Mindestlohn: Frohe Botschaft aus Genf

Nr. 40 –

76,3 Prozent Nein: So lautete das bittere Resultat der eidgenössischen «Mindestlohn»-Abstimmung im Jahr 2014. Sechs Jahre später gibt es noch immer keinen landesweit verbindlichen Mindestlohn. Doch im einen oder anderen Kanton hat sich etwas getan. 2017 führte Neuenburg einen Mindestlohn von 20 Franken ein, im gleichen Jahr zog der Kanton Jura nach. Auch im Tessin nahmen die Stimmenden 2015 einen Mindestlohn an – allerdings nicht für alle Branchen, und die Umsetzung ist noch durch Rekurse blockiert.

Nun aber hat der Kanton Genf ein Zeichen gesetzt: Am vergangenen Wochenende – just am Tag, als die «Begrenzungsinitiative» verworfen wurde – sagten über 58 Prozent Ja zu einem Mindestlohn von 23 Franken (4182 Franken brutto im Monat bei einer 42-Stunden-Woche). Und das, nachdem zwei ähnliche Vorlagen 2011 und 2014 noch deutlich gescheitert waren.

Erstens ist der Erfolg der Frauenstreikbewegung zu verdanken: Fast zwei Drittel der rund 30 000 in Genf lebenden Working Poor sind Frauen, viele davon in der Reinigungs-, Gastro- oder Kosmetikbranche. Zweitens hat sich im Neuenburgischen und im Jura gezeigt, dass sich die Befürchtung als unbegründet erwies, ein Mindestlohn würde zu mehr Tieflohnangestellten aus Frankreich und einer höheren inländischen Arbeitslosigkeit führen. Und drittens hat sich in Genf in der Coronakrise so drastisch wie in keiner Schweizer Stadt gezeigt, wie viele Menschen hierzulande arm sind. Die langen Schlangen vor den Lebensmittelabgaben haben vielen, die sonst kaum mit Armut in Berührung kommen, die Augen geöffnet.

Was heisst das für die restliche Schweiz? Dass die Chancen für einen Mindestlohn auch in anderen Kantonen gestiegen sind. So etwa in Basel-Stadt, wo die Initiative «Kein Lohn unter 23.–» demnächst mit einem Gegenvorschlag (21 Franken) ins Parlament kommt. Bis es auf Bundesebene so weit ist, dauert es wohl noch eine Weile. Doch je grösser der Druck der Kantone, desto grösser wird auch die Chance auf eine umfassende Armutsbekämpfung: Mit der Festschreibung eines menschenwürdigen Mindestlohns gibt es auch kein Argument mehr dafür, die Mindestbeträge für Sozialhilfe derart tief zu halten.