Bunker, Prepper, Präparate III. Die Prepper:innen

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Schlafsaal im Bunker
Die Soldaten konnten in vorgewärmte Betten schlüpfen: Geschlafen ­wurde gestaffelt.

«Der Augenblick des Überlebens ist der Augenblick der Macht.»

Aus «Masse und Macht» von Elias Canetti

The Gray Man geht um. Wer ist Feind, wer ist Freund, fragt sich der graue Mann. Wer will ihn all der Dinge berauben, die er so emsig zusammengetragen hat, um sich auf den «Tag X» vorzubereiten? Die Vorräte, die Medizin, die Munition, die Waffen.

Jede Bewegung hat ihre Lehrsätze. Bei den Prepper:innen heisst das oberste Diktum: Gerät die Masse in Wallung, sollte man mit ihr wiegen, mit ihr verschmelzen, Grau in Grau in ihr verschwinden. «The Gray Man»-Theorie heisst diese Idee in der Szene. «Denn das Letzte, was Sie wollen, ist, dass all Ihre Zeit und Mühe, die Sie in die Vorbereitung gesteckt haben, umsonst waren, weil Ihnen jemand, der weniger vorbereitet und verzweifelter ist, Ihre Vorräte weggenommen hat», schreibt die Prepperplattform «The Bug Out Bag Guide». Und bietet zur gewünschten Tarnung allerlei Produkte an. Gray-Man-Jeans zum Beispiel – mit vielen versteckten Taschen und einem Klettverschluss versehene, entsprechend unförmige und höchst verdächtige Hosen.

Das alles klingt ein bisschen lächerlich, kurios jedenfalls. Doch spätestens wenn man sich in ein Gewerbegebiet in einer Zürcher Agglomerationsgemeinde begibt und dort wieder auf den Begriff «Gray Man» trifft, hört der Spass auf. Im ersten Stock eines kompakten Bürokomplexes sind die Räumlichkeiten einer Firma untergebracht, die sich auf Survival- und Schiesskurse spezialisiert hat. Äusserlich unauffällig, grau gewissermassen. Im Büro, hinter einem gepflegten Holztisch, empfängt der Inhaber. In einem Holzbottich steht eine Flinte, und an der Wand hängt eine Weltkarte, auf der mit gelben Punkten all jene Orte markiert sind, wo der Mann im Einsatz gewesen sein will: Afghanistan, der Libanon, Libyen, die Zentralafrikanische Republik. Der Raum wirkt wie eine kleine Kommandozentrale, doch worüber kann man in diesem Gewerbegebiet schon das Kommando haben?

Allzeit bereit, auch im Alltag

Der Inhaber, eher klein gewachsen, dafür umso stämmiger, mit sorgfältig getrimmtem Bart und im Holzfällerhemd, bietet sofort das Du an. Er könnte einem auch einen Campingbrenner verkaufen, doch bald erhält das freundliche Gespräch eine düstere Färbung. Später erschrickt der Mann über seine eigenen Aussagen und will auf keinen Fall seinen Namen oder den seiner Firma veröffentlicht wissen. Seit zwanzig Jahren ist er im Sicherheitsgeschäft, in all dessen Ausprägungen. Er war Security, Türsteher, acht Jahre lang Berufssoldat – und hat Safe Houses im Irak bewacht für eine «regierungsnahe Sicherheitsfirma». Sagt er.

Ein Schattenmann in parastaatlichen Grauzonen, eine Kampfmaschine im Karomuster. Tätig zwar immer in enger Anbindung an Schweizer Behörden, sagt er, an den Geheimdienst, die Armee, die Bundespolizei. Gleichwohl aber zutiefst desillusioniert von den Institutionen. «Der Staat lässt seine Bürger allein», klagt er, «die Leute müssen begreifen, dass sie für sich selbst verantwortlich sind.»

Seine Firma unterstützt sie dabei. Gegen gutes Geld versteht sich, denn ihr Geschäft ist das Geschäft mit der Furcht, irgendwann auf sich allein gestellt zu sein. Angeboten werden Kurse für Selbstverteidigung, für Überlebenstechniken und fürs Schiessen. Immer entlang der Idee des Gray Man – allzeit bereit, auch im Alltag. «Wir machen Dich topfit und kampfbereit», versprechen die Broschüren. «Nahe ans Paramilitärische» kämen die Sachen, die sie anböten, sagt der Inhaber. «Wir haben uns zu diesem Schritt entschieden, weil es die aktuelle Ausgangslage verlangt.»

