Von oben herab: Väter und Söhne
Stefan Gärtner über Camping und mehr
Ferien mit einem Einjährigen sind natürlich Quatsch, es sei denn, unter Ferien verstünde wer, um halb sieben aufzustehen, um den Rest des Tages hinter dem Söhnchen herzulaufen, damit es weder die erreichbaren Ferienhausküchenschränke ausräumt noch sich beim haltsuchenden Hüpfen auf der Sofakante das Genick bricht. Ist noch ein Siebenjähriger dabei, erhält man immerhin Einblick in Sachbilderbücher, die mit Informationen aufwarten wie der, dass sich die weltweit grösste Flussinsel im Amazonas befindet und «so gross wie die Schweiz» ist. Eine Insel, umgeben von einem staunenswert vielfältigen, dabei aber auch gefährlichen Gewässer: Damit ist das Lebensgefühl der Eidgenossenschaft natürlich sehr gut getroffen.
In Grössenvergleichen kommt die Schweiz eher selten vor, jedenfalls ausserhalb der Schweiz. In Deutschland ist das Saarland das Eichmass aller Dinge, weswegen die Schweiz im Reich nicht so gross wie die Schweiz ist, sondern sechzehnmal das Saarland. Das Saarland ist zwar klein, aber sechzehn Stück davon sind dann doch gross genug, dass alle Schweizer und Schweizerinnen darin Urlaub machen können, und seit Corona in der Welt ist, ist das auch nötig.
Inländische Reiseziele wie das Zürcher Oberland oder das Oberengadin sind plötzlich sehr populär geworden und ja auch für Familien ideal, weil Einjährige an Dinge, die weit oben sind, nicht so gut herankommen und es genügend Campingplätze gibt, wo für «Zwist zwischen Mann und Frau» («Tagi») gesorgt ist. Denn «Camping spaltet die Geschlechter»: Männer suchen, mit Grill und Bierkühlbox bewaffnet, das einfache Leben in der Natur, während Frauen keine Lust haben, auch noch im Urlaub zu kochen und zum Pinkeln nachts die Taschenlampe mitzunehmen. «Auffallend viele Paare würden im brandneuen Wohnmobil vorfahren, beobachten die Campingbetreiber: Der Corona-Sommer hat viele auf die Idee gebracht, sich einen Camper anzuschaffen. Nicht selten würden diese Paare früher als geplant abreisen, auch bei bestem Wetter, ein untrügliches Signal dafür, dass Frau und Mann nicht gleicherweise begeistert waren. Deshalb: Unbedingt vorher testen, ein Fahrzeug mieten, (…) ‹sonst sind schnell mal 70 000 Franken in den Sand gesetzt.›»
Für die man, Vorschlag meinerseits, auch zwanzig bis dreissig Sommer in einem dänischen Ferienhaus verbringen kann, dessen zahlreiche Schubladen und Schranktüren man vielleicht mit Kilometern Kreppband gegen zerstörerischen Zugriff sichern muss, doch wenigstens wirds nachts nicht kalt wie im Schweizer Bergland, und keine Frau muss Reissaus nehmen. Im Gegenteil sind bereits die ersten Ferienhäuser weiss statt klassisch schwarz gestrichen, denn was einmal in frischen Ostseesommern nützlich war, wird unter Erderhitzungsbedingungen zur Falle.
Wenn Frauen Camping doofer finden als Männer (lies: als Männer Camping finden!), steckt man mitten in der Geschlechterfrage, wobei ich Campen freilich ebenfalls hasse und es immer noch ungeklärt ist, ob Frauen nun naturgemäss lieber aufs eigene Klo gehen oder dazu erzogen werden. Meine gerade zehnjährige Nichte brach neulich in Tränen aus, als wir übers Klimaproblem sprachen und ihr der zutreffende Gedanke kam, dass Lichtausmachen im Westen die Menschen im Süden nicht rette, wenn sie bloss ganz allein das Licht ausmache. Den Vater, vom linksextremen Bruder genervt, versuchte ich mit dem unbedachten Hinweis zu beruhigen, wir hätten «nun mal Söhne» und seien derlei «nicht gewohnt», eine Einlassung, die viel weniger reaktionär ist, als sie klingt: Denn natürlich heult der Grosse gern und oft, aber nicht wegen armer Leute irgendwo, sondern weil wir ihm das Videospiel wegnehmen.
Jungen, heisst es gern pauschal, würden zu Widerstand und Egozentrik erzogen. Von mir auf keinen Fall, aber dass es nichts nützt, scheint mir die These nicht eben zu stärken.
Stefan Gärtner (BRD) war Redaktor bei der «Titanic» und ist heute Schriftsteller und «linksradikaler Satiriker» («Die Zeit»). An dieser Stelle nimmt er jede zweite Woche das Geschehen in der Schweiz unter die Lupe.