Gemeindewahlen in Frankreich: Frischer Wind für die Städte

Nr. 27 –

Frankreichs Rathäuser werden grüner, weiblicher und jünger: Die Wahlen vom Sonntag fanden zwar unter besonderen Vorzeichen statt, aber die Resultate sind erfreulich. Wird Frankreichs Linke diese Chance nutzen?

Fast überall im Land ist es am Wochenende ein bisschen grüner geworden. In vielen grossen Städten wie Marseille, Strassburg, Bordeaux oder Lyon haben grüne PolitikerInnen die zweite Runde der Gemeindewahlen gewonnen. VertreterInnen der zehn Jahre alten Europe Écologie – Les Verts (EELV) sprachen von einer historischen Zeitenwende.

Im Pandemiejahr 2020 ist ohnehin alles historisch, liesse sich einwenden. Vor allem springt die dramatisch niedrige Wahlbeteiligung ins Auge: Sechzig Prozent der Wahlberechtigten gingen gar nicht erst zur Urne. Zu sehr dürfte nachgewirkt haben, dass die erste Wahlrunde Ende März trotz steigender Coronafallzahlen abgehalten wurde, was später als Mitursache für die hohen Ansteckungsraten ausgemacht wurde. Und viele FranzösInnen haben derzeit grosse wirtschaftliche Sorgen, die den Wahlsonntag in den Hintergrund rücken liessen. Dessen Ausgang ist also in vielerlei Hinsicht mit mehr Fragezeichen behaftet, als es den Grünen lieb ist.

Erfolgreich gegen Autos

Nicht zu vergessen ist auch, dass die konservativen Rechten ihre Wahlbezirke mehrheitlich verteidigt haben. Das ist nicht weniger als die Hälfte aller Gemeinden. Und das rechtsextreme Rassemblement National (RN) um Marine Le Pen hat mit dem südfranzösischen Perpignan erstmals eine Stadt mit über 100 000 EinwohnerInnen erobert und feiert das als grossen Erfolg, auch wenn es gegenüber den letzten Wahlen 2014 zwei von zehn Städten wieder verloren hat. Indiskutabel gescheitert ist hingegen das Vorhaben der liberalen Partei von Präsident Emmanuel Macron, La République en marche, sich auch auf lokaler Ebene zu verankern – abgesehen vom Wahlsieg des beliebten Premierministers Édouard Philippe, der in Le Havre als Bürgermeister bestätigt wurde.

Was haben demgegenüber die Erfolge der Grünen zu bedeuten? Lange hing den FranzösInnen der Ruf nach, sie hätten ein eher geringes Interesse an Umwelt- und Klimaschutz und seien unkritisch gegenüber ihrer grossen Abhängigkeit vom Atomstrom. In den Städten ist derzeit aber ein neues ökologisches Bewusstsein spürbar. Gut möglich, dass der Lockdown dazu beigetragen hat: Während der acht Wochen strenger Ausgangssperre haben etwa die BewohnerInnen von Paris erlebt, was es heisst, wenn Parks geschlossen bleiben – und wie wichtig saubere Luft zwischen den Häuserzeilen ist. Auch freuten sie sich über Fahrradstreifen, die aufgrund des gesunkenen Verkehrsaufkommens spontan angelegt wurden.

Nun war die Hauptstadt ein Gradmesser dafür, ob sich Wahlen mit dem Versprechen für eine harte Antiautopolitik gewinnen lassen. Und die amtierende Bürgermeisterin, Anne Hidalgo, hat gezeigt, dass das geht. Mit den Grünen als JuniorpartnerInnen gewann die Sozialdemokratin mit grossem Abstand vor der konservativen Herausforderin Rachida Dati. Auch viele der grünen Wahlsiege im ganzen Land wurden übrigens von Frauen errungen: von Jeanne Barseghian in Strassburg, von Anne Vignot in Besançon, von Michèle Rubirola in Marseille. Im Spitzenamt werden die französischen Grossstädte nicht nur grüner, sondern auch weiblicher und jünger.

Die linke Lücke füllen?

Allein mit der Arbeit der EELV lassen sich die Wahlerfolge indes nicht erklären. Die Grünen sind in Frankreich bislang politisch kaum in Erscheinung getreten, sieht man von den beachtlichen vierzehn Prozent bei den letzten Europawahlen ab, die im Zuge der weltweiten Klimabewegung erreicht wurden. Ansonsten war die Partei vor allem geprägt von häufigen Personalwechseln. Und wie sich die Partei abseits der Umweltpolitik positioniert, blieb unsichtbar. Im letzten Jahr schockte dann der Rücktritt des grünen Umweltministers Nicolas Hulot. Angesichts der neoliberalen Haltung Macrons sah er für eine nachhaltig ökologische Politik keinen Handlungsspielraum und warf verbittert das Handtuch.

In diesen Tagen aber, in denen ja alles historisch ist, setzten die Grünen statt auf ein einsames Aussenseiterdasein auf unterschiedlichste, teils breite Allianzen: mal mit der Linksbewegung La France insoumise von Jean-Luc Mélenchon, mal mit dem bereits totgeglaubten Parti Socialiste, mal mit beiden. Und plötzlich war sie wieder da, die Hoffnung auf eine grosse linke Bewegung, die sich zusammenrafft und ihre Grabenkämpfe überwindet. Neu allerdings ist, dass der gemeinsame Nenner Umwelt- und Klimaschutz heisst. Es scheint, als könnten die Grünen damit die grosse Lücke auf der linken Seite besetzen, die die untergehenden SozialistInnen hinterlassen haben.

Ein Rathaus ist aber noch lange kein Élysée-Palast, und auch wenn GrossstädterInnen von Elektrorollern schwärmen und sich weniger Abgase und mehr Produkte aus lokaler Produktion wünschen, bildet das nur eine von mehreren gesellschaftlichen Wahrheiten ab – begannen doch die monatelangen Gelbwestenproteste im letzten Jahr wegen einer geplanten Klimaabgabe auf Kraftstoffe in den ländlichen Gebieten. Fragt sich also, wie die erstarkten Grünen soziale Fragen angehen. Vielleicht gelingt es ihnen tatsächlich, auch SozialistInnen und enttäuschte Macron-WählerInnen für sich zu gewinnen, indem sie wirtschafts- und sozialpolitische Akzente setzen. Der Moment dafür war nie günstiger als jetzt – auch wenn morgen schon Geschichte sein kann, was heute historisch scheint.