Der Mann denkt die Welt in Lagen, und die Lage derzeit, sie sei: bedrohlich. Er nennt den «Ukrainekonflikt» (er sagt Konflikt, nicht Krieg), der zeige, dass der Bürger an der Waffe ausgebildet sein und Kenntnis vom Häuserkampf haben müsse. «Das ist Zivilschutz», findet er. Auf die Behörden setzt er nicht. «Die waren ja nicht mal in der Lage, Notfallspitäler aufzubauen während Corona.» Jetzt kommt er in Fahrt. «Der Staat interessiert sich fürs Grosse, aber nicht fürs Kleine. Da versagt er überall. Schau dir die No-go-Areas an in Frankreich, in Neukölln. Europa ist ein Pulverfass!»

In der Armee habe er gelernt, für sich selber zu schauen, auf seine Gruppe aufzupassen. Und seine Augen stets offen zu halten. Wenn er über Feriendestinationen redet, dann nicht von schönen Stränden und Sehenswürdigkeiten, sondern von Einbrecherbanden, die ums Eck lauern, und von drohenden Schiessereien. «Jeder muss für sich selber schauen», mahnt er zum Abschied. Es klingt nach der totalen Dystopie.

Mannschaftsdusche im Bunker
Mannschaftsdusche: Warmwasser gab es gemäss einem ehemaligen Soldaten nur einmal pro Woche.

Ausserhalb der Apokalypse

Der Satz würde gut zu Erich Breitenmoser passen. Auch wenn dieser kein Gray Man ist, sondern der schillerndste Geschäftsmann im wilden St. Galler Osten. Vom Geschäft mit den Ängsten der Leute versteht aber auch er einiges. Seine Festung übersteigt alle Fantasien eines Durchschnittspreppers. Was Breitenmoser für sich zu nutzen weiss. Bis zu 600 Personen könnten in seiner Festung ein halbes Jahr lang autark überleben, wirbt er im «Blick»: «In den USA gibt es die Bewegung der ‹Doomsday Preppers›, also Menschen, die sich auf eine grosse Krise vorbereiten. Das ist dort ein ausgezeichnetes Geschäft.» Und eines, von dem er sich eine dicke Scheibe abschneiden will.

Sein Geschäftsmodell geht so: Er vermietet Räume in seiner Festung an Personen, die einen Platz für den «Tag X» suchen. Sie erhalten einen Badge, mit dem sie Zutritt zum Berg erhalten (ausserhalb der Apokalypse allerdings nur nach Absprache mit Breitenmoser). Sie dürfen auch wertvolle Habseligkeiten einstellen, selbst für die Oldtimersammlung gibt es Platz. Solche Räume vermietet Breitenmoser für 2500 Franken im Monat, wie er an Führungen erzählt. 2500 Franken monatlich, um im Fall der Fälle mit einem Badge in der Hand vor der Festungstür zu stehen und darauf zu hoffen, dass Erich Breitenmoser dann nicht das Zugangssystem neu programmiert hat. Warum glauben das die Leute? Warum geben sie so viel Geld für eine derartig wacklige Versicherung für den Ernstfall aus?

Anruf bei Bradley Garrett. Der US-amerikanische Kulturgeograf hat ein gefeiertes Buch zur Bedeutung des Bunkers für die Prepperszene und die Survivalkultur geschrieben. Er hat den Bibelgürtel der USA untersucht, den Umgang mit der nuklearen Apokalypse in Tschernobyl und Ökofestungen in Thailand. Hat Luxuswohnungen für die Endzeit beschrieben und Endzeitcommunitys in Utah. In der Schweiz war er noch nie, am Telefon zeigt er sich überrascht von Breitenmosers Prepperfestung: «Diese privaten Bunker befinden sich in der Regel an Orten, an denen es kein staatliches Sicherheitsnetz gibt, was die Vorbereitung auf den Weltuntergang angeht. Und die Schweiz ist der beste Ort der Welt, was solche Vorbereitungen der Regierung betrifft. Ich muss euch Jungs nicht sagen, dass ihr Bunker für jeden Bürger im Land habt, was es nirgendwo sonst auf der Welt gibt, ausser vielleicht in Nordkorea.»

Händler der Furcht

Das Gespräch mit Garrett bricht ab. Schlechte Verbindung, er bittet um Entschuldigung. Er befinde sich auf einem zwei Hektaren grossen Areal mitten in der Mojavewüste, das er gerade für eine autarke Lebensweise herrichten wolle. Ist er etwa selber zum Prepper mutiert? Garrett lacht, irgendwie schon, er sei aber nicht der Bunkertyp.

