Medienförderung: Das grosse Kuddelmuddel
Statt auf eine offensive Diskussion setzt der Bundesrat auf freundeidgenössische Subventionierung: Die künftige Medienförderung wird kaum den Journalismus stärken, sondern zu einem intransparenten Verteilkampf führen.
Woran orientiert sich die Medienförderung in der Schweiz? Nun ja, wird man sich denken, am technologischen Wandel, an der Finanzierungskrise der Medien, bestenfalls an ihrer demokratiepolitischen Bedeutung. Weit gefehlt: Wenn nächste Woche der Ständerat über die Zukunft der Medienförderung diskutiert, so wird sie von einem Verfassungsartikel aus der Vergangenheit bestimmt, von Artikel 93 der Bundesverfassung: «Die Gesetzgebung über Radio und Fernsehen sowie über andere Formen der öffentlichen fernmeldetechnischen Verbreitung von Darbietungen und Informationen ist Sache des Bundes.»
Der Artikel hat über Jahrzehnte das Selbstverständnis der Medien in der Schweiz geprägt. Auf der einen Seite brachte er das stolze öffentlich-rechtliche Radio und Fernsehen hervor, das über Gebühren finanziert wird – 1,2 Milliarden Franken jährlich sind es derzeit. Auch die privaten Radio- und Fernsehsender profitieren mit 81 Millionen von den Gebühren. Auf der anderen Seite standen die nicht minder stolzen Verleger, deren Publikationen bewusst nicht vom Artikel erfasst waren: Weil sie kein Geld vom Staat erhielten, glaubten sie sich an Unabhängigkeit im Geist unübertroffen. Lediglich für Zeitungen mit kleinerer Auflage wie die WOZ sowie die Partei- und Verbandspresse gibt es bislang eine Posttaxenverbilligung.
Das Ende des Stolzes
Der Stolz währte so lange, bis die Werbeeinnahmen zu Google und Facebook wegbrachen. In den letzten zehn Jahren haben sie sich mehr als halbiert. Betroffen von der Finanzierungskrise sind vor allem die Regional- und Lokalzeitungen, etwa die Titel der AZ-Medien und der NZZ, die sich unter das Dach von CH Media geflüchtet haben. Entsprechend müsste eine Medienförderung in den Kantonen ansetzen, über deren Politik und Justiz meist nur noch ein Monopolist berichtet.
Doch dem steht Artikel 93 im Weg. Er schafft eine Zweiteilung zwischen «fernmeldetechnischen» und «gedruckten» Medien, fokussiert also auf die Verbreitungskanäle. Damit verhindert er bis heute die Diskussion darüber, ob nicht die journalistische Arbeit an sich gefördert werden müsste. Diese Diskussion scheuen alle Beteiligten vom Bundesamt für Kommunikation über die MedienpolitikerInnen bis zu den Verlagen, würde sie doch an einem Tabu rütteln: Soll der Bund alle Medien unabhängig von ihrer Form fördern? Und was heisst die jeweilige Förderung für die Pressefreiheit?
Trennung wird zementiert
Die Wirkung von Artikel 93 war bisher bei allen Vorschlägen fatal. So prägte er das gescheiterte Mediengesetz der früheren Medienministerin Doris Leuthard, mit dem die Branche viel Zeit verlor. Mitten in der irrlichternden No-Billag-Diskussion beschworen Private und SRG nochmals ihre alten Gegensätze, Fördergelder sollte es bloss für Onlinemedien geben, die sich allein auf audiovisuelle Inhalte beschränkten. Auch wenn niemand ein solches kannte – ausser Youtube vielleicht. Als Simonetta Sommaruga das Departement für Umwelt, Verkehr und Kommunikation übernahm, warf sie das unbrauchbare Gesetz zu Recht in den Papierkorb.
Das nun vorgeschlagene Massnahmenpaket schafft Artikel 93 nicht ab, sondern umschifft ihn. Zum einen wird für die Presse, die vom Artikel nicht erfasst ist, die Posttaxenverbilligung ausgebaut, von 30 auf 50 Millionen Franken. Davon profitieren auch die grossen Verlage. Zum anderen werden «Onlinemedien» neu mit 30 Millionen gefördert. Subventioniert werden sollen sie anteilsmässig nach dem Umsatz, den sie mit digitalen Erlösen machen, wozu Abos wie Spenden gehören. Für Gratisportale gibt es kein Geld. Drittens wird der Bund Geld in die Nachrichtenagentur Keystone-SDA, den Presserat oder die Weiterbildung von JournalistInnen investieren.
