SVP-Kündigungsinitiative: Der Kampf des alten Eiferers

Nr. 33 –

Diese Woche hat die SVP ihren Abstimmungskampf zur Kündigung der Personenfreizügigkeit lanciert. Doch die Initiative scheint nicht zu zünden. Warum setzt die Partei auf ein totes Pferd? Ein Erklärungsversuch.

Die elende SVP-Zwängerei ist langweilig: Selbst unter der SVP-Wählerschaft lehnen nur 33 Prozent die bilateralen Verträge ab. Foto: Gaetan Bally, Keystone

Die Lancierung der Abstimmungskampagne zur «Begrenzungsinitiative» der SVP lässt sich mit einem Wort zusammenfassen: diffus. Zwar bot der Start einen Vorgeschmack darauf, was die Schweiz in den kommenden Wochen erwartet. Welche Ziele die Partei mit ihrer Initiative aber eigentlich genau verfolgt, ob sie selbst überhaupt an einen Sieg glaubt, blieb unklar.

Vor den Bundeshausmedien beschwor die SVP am Dienstag einmal mehr die dystopische Kulisse einer allseits bedrohten Schweiz: «Zu viel ist zu viel», so das Motto. Von einer «Apokalypse der Langsamkeit» durch «endlose Staus» war da die Rede, von gefällten Bäumen, verschwindenden Grünflächen, überfüllten Städten und der «Massenansässigkeit» von AusländerInnen, die dazu auch noch kriminell seien. Ein Potpourri altbekannter SVP-Parolen und neudoofer Wortschöpfungen.

Geschimpft wurde auf die Gewerkschaften, die statt des Wohles der ArbeiterInnen bloss luxuriöse Salongespräche über das Weltgeschehen im Sinn hätten. Heraufbeschworen wurde einmal mehr der SVP-Mythos eines heldenhaften Kampfes von David gegen Goliath. Am Dienstag wurde auch das Abstimmungsplakat enthüllt: ein dicker EU-Hintern, der die Schweiz erdrückt, bis sie in Stücke zerbricht.

Riskante Lancierung

Mit der Abstimmung über die Kündigungsinitiative, wie die GegnerInnen der «Initiative für eine massvolle Zuwanderung» diese nennen, drückt die SVP der Schweizer Stimmbevölkerung am 27. September zum wiederholten Mal ein Votum über ihr Verhältnis zur Europäischen Union auf. Im Gegensatz zu früheren Vorlagen ist die Ausgangslage diesmal klar: In die Verfassung soll die Kündigung der Personenfreizügigkeit (PFZ). Diese erlaubt es EU-BürgerInnen, in der Schweiz zu arbeiten – und den SchweizerInnen, in der EU tätig zu sein.

In Zukunft soll die Zuwanderung durch die Behörden geregelt werden, so will es der Initiativtext. Ein Jahr hätte die Schweiz Zeit, um einen neuen Deal auszuhandeln. Gelingt dies nicht, müsste der Bundesrat die PFZ kündigen. Weil das Abkommen mit sechs anderen Verträgen der Bilateralen I verknüpft ist, hätte dies auch deren Wegfall zur Folge. Diesmal also geht es ums Ganze. Wie aber ist es überhaupt zu dieser Initiative gekommen? Und hat die SVP sie in dieser Radikalität überhaupt gewollt?

Die Initialzündung kam im Dezember 2016 jedenfalls nicht von der Parteileitung, sondern von SVP-Nationalrat Lukas Reimann, dem Präsidenten der Auns (Aktion für eine unabhängige und neutrale Schweiz). Aufschluss über diese Zeit bringt ein Anruf beim inzwischen wegen seiner Eskapaden von der SVP aussortierten Exnationalrat Luzi Stamm. Stamm machte zuletzt durch eine bizarre Episode von sich reden (er kaufte einem Berner Dealer Kokain ab, um dann im Bundeshaus die Polizei zu informieren). Bei der im Februar 2014 haarscharf angenommenen «Masseneinwanderungsinitiative» (MEI) war Stamm Kampagnenleiter.

