Ruedi Noser: Beinhart, aber mit Charme
Der Zürcher FDP-Ständerat Ruedi Noser ist ein Sympathieträger mit viel Einfluss im Parlament. Dass er in erster Linie den Finanz- und den Rohstoffplatz vertritt – wie etwa bei der Konzernverantwortungsinitiative –, verhehlt er nicht. Warum auch?
Da schreitet er einem also entgegen, wippt über den Fussgängerstreifen, das Blau von Ruedi Nosers Anzug leuchtet schon von weitem. Angekommen, streckt Noser einem den Ellbogen entgegen. Sagt: «Man kann ja jetzt nur noch so zusammenknallen.»
Da sind keine Allüren, keine Berührungsängste: Der Zürcher FDP-Ständerat ist bei diesem Treffen so zugänglich und gewinnend, wie er allgemein beschrieben wird. Auf dem Weg ins Café plaudert er über seine Trennung und darüber, ob Corona wohl mehr Babys hervorbringe oder mehr Beziehungskrisen. Unter seinem Anzug trägt Noser ein gestreiftes Hemd, am Jackett einen Pin mit Schweizerkreuz. Dazu die schwarze Brille. Alles in allem erinnert Noser wie immer an die Agglo-KMU-Variation des Kreativlings. Erste Assoziation: peppiger Schriftenmaler.
Tatsächlich führt der studierte Elektroingenieur ein Softwareunternehmen mit 500 Angestellten. Gerne erzählt der 58-Jährige die Geschichte seines Aufstiegs. Die vom Glarner Buben aus einfachen Verhältnissen, des Legasthenikers und Schulversagers, der trotz allem oben angekommen ist. Dass man alles erreichen kann, wenn man nur will: Es ist eine Grundüberzeugung Nosers. Nirgends sei die Durchlässigkeit höher als in der Schweiz, sagt er im «Sphères», einem Café im Zürcher Kreis 5, nur wenige Gehminuten von seiner Wohnung entfernt: «Von ganz unten nach ganz oben und umgekehrt ist in der Schweiz alles möglich.»
Für seine Wiederwahl in den Nationalrat warb Noser 2011 mit einem Video, das mit dem Slogan «Eine echte Schweizer Geschichte» beginnt. Anrührende Musik. Kinderfotos des schon damals wie Ruedi Noser aussehenden Ruedi Noser. Die Stimme aus dem Off haucht: «Hier können Legastheniker zu Vorständen werden. Hier kann man Ziele setzen und erreichen. Hier entstehen neue Perspektiven … Die Schweiz ist ein Land, das jedem eine Chance gibt.» Schlussclaim: Wer Noser wähle, wähle «neue Chancen für Menschen, Ideen, Wirtschaft, Wachstum und Wohlstand». So sieht sich Noser am liebsten: als Macher. Als einen mit Weitblick.
Seinen politischen Erfolg verdankt der sympathische Herr Noser auch seinem Image als Freisinniger ohne ideologische Scheuklappen: So politisiert er etwa in der Klimapolitik am linken Rand seiner Partei und setzt sich für eine starke Bildung ein. Dazu politisiert Noser gesellschaftspolitisch fortschrittlich, unterstützt aktuell etwa den Vorstoss für eine Senkung des Stimmrechtsalters auf sechzehn Jahre. Letzten Herbst wurde er zum zweiten Mal in den Ständerat gewählt, davor sass er zwölf Jahre lang im Nationalrat.
Rückschläge hat Noser nur wenige erlebt: Die nicht erfolgte Nomination zum Bundesratskandidaten vor zehn Jahren – als seine Partei lieber auf Johann Schneider-Ammann setzte – gehört dazu, aber das hat Noser längst verwunden und seine Bundesratsambitionen inzwischen begraben. Das mache ihn freier, sagt er oft. So könne er im Parlament mehr Einfluss nehmen – weil er nicht taktieren müsse. Nicht alles abwägen.
Direkter Draht zu Economiesuisse
Rückblende. Herbst 2019, der Ständerat berät die Konzernverantwortungsinitiative (Kovi), die global agierende Schweizer Grosskonzerne für Menschenrechtsverletzungen und Verstösse gegen Umweltstandards haftbar machen will. Die Debatte dreht sich um einen Gegenvorschlag. Längst hat der Nationalrat eine weitreichende Version verabschiedet, die zu einem Rückzug der Initiative führen würde. Der Ständerat aber sträubt sich gegen Haftungsregeln für Konzerne.
Allen voran Ruedi Noser. In der Herbstsession stellt er erfolgreich den Antrag, die Ständeratsdebatte bis nach den eidgenössischen Wahlen im Oktober 2019 zu verschieben – und verhilft mit diesem Manöver einem zahnlosen Gegenvorschlag der grossen Wirtschaftsverbände zum Durchbruch, die zu diesem Zeitpunkt bei Bundesrätin Karin Keller-Sutter dafür weibeln (siehe WOZ Nr. 11/2020 ). Am Dienstag nun hat der Ständerat an seinem «Gegenvorschlag light», der Unternehmen lediglich zu einer Berichterstattung verpflichtet, festgehalten. In der aktuell laufenden Sommersession kommt es somit zu einer Einigungskonferenz – in der sich der Ständerat höchstwahrscheinlich durchsetzen wird.