Für Bradley Garrett passt Erich Breitenmoser ins Schema der Geschäftsleute, die mit den Notfallbunkern reich werden wollen, ins Raster der «dread merchants», Händler der Furcht, wie Garrett sie nennt. Anders als für die Prepper:innen selber hegt Garrett wenig Sympathien für sie. Den Survivalanhänger:innen hält er immerhin zugute, dass sie für sich und ihre Liebsten, für ihre Community die Zukunft planen. Die Geschäftemacher aber hält er für Heuchler, die eine libertäre Ideologie vor sich hertragen, die den Staat grundsätzlich ablehnt, selbst wenn sie von dessen Investitionen profitieren.

Irgendwo trifft das auch auf Erich Breitenmoser zu. Und erst recht auf Grössen der Szene wie Larry Hall, der Atomraketensilos im Mittleren Westen der USA aufkauft und in unterirdische Städte mit Supermärkten, Cafés und allen möglichen anderen Dingen verwandelt, um Normalität zu simulieren, sollte an der Erdoberfläche der Sturm toben. Denn eine der wichtigsten ungeklärten Fragen sei ja, sagt Garrett, wie man die Menschen, die sich in den Bunker eingekauft hätten, davon abhalte, sich an die Gurgel zu gehen, wenn alle über Monate in der Erde feststeckten.

Den ersten Bunker kaufte Hall für 300 000 US-Dollar, er investierte zehn Millionen und verkaufte alle Räume für insgesamt zwanzig Millionen – mit dem Profit baut er die nächste Siloanlage aus. Ähnlich geschäftstüchtig verhält sich der ehemalige CIA-Mann Drew Mills, der im ganzen Land abgelegene Grundstücke erwirbt und dort autarke Strukturen aufbaut. Für einen monatlichen Beitrag erhalten Kund:innen das Recht, im Katastrophenfall Einlass auf das nächstgelegene Gelände zu erhalten. Ein klarer Vorteil gegenüber Festungsanlagen, wo sich immer die Frage stelle, wie man im Notfall dorthin komme, sagt Garrett.

Nicht anders ist das bei Breitenmosers Festung in Furggels. Auf Führungen erzählt er, seit dem Kriegsausbruch in der Ukraine erhalte er jeden Tag bis zu zehn Anrufe aus Deutschland von Personen, die sich für einen Raum interessierten. «Das ist absolut verrückt», kommentiert Garrett. «Euer Dr. Erich muss äusserst charismatisch sein. Anders ist nicht zu erklären, warum ihm die Leute ihr Geld anvertrauen. Denn es ist doch völlig klar: Im Fall der Fälle wird die Schweiz die Grenzen sofort schliessen, da kommt niemand mehr rein.»

Also nochmals die Frage: Weshalb geben Leute so viel Geld aus für das Versprechen auf einen Platz in Dr. Erich’s Mountain Fortress?

drei dieselbetriebene Sulzer-Schiffsgeneratoren im Maschinenraum
Die «Herzkammer»: Drei dieselbetriebene Sulzer-Schiffsgeneratoren arbeiten im Maschinenraum für die Stromversorgung.

Das Szenario eines Rassenkriegs

Eine Antwort darauf kennt womöglich der Schweizer Kulturanthropologe Julian Genner. Wir treffen uns mit ihm in einem Basler Café. Genner arbeitet an der Universität in Freiburg in Breisgau, wo er seit sechs Jahren die deutsche Prepper:innenszene erforscht. Der Bunker giesse das Versprechen von grösstmöglichem Schutz und höchster Sicherheit in Beton, sagt Genner: «Ein Bunker ist der Traum vieler Prepper:innen, auch wenn nur wenige die finanziellen Mittel dafür aufbringen können.»

In der Art des Preppens manifestiere sich der soziale und wirtschaftliche Status, sagt Genner. Er habe Leute getroffen, die nur ein paar Rucksäcke mit Überlebensmaterial irgendwo platziert hätten, um möglichst schnell das Weite suchen zu können. Andererseits hätten Firmen, die teure Bunker bauten, volle Auftragsbücher. Der Reiz des Preppens liege in der Selbstermächtigung: «Es geht um das Gefühl, unter allen Umständen unabhängig und handlungsfähig zu sein», sagt er.

Das war schon immer so in der Geschichte des Preppens. Die Anfänge des Phänomens liegen in den 1950er Jahren. Eine der Gründerfiguren war der US-Amerikaner Kurt Saxon, zeitweise Mitglied der American Nazi Party und anderer rechtsextremer Gruppen. Saxon prägte den Begriff «Survivalism». Das Szenario, das er heraufbeschwor, war dasjenige eines Rassenkriegs. Die Gruppe, die sich um ihn formierte, war klar rechtsextrem. Sie war antikommunistisch, richtete sich gegen die Bürgerrechtsbewegung und die aufkommenden Student:innenproteste. «Es ging darum, im Fall einer linken Revolution zum Gegenschlag ausholen zu können», sagt Genner. Saxon publizierte viel, darunter Anleitungen zum Bombenbau und zur Platzierung von Sprengfallen. Als er vor zwei Jahren starb, fehlten ein paar Finger an seinen Händen. «The Poor Man’s James Bond» heisst eines seiner Bücher, herausgegeben im Eigenverlag.

