Antiziganismus: Misstrauen in der Humanistenstadt

Nr. 34 –

Im Basler Wahlkampf toben sich Medien und bürgerliche Parteien an BettlerInnen aus Rumänien aus. Die Debatte verläuft erschreckend enthemmt.

Der 1. Juli hätte für Basel-Stadt eine Zeitenwende im Umgang mit extremer Armut sein können. Seit diesem Datum ist im Stadtkanton das Betteln im öffentlichen Raum straffrei, sofern keine «Bandenmässigkeit» vorliegt. Von der Linken angestossen und per Abstimmung bestätigt, hat Basel damit einen Weg eingeschlagen, wie ihn auch andere Städte in der Schweiz und in Europa bereits beschritten haben: Es hat Armut entkriminalisiert.

Übersteuerte Medien

Weil aber gerade Wahlkampf ist, bleibt die Zeitenwende aus. Die bürgerlichen Parteien, thematisch blutleer, arbeiten sich an einer Gruppe rumänischer BettlerInnen in der Stadt ab. Den Anstoss gaben PolitikerInnen von CVP und SVP, die jede Begegnung mit bettelnden Menschen auf Social Media skandalisierten. Osteuropäische Bettlerbanden seien in Basel eingefallen, Geschäftskunden und Passantinnen würden aggressiv belästigt. Dafür verantwortlich: die Linke, die das Bettelverbot gekippt hat.

So weit, so durchschaubar. Doch die Basler Lokalmedien stürzten sich auf den vermeintlichen Missstand. Reporter der «Basler Zeitung» stellten den BettlerInnen nach, protokollierten Begegnungen, um eine kriminelle Zusammenarbeit nachzuweisen. Sie bedrängten die Menschen in ihrem Nachtlager, hielten detailliert fest, wie sie ihre Notdurft verrichten. Die Zeitung, die in ihren Texten zum Thema gerne auf den «dunkleren Teint» der BettlerInnen verweist, lässt jeglichen Respekt vor der elementarsten Menschenwürde vermissen.

Wobei sie nicht als einziges Medium übersteuerte: Die KollegInnen von «20 Minuten» zählten fleissig Bettelnde in der Innenstadt («13 Bettler auf einen Kilometer»). Und die Newsplattform «Prime News» bediente sich nationalsozialistischen Vokabulars, als sie sich über eine «Bettlerplage» ausliess, gesteuert von «Geschäftsleuten der Finsternis».

Kein Tag vergeht ohne eine Reportage, einen Kommentar, eine Kolumne zum Thema. Der Polizeinotruf hat 25 Anrufe «wegen Bettelns» registriert. Vielleicht zwei Dutzend Menschen versuchen, ihr Überleben zu sichern, und Basel ist tief verunsichert: Die Humanistenstadt ist rasch an ihre Belastungsgrenze gestossen. Gegenrede zum üblen Diskurs gibt es kaum. SP-Nationalrat Beat Jans, der immerhin neuer Sozialdirektor des Kantons werden will, forderte gegenüber SRF, die Polizei müsse intervenieren. Sie solle Familien, die am Wettsteinplatz unter freiem Himmel übernachten, doch einfach vertreiben. Schliesslich sei «Campieren in der Stadt nicht erlaubt». Als würden dort RucksacktouristInnen hausen.

Eine unappetitliche Mélange

Untätig blieb die Polizei freilich nicht, obwohl «Bandenmässigkeit» kaum nachweisbar, weil praktisch nie gegeben ist. Wie das Onlinemedium «Bajour» aufdeckte, knöpften PolizistInnen Bettelnden sämtliches Geld ab, um damit allfällige Bussen abzugelten. Wie oft die Polizei dieses Mittel anwendet, will sie aus «polizeitaktischen Gründen» nicht offenlegen. Acht Personen hat sie bei der Staatsanwaltschaft wegen möglicher Bandenmässigkeit verzeigt. Die Ermittlungen dürften kaum etwas ergeben. Für die enteigneten Betroffenen spielt das ohnehin keine Rolle: Die Polizei hat beim Einzug des Geldes Quittungen ohne Datierung ausgestellt und damit Rückforderungen verunmöglicht.

Schikane, Entmenschlichung, Repression, altbekannte antiziganistische Unterstellungen – das ist die unappetitliche Mélange der Basler Debatte. «Es ist immer dieselbe Gleichung», sagt Jean-Pierre Tabin, Professor für Soziale Gesundheit an der Fachhochschule in Lausanne: «Roma plus Betteln gleich Kriminalität.»

Misstrauen statt Mitgefühl

Tabin forscht seit Jahren zur Thematik. Er sagt, die Behauptung einer mafiösen Struktur werde oft vorgebracht, sei aber faktenwidrig. Der Zweck der Unterstellung sei es, Mitgefühl zu verhindern und Misstrauen zu fördern. Tatsächlich würden BettlerInnen in der Schweiz durchschnittlich vielleicht zwanzig Franken pro Tag verdienen. Wobei von diesen Einkünften noch die Kosten für die Reise in die Schweiz und Geldtransfers in die Heimat abgehen.

Tabin sagt: «Die Einzigen, die systematisch vom Betteln profitieren, sind Busunternehmen und der Bargeldtransfer-Service Western Union.»