Nosers Einsatz gegen die Kovi darf einen nicht wundern. Niemand in Bern hat wohl einen direkteren Draht zu den grossen Wirtschaftsverbänden: Noser ist Präsident der Wettbewerbskommission von Economiesuisse, seine beiden Bundeshaus-Zutrittbadges überlässt er den zwei Vertretern der PR-Agentur Furrerhugi, die regelmässig Kampagnen für die grossen Wirtschaftsverbände fährt. Andreas Hugi und Lorenz Furrer seien zwei alte Freunde, die er sehr schätze, sagt Noser. Ersterer amtete einst als Fraktionssekretär der FDP Kanton Zürich, Furrer wiederum half Noser 2003, sein freisinniges Reformprojekt «Avenir radical» zu organisieren.
Man hat nun einen anderen Noser vor sich. Nicht mehr die charmante Variante, sondern die beinharte, wütende. Noser teilt gegen die «naiven Linken» aus, die einfach nicht einsehen wollten, wer in der Schweiz Wertschöpfung generiere und den Wohlstand garantiere. «Ein paar wenige Grossunternehmen. Ohne Novartis, Roche oder Glencore wären wir hier auf dem gleichen Wirtschaftsniveau wie Portugal. Ich hatte als Erster den Mut, mich klar gegen diese schädliche Initiative zu positionieren.»
Mit Menschenrechtsargumenten prallt man bei Noser ab: Wer die Initiative für ein taugliches Mittel für mehr globale Gerechtigkeit halte, habe ein idealisiertes Weltbild, sagt er. Die Schweizer Unternehmen seien im Ausland beliebt, die Chinesen doch viel schlimmer. Und überhaupt: Solange es international keine einheitlichen Standards gebe, riskiere man bloss, «dass die Schweizer Unternehmen nach London abhauen». Aber ja, Noser vertritt in Bern nicht nur die Rohstoffbranche, sondern auch den Bankenplatz. Er ist CS-Verwaltungsrat, kämpfte jahrelang gegen den automatischen Informationsaustausch und sorgte im Parlament an vorderster Front für eine Aufweichung des Finanzdienstleistungsgesetzes zuungunsten der KundInnen.
Switzerland first
Wer also ist Ruedi Noser? Einer, der ihn aus jahrelanger Zusammenarbeit in der ständerätlichen Wirtschaftskommission (WAK) kennt, sagt, man dürfe sich nicht täuschen lassen. Noser kokettiere gerne mit seiner schwierigen Schulvergangenheit. Man merke aber schnell, was für ein kluger Kopf er sei. «Und wenn ihn ein Thema interessiert, dann legt er sich dafür ins Zeug.» Oft tut dies Noser mit Einzelanträgen – auch dann, wenn er gar nicht in der zuständigen Kommission sitzt. So auch bei den aktuell debattierten Überbrückungsrenten, zu denen er im Ständerat eine billigere Lösung durchgesetzt hat.
Zu den politischen Widersprüchen Nosers sagt der Weggefährte: «Er ist nicht einfach zu fassen, weil er einer der wenigen echten Liberalen ist. Die meisten FDler sind konservativ. Er nicht.» Noser sei einer der wenigen urbanen Wirtschaftsliberalen. Gesellschaftspolitisch grenzt er sich von seiner Partei ab, «wirtschaftspolitisch aber steht er weit rechts und den grossen Lobbys sehr nahe».
SP-Ständerat Roberto Zanetti, der ebenfalls mit Noser in der WAK sitzt, sagt: «Er ist liebenswert, witzig, man geht gerne eins trinken mit ihm.» Noser trage immer noch den Glarner Bergbub in sich, was wohl seine Sensibilität für gewisse Randregionen und Randgruppen geschärft habe. «Gleichzeitig ist er aber auch der Zürcher Wirtschaftsfreisinnige, der es geschafft hat.» Noser sei zwar kein Rechter ohne Herz, «im Gegensatz zu einem Linken geht er aber davon aus, dass es erst dem Einzelnen gut gehen muss, damit es irgendwann allen gut geht. Und nicht umgekehrt.»
Je länger man mit Ruedi Noser plaudert, desto wahrer scheint das. Noser sagt: «Ich bin entsetzt über die aktuelle Situation, dass man einfach mit der Giesskanne Geld verteilt.» Man müsse sich doch selber helfen und nur ihm äussersten Notfall zum Staat rennen. Er selbst war in der Coronakrise dagegen, dass Unternehmen, die Kurzarbeit beantragen, keine Dividenden ausschütten sollen. Ohne Dividenden könne er seine Vermögenssteuer nicht bezahlen, sagt Noser.
Gegen Ende des Treffens versucht er noch einmal, die Frage nach seiner Grundüberzeugung zu beantworten: Am Ende gehe es ihm um seine Kinder, sagt er. Er wolle für diese eine gute Zukunft. «Du rettest die Welt nicht, indem es der Schweiz schlechter geht.» Also Switzerland first? «Ein bisschen, vielleicht», sagt Noser. Steht auf und verabschiedet sich.