In den sechziger und siebziger Jahren verschob sich der Kontext. Die Heilsgeschichte von einem reinrassigen Staat wich einem Grundgefühl der grossen Depression. Survivalism oder Preppen versprach da einen Weg, sich dem gefühlten Niedergang zu entziehen. Dazu stiess eine libertäre Strömung, etwa mit der Idee, Ölplattformen zu kaufen und darauf Staatsmodelle basierend auf unternehmerischen Prinzipien zu errichten.

In den Achtzigern fügte sich Survivalism in den konservativen, antikommunistischen und christlichen Mainstream ein. Grosse Gemeinschaften zogen sich in sogenannte Compounds zurück, die wie im texanischen Waco immer wieder von den Behörden gewalttätig gestürmt wurden. Im Umfeld von Survivalism kommt es auch zu rechtsextremen Gewalttaten und terroristischen Aktivitäten. Zugleich erreicht Preppen ein grösseres Publikum. Bücher wie Bruce D. Claytons «Life after Doomsday», ein Überlebensratgeber für die Zeit nach dem Atomkrieg, avancieren zu Bestsellern. Auch ein Schweizer Buch wird neu aufgelegt: «Der totale Widerstand» (1957) des Offiziers Hans von Dach. Untertitel: «Kleinkriegsanleitung für jedermann».

Preppen wird zum Massenphänomen. Nach Europa schwappt es aber erst 2008 mit der Finanzkrise über. Das dominante Szenario ist damals der vollständige Zusammenbruch der Wirtschaft. Zeitgleich greifen Reality-TV-Formate Survivalthemen auf. Der Überlebenskünstler Bear Grylls tritt in Erscheinung oder die unglaublich populäre Serie «Doomsday Preppers» von «National Geographic», die bei uns auf Netflix läuft.

Zutiefst konservative Gegenbewegung

Mit der Stabilisierung der Märkte verbreitete sich ein anderes Szenario: der Blackout und das damit verbundene Chaos in der Gesellschaft. Bis heute sei dies das beliebteste Szenario, sagt Genner. Wie viele Leute sich ernsthaft auf den grossen Kollaps vorbereiten, ist zumindest im deutschsprachigen Raum nicht bekannt. In den USA untersuchte die Katastrophenschutzbehörde Fema diese Frage. Die Befragungen brachten beeindruckende Resultate: Vor der Pandemie waren es vier Millionen US-Amerikaner:innen, die während dreissig Tagen mit eigenen Mitteln hätten überleben können, jetzt sind es bereits vierzehn Millionen.

Jenseits aller Dynamiken gibt es wichtige Konstanten. Survivalism sei immer eine Gegenbewegung zu progressiven sozialen Bewegungen gewesen, sagt Genner. «In Deutschland sind heute die Grünen das Feindbild oder Fridays for Future.» Es sei keine eigentlich antistaatliche Bewegung, sondern eine zutiefst konservative, die sich gegen alles wehre, was Veränderung bringe, sagt er.

Macht ihm das Sorgen? Ja, sagt Julian Genner: «Der Boom des Preppens zeugt von einer zunehmenden Entsolidarisierung in der Gesellschaft. Im Vordergrund steht die Sorge um den eigenen Wohlstand und den eigenen Status. Beides ist wichtiger als das Leben und das Leiden anderer Menschen. Überleben im Preppen bedeutet implizit immer, andere zu überleben.» Preppen funktioniere nicht, ohne den Tod der anderen zu denken.

Genner wehrt sich gegen die Unterteilung in gute und schlechte Prepper:innen, in vernünftige Vorsorgerinnen und gefährliche Reaktionäre. Leute, die im Garten Bunker bauen, und rechtsextreme Preppernetzwerke, die in den vergangenen Jahren in Deutschland aufgeflogen sind, versteht er als Ausprägung desselben Phänomens. Die mit Militärs und Leuten aus Behörden durchsetzten Gruppierungen Nordkreuz und Uniter, der Fall Franco A., die Todeslisten, die Reichsbürger:innen: «Das ist alles in der Verlängerung der politischen Mitte angesiedelt. Die Idee, dass die politische Mitte von den extremen Rändern bedroht wird, ist irreführend. Vielmehr ist es die Mittelschicht, die unter bestimmten Bedingungen einen Hang zu autoritären oder extremistischen Neigungen hat.»

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