Der Vorschlag ist kurios, weil es heute praktisch keine reinen Printzeitungen mehr gibt und nur wenige reine Onlinemedien mit Bezahlangeboten. Die meisten Medien verkaufen Print- wie Digitalabos, und sie verlangen für bestimmte Inhalte Geld, für andere nicht. Logisch wäre es also, Abos generell zu subventionieren oder gleich die journalistische Arbeit. Stattdessen droht das grosse Kuddelmuddel: Jedes Medium muss in Zukunft wohl seinen Print- und seinen Digitalerlös errechnen. Für das eine gibt es Posttaxenverbilligung, für das andere eine Umsatzaufstockung.
In der Botschaft zum Massnahmenpaket schreibt der Bundesrat, er wolle die digitale Transformation unterstützen. Das Gegenteil ist der Fall: Er zementiert die künstliche Trennung von Print und Online. Wie alles zurechtgebogen wird, zeigt sich bei den Massnahmen für die SDA und die Weiterbildung. Ihre Förderung kommt in den Detailpassagen, treu Artikel 93 folgend, nur den Onlinemedien zugute. In der Zusammenfassung heisst es dennoch, der ganze Mediensektor könne davon profitieren.
Auch wenn der Verfassungsartikel dem Schein nach gewahrt wird, bedeutet das Rettungspaket einen Systemwechsel. War die Posttaxenverbilligung eine indirekte Förderung der Medien, so ist die Aufstockung der Digitalerlöse eine direkte staatliche Subventionierung. Profitieren sollen davon besonders regionale Plattformen. Nach welcher Zauberformel dies geschehen soll, ist völlig unklar. Der Gesetzesentwurf liefert bloss wolkige Parameter. Auflagen für die Grossen sucht man sowieso vergeblich. Subventioniert werden auch gewinnträchtige Konzerne wie die TX-Gruppe oder Ringier.
Das skandinavische Vorbild
Wenn der Bund Medien direkt fördern will, könnte er das auch gleich richtig tun. Wie das gehen würde, beschreiben die Medienwissenschaftler Manuel Puppis und Etienne Bürdel in einer Vergleichsstudie, die der Gesetzesbotschaft beiliegt. In Dänemark etwa wird eine «Produktionsunterstützung für textbasierte Nachrichtenmedien» gesprochen. Ob diese Texte nun gedruckt, online oder auf allen Kanälen gleichzeitig erscheinen, ist egal. Voraussetzung für die Förderberechtigung sind drei journalistische Vollzeitstellen. Investiert wird also nicht in die Vertriebskanäle, sondern in die Arbeit der JournalistInnen. Norwegen kennt das gleiche Modell, dort gibt es bei einer Subventionierung zudem eine Beschränkung von Gewinn und Dividenden.
Warum wird dieser Ansatz nicht auch in der Schweiz angewendet? Den Studienautoren genügen dafür zwei Sätze: «Grundsätzlich wäre eine konvergente Förderung auch in der Schweiz sinnvoll. Da eine direkte Förderung der gedruckten Presse aber einer Verfassungsänderung bedarf, ist dies kurzfristig nicht umsetzbar.»
Bei aller Kritik am vorliegenden Entwurf: Es ist immer noch besser, dass diese Förderung beschlossen wird, als gar keine. Die Zeit für die Medien drängt. Dass Sommaruga ihren Vorschlag durchbringt, ist wahrscheinlich. Schliesslich erhalten mit diesem freundeidgenössischen Gebastel alle etwas: Die Grossen haben in den Kommissionen dafür gesorgt, dass sie neben der Posttaxenverbilligung gleich auch noch die Frühzustellung bezahlt bekommen, mit weiteren vierzig Millionen Franken. Die Kleinen wiederum hoffen bei den Digitalerlösen je nach Verteilschlüssel auf eine überproportionale Förderung.
Und die PolitikerInnen? Sie haben in der Vorberatung schnell noch ihre Klientel bedient: Ganze zehn Millionen sollen zusätzlich an die Partei- und Verbandspresse gehen.