Er habe damals auch den Text der MEI entworfen, sagt Stamm. In der Folge habe die SVP-Spitze einige Details abgeändert. Luzi Stamm ist äusserst redselig. Den letzten Tag der Wintersession 2016, als Reimann alleine vorpreschte, schildert er so: «Ich kam ins Bundeshaus und wurde sofort von Journalisten mit Fragen bestürmt, dabei war ich selbst noch gar nicht darüber informiert, dass Lukas Reimann die Lancierung bekannt gegeben hatte.» Er habe sich gedacht: «Gopfridstutz, das hat er gut gemacht. Reimanns Schachzug, einfach mal vor die Medien zu treten, war hervorragend.»

In jenem Dezember 2016 stand die SVP vor einem Dilemma: Das Parlament hatte die MEI zur Unzufriedenheit der Partei mit einem «Inländervorrang light» umgesetzt. Die SVP schrie laut «Verfassungsbruch!» und hielt im Nationalratssaal entsprechende Schilder in die Pressekameras. Gegenüber ihrer Wählerschaft signalisierte die «Volkspartei» damit Entschlossenheit.

Gleichzeitig war aber auch den Parteistrategen klar, wie riskant die Lancierung einer neuen Initiative sein würde – schliesslich hatte man die MEI mit dem Versprechen gewonnen, dass alles zu haben sei: die Neuaushandlung des Vertrags über die PFZ, mit der die Schweiz die Kontrolle über die Einwanderung zurückgewinnen werde, und gleichzeitig der Erhalt aller anderen bilateralen Verträge. Für diese hat die Stimmbevölkerung mehrfach votiert – und es gibt auch in der SVP genügend WirtschaftsvertreterInnen, die den Zugang zum europäischen Binnenmarkt nicht aufs Spiel setzen wollen. Die SVP zögerte, wollte sich alle Optionen offenhalten.

«Sie muss weg»

Wenige Tage vor seinem Vorpreschen hatte sich Lukas Reimann mit Christoph Blocher getroffen. Dass er den Chefstrategen der Partei nicht über sein Vorhaben informierte, ist schwer vorstellbar. Reimann bleibt vage. Es sei bei dem Treffen nicht direkt um die neue Initiative gegangen, sagt er. «Blocher hat vor allem auf einen Rückzug der von uns damals ebenfalls angedachten Anti-Schengen-Initiative gedrängt. Er wollte, dass wir stattdessen auf den Kampf gegen das Rahmenabkommen fokussieren.» Nach dem Treffen beerdigte Reimann die Initiative, die die Kündigung des Schengen-Abkommens wollte.

Mitte Januar 2017, knapp einen Monat nach der «Nichtumsetzung» der MEI durch das Parlament, traf sich die SVP im Oberwalliser Dorf Le Châble zur Delegiertenversammlung. «Ich war äusserst gespannt, wie sich Christoph Blocher positionieren würde. Er hat dann zum Glück keinen Zweifel daran gelassen, dass er die Auns-Initiative unterstützt», sagt Stamm. In Le Châble hätten Vertreter der SVP-Parteileitung und der Auns auch bereits die Schaffung einer Arbeitsgruppe beschlossen, die später Varianten für einen Initiativtext ausarbeiten sollte. Reimann sagt dazu: «Daran erinnere ich mich nicht mehr genau, aber es ist denkbar.»

Um sicherzustellen, dass die Arbeitsgruppe auf Kurs bleibt, setzte Blocher einen Vertrauten ein: Altnationalrat Caspar Baader. Ausserdem mit im Boot: die SVP-Alphatiere Gregor Rutz, Roger Köppel und Thomas Matter sowie die Auns-Vertreter Lukas Reimann, Luzi Stamm und Oswald Kessler. Die ausgearbeiteten Vorschläge wurden der breiten Öffentlichkeit erstmals an der Auns-Mitgliederversammlung am 6. Mai präsentiert. Eine Arbeitsteilung, die von Blocher wohl so gewollt war: Die Auns stand bei der Lancierung der heiklen Initiative im Vordergrund. Am Ende aber beschloss die SVP-Basis einstimmig die von Blocher favorisierte, radikalste Variante: Nicht nur soll der PFZ mit der EU ein Ende gesetzt werden. Auch das Aushandeln jeglicher Freizügigkeitsabkommen soll ein für alle Mal verboten werden.

