Covid-19 in Grossbritannien: Keine Kontrolle über die Coronakontrolle

Nr. 40 –

Die britische Regierung hat das Contact Tracing an private Firmen ausgelagert. Dabei haben die Unternehmen keinerlei Erfahrung in diesem Bereich.

Schlecht ausgebildet und keine Ahnung von den lokalen Verhältnissen: Contact Tracer der Firma Serco in Stone. Foto: Christopher FUrlong, Getty

Wer ein kompetentes Unternehmen sucht, das einen öffentlichen Auftrag übernehmen kann, sollte eigentlich einen grossen Bogen um Serco machen. Erst vor wenigen Monaten musste der Dienstleistungsriese eine Busse von 2,6 Millionen Pfund bezahlen – über 3 Millionen Schweizer Franken –, weil er die Zielvorgaben eines Auftrags für Asylunterkünfte nicht erfüllt hatte. Letztes Jahr wurde Serco zu einer Strafe von 19 Millionen Pfund – fast 23 Millionen Franken – verdonnert: Eine der Serco-Tochterfirmen, die Häftlingen elektronische Fussfesseln montierte und sie überwachte, war beim Schummeln erwischt worden. Zudem sind in der Vergangenheit regelmässig Vorwürfe laut geworden, dass Serco-Angestellte in einem Auffanglager Flüchtlinge sexuell missbraucht haben sollen.

Dennoch entschied das britische Gesundheitsministerium im Mai, dass Serco bei der Coronakontaktverfolgung federführend sein soll. Der Auftrag belief sich auf 108 Millionen Pfund, fast 130 Millionen Franken. Über dreissig andere Privatfirmen sind ebenfalls am Test-and-Trace-Programm und den damit verbundenen Aufgaben beteiligt, darunter der Outsourcing-Konzern Sitel, der Dienstleister Deloitte und Amazon. An diesen Firmen liegt es, Teststationen zu betreiben, Daten zu verarbeiten und bei positiven Tests die Personen zu finden, die den Infizierten über den Weg gelaufen sind – eine entscheidende Aufgabe für die Bewältigung der Pandemie, solange keine Impfung auf dem Markt ist.

Die Angestellten warten auf Arbeit

Aber das britische Test and Trace, von Premierminister Boris Johnson, der selbst das Virus überlebt hat, als «weltführend» angepriesen, ist ein Debakel. Zeitungsrecherchen haben im August ergeben, dass die Tausenden Contact Tracers im Durchschnitt gerade die Hälfte aller Leute kontaktieren, die mit Covid-19-PatientInnen im selben Haushalt wohnen. Manche Angestellten haben gegenüber der Presse berichtet, dass sie kaum ausgebildet worden seien und tagelang zu Hause sitzen, fernsehen und auf Arbeit warten. Zudem haben es die Unternehmen nicht geschafft, genügend Teststationen einzurichten: In den vergangenen Wochen sind unzählige Leute dazu aufgefordert worden, Hunderte Kilometer per Auto zurückzulegen, weil es in ihrer Nähe kein Testzentrum gibt.

Für Allyson Pollock ist das wenig überraschend. Die Professorin für Public Health an der Universität Newcastle ist Mitglied der Gruppe Independent Sage, eines Zusammenschlusses von WissenschaftlerInnen, die die Coronakrisenbewältigung kritisch verfolgen. «Die Regierung entschied sich beim Contact Tracing für einen zentralisierten, privatisierten Ansatz. Dabei verlässt sie sich auf Unternehmen, die über keinerlei Erfahrung verfügen und keine Ahnung haben von dem, was sie tun», sagt Pollock.

Kontaktverfolgung ist ein schwieriger Job: Es muss Vertrauen aufgebaut, die richtigen Fragen müssen gestellt werden. «Aber die Angestellten von Serco und Sitel wurden als Verkaufs- und Marketingassistenten rekrutiert», sagt Pollock. «Ihre Ausbildung dauerte weniger als einen Tag. Sie sitzen irgendwo in einem Callcenter und tun nichts.» Stattdessen wären die Contact Tracers vor Ort gefragt, wo sie sich mit den lokalen Gesundheitsbehörden koordinieren könnten. «Eigentlich haben unsere öffentlichen Gesundheitsstellen viel Erfahrung mit dieser Arbeit – etwa durch die Kontaktverfolgung bei Tuberkulose oder Geschlechtskrankheiten. Sie kennen die lokalen Verhältnisse und haben viel Expertise gesammelt.»

Hunderte Millionen an Privatfirmen

Aber wie ein grosser Teil des Service public sind auch diese lokalen Gesundheitsbehörden in den vergangenen Jahrzehnten ausgehöhlt worden, die Seuchenkontrolle wurde zentralisiert. So fehlte es den Gemeinden und den lokalen Spitallaboren an der Kapazität, um die Coronapandemie effektiv zu kontrollieren. Doch anstatt das System wieder aufzubauen, schuf die Regierung ein paralleles, privatisiertes System für Test and Trace. Das neoliberale Mantra, dass es der Privatsektor stets besser richte als der öffentliche, hält sich zäh in den Köpfen der Tories.

Das Fiasko, das Serco und Co. angerichtet haben, hat allerdings dazu geführt, dass die Kommunen eine zunehmend wichtige Rolle spielen. Zu Beginn der Pandemie wurde ihnen bei der Kontaktverfolgung nur eine untergeordnete Funktion zugeteilt; sie waren beispielsweise für Coronatests bei GesundheitsmitarbeiterInnen zuständig. Aber mittlerweile füllen sie im Zusammenspiel mit der Gesundheitsbehörde Public Health England (PHE) viele Lücken, die das privatisierte System hinterlässt. Die PHE-Teams schaffen es beispielsweise, mit rund 95 Prozent der Kontakte zu sprechen. Manche Gemeinden sind so frustriert von der Arbeit der Outsourcing-Firmen, dass sie auf eigene Faust Kontaktverfolgungsprogramme aufgezogen haben.

Dennoch verlängerte die Regierung die Verträge mit Serco und den anderen privaten Dienstleistern. «Acht Monate nach Beginn der Pandemie sind wir im Prinzip so weit wie am Anfang, und wir haben Privatfirmen Hunderte Millionen Pfund bezahlt», sagt Pollock.