Farc: Von Reue und Wahnsinn

Nr. 40 –

Kolumbiens zur Partei gewandelte Guerilla hat sich für Entführungen entschuldigt. Dahinter steckt Kalkül, aber sie ist die einzige Kriegspartei, die so etwas tut.

Die Farc hat sich öffentlich entschuldigt, wieder einmal. Zum ersten Mal hatte dies Rodrigo Lodoño, der unter dem Decknamen «Timochenko» oberster Kommandant der Revolutionären Streitkräfte Kolumbiens war, im September 2016 getan. In seiner Rede nach der Unterzeichnung des Friedensvertrags mit der Regierung bat er um Verzeihung für das Leid, das seine Guerilla den KolumbianerInnen in über fünfzig Jahren Bürgerkrieg angetan hatte. Das gehört zum Standardprogramm solcher Anlässe, wobei es immer linke Guerillas waren, die um Vergebung baten.

Der Zweck heiligt die Mittel

Lodoños Vertragspartner, der damalige Präsident Juan Manuel Santos, hat sich nie für die über 2000 «falsos positivos» entschuldigt, die er als Verteidigungsminister von 2006 bis 2009 politisch zu verantworten hatte. Gemeint sind damit ZivilistInnen, die die Armee entführt, ermordet und dann in Uniformen gesteckt hatte, um sie als im Kampf gefallene Guerilleros auszugeben. Der spätere Friedensnobelpreisträger Santos tat dies als «Angelegenheit der Vergangenheit» ab.

Dass sich die Farc, die seit drei Jahren unter demselben Kürzel als Partei mit dem Namen Alternative revolutionäre Kraft des Gemeinwohls auftritt, Mitte September noch einmal entschuldigt hat, kam auf den ersten Blick überraschend. Auch der Schwerpunkt der öffentlichen Reuebezeugung war erstaunlich: «Wir bitten die Opfer unserer Entführungen und ihre Familien aus tiefstem Herzen um Entschuldigung», verlas Lodoño, umrahmt von sieben weiteren ehemaligen Comandantes. Jetzt, im zivilen Leben, habe man Gelegenheit gehabt, darüber nachzudenken, und erkannt: «Entführungen waren ein schwerer Fehler, den wir nur zutiefst bedauern können.» Die Scham darüber stecke «wie ein Dolch in unseren Herzen». Das klingt gerade so, als hätten sie als Guerilleros nicht gewusst, dass man mit einer Entführung dem Opfer und seiner Familie schweres Leid antut.

Das ist scheinheilig. Jede Guerilla Lateinamerikas hat sich unter anderem mit Entführungen finanziert, und auch die heute aktiven bewaffneten Organisationen entführen Menschen. Alle wussten und wissen, was sie damit angerichtet haben und immer noch anrichten. Sie nahmen und nehmen es in Kauf. Das staatliche Unrecht, gegen das sie ankämpfen, wird höher bewertet als das individuelle, das man einem Entführungsopfer antut.

Doch Bürgerkriege sind schmutzig und können wegen der meist unklaren Fronten schnell in grausame Hysterie umschlagen. Ist nicht klar, wer Freund und wer Feind ist, gerät jeder unter Verdacht. In El Salvador gab es sogar einen Guerillakommandanten, der mehr als 400 seiner Untergebenen zu Tode foltern liess, weil er sie für Spione der Armee hielt. Die Opfer von Entführungen – ob sie nun nur vermeintliche oder tatsächliche GegnerInnen sind – haben immerhin die Chance, zu überleben, wenn auch mit seelischen Wunden. Das ist zynisch, aber irreguläre Kriege sind so. Jeder, der einen solchen Konflikt erlebt hat, weiss das.

Die eine und die andere Farc

Hinter der jetzigen Entschuldigung steckt Kalkül. Die Farc als Partei kämpft seit ihrer Gründung gegen die Bedeutungslosigkeit. Viel spektakulärer als die Interventionen ihrer Abgeordneten in Senat und Parlament sind die Aktionen der anderen Farc, die sich noch immer Revolutionäre Streitkräfte Kolumbiens nennen. Das sind über 3000 Männer und Frauen, fast die Hälfte derer, die eigentlich demobilisiert werden sollten. Sie trauen dem vor vier Jahren ausgerufenen Frieden nicht, und sie haben gute Gründe. Rund 200 der damals entwaffneten Farc-Guerilleros sind inzwischen ermordet worden. Paramilitärs haben allein in diesem Jahr mindestens 33 Massaker mit Hunderten Toten an der Zivilbevölkerung begangen. Keine der wesentlichen vertraglichen Verpflichtungen der Regierung – von der ländlichen Entwicklung bis zur Rückgabe geraubten Landes – ist bislang in Angriff genommen worden. Nur eine Wahrheitskommission arbeitet daran, die Geschichte des Kriegs zu dokumentieren. Das ist wichtig, hat aber keine juristischen Konsequenzen. Selbst Iván Márquez, einst Verhandlungsführer der Farc bei den Friedensgesprächen, hat sich in den Dschungel abgesetzt und die Waffe ergriffen. Diese Farc-Guerilla entführt noch immer. Zu ihr wollte die Farc-Partei mit ihrer Entschuldigung eine Trennlinie ziehen.

Die öffentliche Reue wird den ehemaligen Comandantes nützen: Derzeit finden ihre Anhörungen vor Sondergerichten statt. Diese können für geständige Kriegsverbrecher verminderte Strafen von bis zu acht Jahren Arrest verhängen. Wer nicht gesteht, dem droht die ganze Schärfe des Strafrechts. Eigentlich sollten vor diesen Gerichten alle am Krieg beteiligten Seiten erscheinen, auch zivile AuftraggeberInnen von Verbrechen. Von denen wurde noch keiner zitiert. Die Grausamkeiten des Bürgerkriegs werden bislang sehr einseitig aufgearbeitet. Der Bericht der Wahrheitskommission zum Bürgerkrieg in El Salvador trägt den Titel «Vom Wahnsinn zur Hoffnung». In Kolumbien herrscht noch immer der Wahnsinn.