Dass ihm die PFZ von jeher ein Dorn im Auge ist, hat Blocher immer wieder betont. Sie müsse weg, sagte er etwa im Herbst 2016 der NZZ. «Sie ist ein Irrtum.» Auch «der grosse Ökonom Milton Friedman» habe das schon gewusst. Nun, da die Abstimmung über deren Kündigung immer näher rückt, scheint den Milliardär die Kampfeslust jedoch etwas verlassen zu haben.

Statt gegen seinen langjährigen Lieblingsfeind EU zu wettern, machte er diesen Sommer vor allem mit bizarren Rentenansprüchen von sich reden. Auch Blocher weiss wohl, dass selbst die Parteibasis nicht geschlossen hinter dem Angriff auf die PFZ steht. Im Juni hat das Forschungsinstitut GfS Bern im Auftrag des Branchenverbands Interpharma die Beziehungen der SchweizerInnen zur EU untersucht. Selbst unter der SVP-Wählerschaft sprachen sich 19 Prozent für die bilateralen Verträge aus, 43 Prozent standen ihnen mit gemischten Gefühlen gegenüber, während nur 33 Prozent die Abkommen ablehnten.

Klar ist: Eine Annahme der Kündigungsinitiative würde keineswegs «die Probleme der unkontrollierten Zuwanderung» lösen, wie es die ParteiexponentInnen am Dienstag vor den Medien behaupteten. Sie würde vielmehr die ArbeiterInnen entrechten, was auch die Absicht der SVP ist.

«Der Wegfall der Personenfreizügigkeit hätte für viele ausländische Angestellte einen unsicheren Aufenthaltsstatus zur Folge», sagt Daniel Lampart, Chefökonom des Schweizerischen Gewerkschaftsbunds. «Sie könnten sich schlechter gegen Missbräuche wehren. Die Arbeitgeber sässen am längeren Hebel. So kämen die Arbeitsbedingungen stark unter Druck.» Lampart fürchtet eine Schwächung von Lohnschutz und Arbeitsrechten. Auch die sogenannten flankierenden Massnahmen, die Lohndumping verhindern sollen und an die PFZ gebunden sind, wären gefährdet. Der Umgang mit ArbeiterInnen aus der EU müsste dann erst neu – analog zur heutigen Regelung mit Drittstaatenangehörigen – ausgestaltet werden.

«Internes Mobilisierungsprojekt»

Dass es ihr um einen Angriff auf die flankierenden Massnahmen geht, hat die SVP nie bestritten. Schon bei der Lancierung der Initiative beklagte Magdalena Martullo-Blocher die aus ihrer Sicht negativen Folgen: Mindestlöhne, Ferienregelungen und Kündigungsschutz. Für Lampart ist daneben aber auch ein anderer Punkt zentral: «Die Initiative ist für die SVP auch ein internes Mobilisierungsprojekt.» Es gehe darum, die eigene Basis gegen die EU auf Linie zu bringen.

Auch wenn die SVP die Abstimmung verliert, wäre die Europadiskussion allerdings keinesfalls vom Tisch. Nicht umsonst schwor Blocher die Auns im Dezember 2016 auf den Kampf gegen das Rahmenabkommen ein. Nach der Abstimmung über die Kündigungsinitiative wird die Debatte darum mit Sicherheit wieder aufflammen.

Für Christoph Blocher hat der Kampf gegen die verhasste EU schon in den neunziger Jahren begonnen, auf dieser Position hat er seine Karriere aufgebaut. Seit der überraschenden Absage der Schweizer Stimmbevölkerung an einen Beitritt zum Europäischen Wirtschaftsraum 1992 ist die Ablehnung gegenüber «Brüssel» der Kitt, der die SVP zusammenhält.

Dass sie nun eine Kampagne für eine Initiative führen muss, die keinen Nerv zu treffen scheint und von sämtlichen Parteien, Gewerkschaften und Wirtschaftsverbänden bekämpft wird, zeigt für Politgeograf Michael Hermann: Blocher habe grosse Durchsetzungskraft, doch er sei keineswegs der Volksversteher, als der er oft beschrieben werde: «Er hatte nie ein spezielles Gespür.» Vielmehr sei der Patriarch aus Herrliberg vor allem ein Getriebener, ein Eiferer.