Frankreichs Präsident: Plötzlich bürgernah
Seit Monaten stolpert Emmanuel Macron von einer Krise zur nächsten, nun stellt er seine Regierung mit einer Kabinettsumbildung neu auf. Und bei der Linken steht die Polizei vor der Tür.
Emmanuel Macron liess zuletzt mit Demutsgesten aufhorchen. So betonte Frankreichs Präsident während eines Besuchs auf den Antillen Anfang Oktober, dass er gekommen sei, um «zuzuhören». Und er sagte: «Ich bin nicht perfekt, manchmal muss man sich korrigieren.»
Offensichtlich bemüht sich Macron, der lange schon als abgehobener «Präsident der Reichen» bespöttelt wird, in einem kritischen Moment seiner Amtszeit um einen neuen Ton. Hinter ihm liegt eine monatelange Pannenserie, seine Regierung taumelte von Krise zu Krise. Der einst gleich in den Götterhimmel gelobte «président jupitérien» scheint längst genau so ein Präsident zu sein wie seine Vorgänger – mit denselben Beliebtheitswerten und Skandalen. Offenbar trägt die Strategie des permanenten Aufbruchs und stets neuer Grossreformen nicht mehr, die Macron noch während seines ersten Regierungsjahrs die Aura des über Grabenkämpfe erhabenen Erneuerers sicherte.
Dubioser Fall von Polizeigewalt
Den Beginn der Pannenserie markierte die im Juli enthüllte «Benalla-Affäre»: Eigentlich Sicherheitsmann im Élysée, wurde Alexandre Benalla dabei gefilmt, wie er am 1. Mai in Paris auf Demonstranten einprügelte – was für sich genommen schon schlimm genug wäre. Dazu kam aber noch, dass Benalla bei seiner Prügelattacke Abzeichen der Polizei trug, sodass der Verdacht entstand, ein Günstling des Präsidenten mische sich unerlaubt in Polizeiaktivitäten ein.
Ende August erklärte dann Macrons Umweltminister Nicolas Hulot in einem Radiointerview seinen Rücktritt. Als ehemaliger Fernsehmoderator und langjähriger Aktivist war Hulot ein populäres Gesicht der Regierung; jetzt kritisierte er, dass Umweltschutz im Kabinett nur von nachrangiger Bedeutung sei.
Schliesslich trat am 3. Oktober auch noch Innenminister Gérard Collomb zurück, der lieber für eine vierte Amtszeit als Bürgermeister Lyons kandidieren will. Collomb galt als enger Vertrauter Macrons und unterstützte schon früh dessen Präsidentschaftskandidatur. Zum Abschied kritisierte er nun die «mangelnde Bescheidenheit» Macrons.
Ministerin im Kreuzfeuer der Kritik
Auf Collombs Rücktritt reagierte Macron mit einer grösseren Kabinettsumbildung. Neuer Innenminister wird mit Christophe Castaner ein Unterstützer Macrons der ersten Stunde. Der frühere Sozialist war bisher Chef der Macron-Partei La République en Marche (LRM) und schielte schon länger auf den Posten. Als glühender Verehrer des Präsidenten wird er von der französischen Presse abschätzig als «der Ja-Sager» tituliert.
Auch Kulturministerin Françoise Nyssen scheidet aus der Regierung. Als Leiterin des profilierten Verlags Actes Sud war sie neben Hulot wichtiges Aushängeschild der Zivilgesellschaft in der Regierung. Zuletzt stand sie allerdings in der Kritik, weil sie verdächtigt wurde, die Pariser Dependance ihres Verlags ohne Genehmigung ausgebaut zu haben; daraufhin erklärte sie, sie sei auf die «Gewalt und Brutalität» von Medien und Politik nicht vorbereitet gewesen. Ihr Nachfolger Franck Riester kommt von den konservativen Les Républicains.
Neben weiteren Wechseln sticht die Schaffung eines neuen Ministeriums für «territorialen Zusammenhalt und Regionen» heraus, das die bisherige Staatssekretärin Jacqueline Gourault vom bürgerlich-liberalen Mouvement démocrate bekleidet. Damit erfüllt Macron eine Forderung von RegionalpolitikerInnen, zu denen das Verhältnis zuletzt angespannt war: LRM-Abgeordnete lancierten die Kampagne #balancetonmaire (Verpfeif deinen Bürgermeister), die sich gegen BürgermeisterInnen richtet, die im Verdacht stehen, die Effekte einer Steuersenkung mit Erhöhungen auf Gemeindeebene wieder zu kassieren.
Obwohl Macron die Bedeutung des Kabinettsumbaus herunterspielt, will er offenkundig seine Regierung vor den Europawahlen im Mai 2019 und den Gemeindewahlen im Frühjahr 2020 neu ausrichten. Er gibt sich selbstkritisch, seine Regierung soll dialogbereiter erscheinen. Auch die Partei des Präsidenten sortiert sich neu. So deutete Parlamentspräsident Richard Ferrand kürzlich an, die «Vertikalität» der ersten Regierungsphase werde nun von einer kooperativeren Vorgehensweise abgelöst: «Allein geht es schneller, aber zusammen kommt man weiter.»
Bollwerk gegen Populismus?
Auch programmatisch versucht die LRM, das Profil zu schärfen. Mit dem Begriff des Progressivismus soll die Bewegung eine vom charismatischen Anführer unabhängige Substanz erhalten. Entlang von Werten wie Freiheit, Arbeit als Mittel individueller Emanzipation oder dem Bekenntnis zu Europa will man sich ideologisch profilieren. Der Macronismus bringt sich damit als Bollwerk gegen «Nationalismus und Populismus» in Stellung und soll so als dauerhafte politische Strömung etabliert werden.
Und was macht die linke Opposition? La France insoumise von Jean-Luc Mélenchon geriet vergangene Woche unter Druck, als ihre Büros von der Polizei durchsucht wurden. Neben den Finanzen der Präsidentschaftskampagne und von Mélenchons MitarbeiterInnen im EU-Parlament geht es auch um den Immobilienbesitz des Politikers. Er sieht darin einen von der Regierung organisierten Einschüchterungsversuch gegen die Opposition. Mélenchon geht nun rechtlich gegen JournalistInnen vor, die Details aus der laufenden Untersuchung veröffentlichten, und nannte sie «abrutis» (Blödmänner).