Sondereinsatzgruppen: Ruag-Munition bei den Preppern
Jedes Jahr traf sich die internationale Polizeielite, darunter auch Schweizer Sondereinheiten, in Deutschland zum Wettkampf. Firmen wie die Ruag priesen vor Ort ihre neusten Produkte an. Dann stellte sich heraus, dass der Betreiber des privaten Schiessplatzes enge Kontakte zu einer rechten Gruppe hatte, gegen die wegen Terrorverdachts ermittelt wird.
Frank T. ist eine Koryphäe des Schiesssports. Der heute 53-jährige Rostocker ist dutzendfacher deutscher Meister, sein Know-how als Organisator von Schiesstrainings war so gefragt, dass er eine eigene Firma namens Baltic Shooters gründete. Geradezu legendär war der Special Forces Workshop: ein international besetzter Wettkampf zwischen Elitepolizeieinheiten, den T. seit 2009 gemeinsam mit dem Landeskriminalamt Mecklenburg-Vorpommern organisierte. Die Schirmherrschaft übernahm ab 2011 Lorenz Caffier, der CDU-Innenminister des Bundeslands.
Jeweils im Hochsommer traten die Polizeisondereinheiten mit Zweimannteams auf dem 4,5 Hektaren grossen Schiessplatz Bockhorst in Güstrow gegeneinander an. Auch die Schweizer Sondereinheiten Tigris (Fedpol), Skorpion (Stadt Zürich), Basilisk (Basel-Stadt), Luchs (Innerschweiz) und Diamant (Kanton Zürich) schickten Polizeibeamte nach Güstrow.
Doch letztes Jahr endete die Erfolgsgeschichte von T.s Special Forces Workshop abrupt. Die elfte Ausgabe musste abgesagt werden, nachdem im Juni 2019 Polizeieinheiten eine Razzia auf dem Bockhorst durchgeführt hatten. Grund: Vom Waffenplatz führt eine direkte Spur zu einer rechtsgerichteten Preppergruppe und ihrem illegalen Waffenlager.
Ein Totenkopf mit Stahlhelm
Die Popularität des Special Forces Workshop lag in der Mischung aus Wettkampf, Weiterbildungsmodulen und der Möglichkeit, vor Ort neue Produkte der Waffenindustrie zu testen. Der bundeseigene Schweizer Rüstungsbetrieb Ruag etwa war Stammgast in Güstrow. Er stellte Scharfschützen-Übungsmunition bereit und bot eigene Workshops an. Auch die Thuner Waffenfirma B & T war zeitweise präsent und stellte gemäss eigenen Angaben «Musterwaffen und Zubehör» vor.
Erstaunlicherweise war das internationale Klassentreffen der Polizeispezialeinheiten, die sonst stets auf höchste Diskretion bedacht sind, in einschlägigen Fachmagazinen fotografisch gut dokumentiert. Die dargestellten Szenen erinnern an Kriegsschauplätze. Dazu passt das inoffizielle Logo der Veranstaltung: ein Totenkopf mit grünem Stahlhelm, dahinter zwei gekreuzte Maschinengewehre.
Seit 2017 laufen in Deutschland umfangreiche Ermittlungen gegen Nordkreuz, eine rund dreissigköpfige Preppergruppe mit teils rechtsextremen Tendenzen. Gegen zwei Mitglieder führt die Bundesanwaltschaft gar Ermittlungen wegen Terrorverdacht. Sie sollen für den «Tag X», an dem die öffentliche Ordnung zusammenbrechen soll und wofür sich Prepper heute schon vorbereiten, die Ermordung von politischen GegnerInnen geplant haben.
Ein zweites Verfahren richtet sich gegen den Gründer der Preppergruppe, Marko G., ein ehemaliges Mitglied des Sondereinsatzkommandos Mecklenburg-Vorpommerns. Zweimal, 2017 und 2019, durchsuchten Ermittler das Haus von Marko G. und fanden dabei mehr als zwei Dutzend Waffen sowie rund 55 000 Schuss Munition. Im letzten Dezember wurde der Nordkreuz-Gründer wegen Verstössen gegen das Waffengesetz zu 21 Monaten auf Bewährung verurteilt. Ein beträchtlicher Teil der beschlagnahmten Munition stammte illegalerweise aus Polizei- und Bundeswehrbeständen, vielfach von Dienststellen, die in den letzten Jahren Teams an den Special Forces Workshop schickten. Teils ist sie auf dem zivilen Markt nicht erhältlich; sie kann so schlagkräftig sein, dass sie Schusswesten durchlöchert.
Das ist nicht alles, wie Recherchen der «taz», die den Nordkreuz-Komplex federführend aufdeckte, zeigen: Schiesstrainer Frank T. war zumindest zeitweise Mitglied in der Nordkreuz-Chatgruppe. Deren Mitglieder kauften bei ihm Waffen und Munition, sie gingen bei ihm schiessen. Und im Prozess gegen den Gründer der Preppergruppe kam heraus, dass T. konkrete Empfehlungen an Marko G. verschickt hatte: «Desto besser die Kommunikation, umso einfacher ist die Organisation und das Sammeln untereinander am Tag X. Doch bis dahin gilt es für jeden von uns, so wenig wie möglich aufzufallen.»
