mitgebracht, Stichworte: Bill Gates, Massenmedien, Bundesverfassung. Jene, die wir fragen, wieso sie hier sind, verweisen auf Grundrechte und Demokratie. Und dass völlig übertrieben sei, was über das Virus erzählt werde. Viele sind zum ersten Mal in ihrem Leben an einer Demonstration. Über allem schwebt der Hare-Krishna-Gesang eines älteren Mannes.
Von hier aus beobachten wir, wie weit hinten auf dem Platz Alec Gagneux von PolizistInnen abgeführt wird. Gagneux hatte zur «Mahnwache» aufgerufen, nachdem die Berner Polizei ein hartes Vorgehen gegen eine erneute Demonstration auf dem Bundesplatz angekündigt hatte.
Wo sie ihre Wurzeln haben
Ein paar Tage vor dieser Episode sitzen wir mit Alec Gagneux in einer Videokonferenz. Gagneux war Vorstandsmitglied von Ecopop, jenem Verein, der mit seiner Initiative für eine strenge Zuwanderungsbegrenzung und mehr Geld für Familienplanung 2014 an der Urne scheiterte. Inzwischen ist er ausgetreten: Der Vorstand ist ihm zu Nato-freundlich. Der gelernte Maschineningenieur bezeichnet sich als «Friedensaktivist» und «Entwicklungsphilosoph»; er engagierte sich für die Vollgeldinitiative, heute setzt er sich für Permakultur ein und gegen 5G. Vor kurzem war er beim verschwörungstheoretischen Sender KenFM zu Gast und sprach dort über «Überbevölkerung».
Mit Alec Gagneux zu reden, ist eine Fahrt auf einer politischen Achterbahn. Oft ist seine Argumentation aus linker Sicht nachvollziehbar – etwa, wenn er sich klar für die Konzernverantwortungsinitiative ausspricht oder gegen Kriegsmaterialexporte. Die Friedensbewegung sollte sich mit der Umweltbewegung zusammentun: Krieg sei die grösste «Mitweltbelastung» und treibe Menschen in die Flucht. «Alle sollten in Würde dort leben können, wo sie ihre Wurzeln haben.» Dass er in diesem Zusammenhang in einen problematischen Diskurs abdriftet, der eine Unvereinbarkeit unterschiedlicher Kulturen suggeriert, das will Gagneux im Nachhinein, beim Gegenlesen seiner Zitate, nicht mehr gesagt haben.
Gagneux’ Analyse entspricht oft jener vieler Linker. Dann rutscht er zuweilen in mal esoterisch-verklärende, mal völkische, mal verschwörungstheoretische Erklärungsmuster ab, wenn er etwa Bill Gates als Drahtzieher hinter der WHO sieht, der alle zwangsimpfen will. Nachlesen kann man diese Art von Argumentation auf seiner Website. Dort hats auch Dutzende Links, die auf Verschwörungsseiten führen.
Als links oder rechts will sich Gagneux nicht bezeichnen. Es gehe ihm um «Ethik und Empathie». Im Nachgang der Demo vom 9. Mai in Bern wurde bekannt, dass auch Rechtsextreme teilnahmen, einer von ihnen zeigte den Hitlergruss. Darauf angesprochen wiegelt Gagneux ab: «Die grössten Faschisten treffen sich jedes Jahr am Wef.» Auch hier: Dass er im Gespräch den Hitlergruss als Handbewegung verharmlost und sagt, man müsse schauen, was Leute, die Krieg auslösten, im Vergleich zu so einer Handbewegung bedeuteten, macht Gagneux später ungesagt. Die entsprechenden Zitate verkehrt er beim Gegenlesen zu einer klaren Verurteilung.
Kann nur gesund machen
Dass Covid-19 tatsächlich existiert, bestreitet Gagneux nach explizitem Nachfragen nicht, spricht aber trotzdem von einem «Virus, das niemand sieht und dem ein krönender Name angehängt wurde». Was wäre denn seine Strategie dagegen? «Neben Notfallhilfe und Schutz der Betroffenen: raus an die Sonne statt in die enge Stube. Das Immunsystem mit Vitamin D und C stärken.» Und sowieso – die Teilnahme an den Mahnwachen habe er so herzerwärmend erlebt, das könne nur gesund machen: «Da hat kein schädliches Virus eine Chance.»
Der 15. Mai ist für Gagneux weniger herzerwärmend, er wird festgenommen, bevor die Demonstration wirklich begonnen hat. Am Telefon sagt er später, es gehe dem Bundesrat «kaum um Volksgesundheit, sondern um die Unterdrückung unserer Grundrechte». Während Kundgebungen nach wie vor verboten seien, hielten sich Leute beim Einkaufen ebenfalls kaum an die Abstandsregeln, würden aber nicht kontrolliert. Tatsächlich mutet das anhaltende Versammlungsverbot angesichts der vollen Bars, Märkte und Läden vom letzten Wochenende seltsam an. Da ist der Unmut der Demonstrierenden durchaus verständlich. «Menschen, die für die Einhaltung der Grundrechte einstehen, werden kriminalisiert und diffamiert», sagt Gagneux. Nur: Angesichts der Plakate mit Verschwörungstheorien und des Grüppleins Rechtsextremer sind es halt nicht nur die Grundrechte, für die an diesen Samstagen eingestanden wird.
Mitarbeit: Bettina Dyttrich