Kost und Logis: Sport hilft (ein bisschen)

Nr. 34 –

Bettina Dyttrich würdigt eine Velotour

Er wirkt wie ein Rockmusiker, der schon bessere Zeiten gesehen hat: mager, halblanges Haar, Jeansjacke. Er raucht hastig, seine Hände zittern. «Wir sind menschliche Wesen, genau wie ihr. Wir haben Hunger, wir brauchen Schlaf wie ihr.» Er sei aus Afghanistan geflüchtet, zweieinhalb Jahre unterwegs gewesen, zu Fuss durch sieben Länder. «Könnt ihr euch das vorstellen? Gebt mir eine Antwort!» Als er keine bekommt, steht er auf und geht. Und wir bleiben betreten zurück auf der lauschigen Wiese beim Berner Steinhölzli-Wäldchen.

Drei Wochen lang sind etwa zwei Dutzend Asylsuchende, die meisten schon abgewiesen, auf dem Velo durch die Schweiz gezogen. Zusammen mit AktivistInnen mit Schweizer Pass oder Aufenthaltsbewilligung, die die «Velotour d’horizon» monatelang geplant und Unterkünfte bei Bekannten, Velos und Pressekontakte organisiert haben. Die Velotour hat Asylzentren besucht, um sich zu vernetzen – in Bern mit Leuten aus dem Bundesasylzentrum im ehemaligen Zieglerspital. Nach einem heftigen Gewitterregen macht die Tour in meiner WG Station. Es gibt Kleider zu waschen, Velos zu flicken, Schrammen zu pflegen, und nach dem Essen sitzen alle ums Feuer, hören arabische Discomusik und Pophits von Sia, zu müde zum Tanzen, aber ziemlich zufrieden.

Du kämpfst dich durch die Wüste, fährst mit Todesangst übers Mittelmeer, wirst überfallen und misshandelt, und am Schluss landest du in einem Staat, der dich in ein abgefucktes Kurhaus auf irgendeinem Pass sperrt, und hast kein Recht, irgendetwas Produktives zu tun. Dass das die meisten Leute langfristig mehr fertigmacht als die Flucht selbst, weil es dem Leben jeden Sinn und jedes Ziel nimmt, sollten alle wissen, die eine Ahnung von Psychologie haben. «Wir sind alle ein bisschen dumm geworden, jeder Tag ist gleich», sagt ein junger Mann.

Auf der Velotour gibt es zumindest vorübergehend ein Ziel im Leben: die nächste Etappe. Das ist keine Ferienreise, aber irgendwie doch. Was diese Tour so gut macht, sind einfache Dinge: die heilsame Kraft von Sport, neuen Kontakten, gutem Essen, Gesprächen, geteilten Liedern. Und ich bin immer wieder beeindruckt, zum Beispiel vom Neunzehnjährigen, der erzählt, wie er und andere BewohnerInnen von Berner Asylzentren jetzt per Gruppenchat Aktionen organisieren. Auch Aktivismus ist heilsam – aber mit so schlechten Aussichten? Ich habe Angst, dass der motivierte Jugendliche in einigen Jahren so desillusioniert ist wie der Mann mit der Jeansjacke.

Die Ferien sind vorbei, die unerträglichen Strukturen bleiben. Der Graben – der Klassenunterschied – zwischen solidarischen Schweizer Studentinnen und Menschen ohne Aufenthaltsbewilligung ist so gigantisch, dass es viel Arbeit braucht, um nur schon halbwegs gleichberechtigt miteinander sprechen zu können. Das macht die Velotour zu einem Projekt, das den pathetischen Namen Widerstand verdient.

Informationen und Blog zur Velotour: antira.org/velotour .

Bettina Dyttrich ist WOZ-Redaktorin.