Gegen T. wird (bisher) nicht ermittelt, im Prozess gegen den Nordkreuz-Gründer war er als Zeuge vorgeladen. Nach der Razzia auf dem Schiessstand kündigte das Landeskriminalamt (LKA) Mecklenburg-Vorpommern jedoch die Partnerschaft mit dem Special Forces Workshop auf. Frank T. bezeichnet sich in den Medien als «Bauernopfer», von einem rechtsextremen Hintergrund bei Nordkreuz will er nichts bemerkt haben.
Aus Gerichtsakten geht hervor, dass über 4000 Schuss Munition, die beim Nordkreuz-Gründer gefunden worden waren, von der Ruag stammen. Allein 1750 Ruag-Patronen lagen in Kartons, die mit einem Aufkleber «an Frank T., Baltic Shooters» versehen waren. Möglicherweise war T. also Privatkunde der Ruag. Wie kam diese Munition in die Hände der Preppergruppe? War der Schiessplatz Bockhorst tatsächlich der Umschlagplatz dafür? Beide Fragen sind bisher weitgehend ungeklärt. Noch immer ist in vielen Fällen nicht einmal klar, von welcher Polizeieinheit genau die illegal beschaffte Behördenmunition stammte. Die zuständige Staatsanwaltschaft Schwerin verweist auf Anfrage auf die noch laufenden Ermittlungen, weshalb nicht alle Fragen abschliessend beantwortet werden könnten. Die «taz» schreibt von «behördlichem Desinteresse».
Die Ruag sagt, sie habe «die Behörden in diesem Verfahren vollumfänglich informiert und unterstützt. Zu Kunden werden wir aber keine Angaben veröffentlichen.» Am Special Forces Workshop selbst sei den TeilnehmerInnen die Ruag-Übungsmunition einzeln abgezählt in geringer Stückzahl abgegeben worden, und «im Anschluss an die Veranstaltung hat man keine Fehlbestände festgestellt». Die Teilnahme in Güstrow sei von diversen Polizeieinheiten angeregt worden. «Aus unternehmerischer Sicht ist eine Teilnahme auch sinnvoll, weil die Ruag direkt in Kontakt mit Endverbrauchern kommt, die wichtige Rückmeldungen geben.»
Der Zürich-Besuch bei Skorpion
Fragwürdig ist auch, weshalb Polizeisondereinheiten aus diversen europäischen Ländern und sogar aus den USA Trainings auf einem privaten Schiessplatz in Güstrow bei Zivilisten absolvierten. Die WOZ hat die zuständigen Polizeibehörden der fünf Schweizer Sondereinheiten, die an Special Forces Workshops teilgenommen hatten, dazu befragt. Die Rückmeldungen sind durchs Band sehr ähnlich. Alle verweisen auf den schweizerisch-deutschen Polizeivertrag als rechtliche Grundlage für die Teilnahme und auf das LKA Mecklenburg-Vorpommern, das als Mitorganisator fungierte.
Genau diesen Umstand kritisiert eine unabhängige ExpertInnenkommission, die das Innenministerium Mecklenburg-Vorpommerns eingesetzt hat, um rechtsextreme Tendenzen in der Polizeibehörde zu untersuchen: Durch die enge Zusammenarbeit zwischen dem LKA und Frank T. seien vergaberechtliche Vorgaben nicht beachtet und waffenrechtliche Besonderheiten nicht genügend berücksichtigt worden. Und: Ein besonderes Problem sei, «dass einem privaten Betreiber ermöglicht wurde, genaue Einblicke in polizeiliche Interna zu erlangen».
Sämtliche angefragten Polizeibehörden schlossen aus, dass ihre Beamten über die zeitweilige Mitgliedschaft Frank T.s im Nordkreuz-Chat und seine persönliche Verbindungen zu extrem rechten Preppern Bescheid wussten. Das beteuerte auch die Stadtpolizei Zürich, deren Interventionseinheit Skorpion einen engeren Austausch mit T. pflegte. Zwei Skorpion-Beamte (Namen der Redaktion bekannt) durften 2016 eine eigene Weiterbildung zum Thema «Kontaktdrill bei unerwartetem Beschuss» am Special Forces Workshop anbieten, ein Jahr später war T. einen halben Tag lang in Zürich zu Gast. Weshalb genau, konnte die Stadtpolizei Zürich nicht sagen. Und Frank T. wollte sich gegenüber der WOZ nicht äussern. Er habe schlechte Erfahrungen mit der Presse gemacht.
Rechtes Gedankengut
Nach jetzigem Erkenntnisstand gibt es keinerlei Hinweise auf eine direkte Schweizer Beteiligung im Nordkreuz-Komplex, und anders als in Deutschland liegen bisher auch keine konkreten Hinweise für ein rechtsextremes Netz innerhalb der Sicherheitsbehörden vor.
Vor zwei Wochen aber musste der Berner Regierungsrat aufgrund einer parlamentarischen Anfrage eingestehen, dass es in den Reihen der Berner Kantonspolizei einzelne Fälle von MitarbeiterInnen gab, die sich grenzwertig rechtsextremistisch oder rassistisch in sozialen Medien geäussert hatten.