Pop: Bis die Stimme fast zerfleddert
Klar hat sie wieder ein riesiges Durcheinander. Wie könnte sie nicht, es ist Angel Olsen, und genau dafür liebt man sie. «Whole New Mess» heisst ihr siebtes Album, und über ihr chaotisches Gefühlsleben darf nur sie so singen, wie sie es tut: hoch emotional und in hoher Stimmlage. Umso mehr, da sie jetzt wieder auf Kurs ist, wie es im Titelsong heisst – man versteht das nicht bloss als Kommentar zu ihrem Innenleben, sondern auch zu ihrer neuen Musik.
Sie sei wieder näher an sich dran, singt sie, und wer Angel Olsen seit ihrem ersten Album 2010 kennt, weiss genau, was die 33-Jährige damit meint. Ihre letzten beiden Alben, «Woman» (2016) und «All Mirrors» (2019), waren stellenweise überfrachtet von Geigen, Synthesizern, pathetischem Schlagzeug und dem etwas missglückten Versuch, nicht mehr trauriges Mädchen mit Gitarre, sondern Popdiva zu sein – auch wenn ihre kolossale Stimme nie darin unterging.
Wobei «Whole New Mess» im Grunde das Demotape von «All Mirrors» ist. Fast alle Tracks sind dieselben, aber in roher Form: eine simple Gitarre und ihre Stimme, auf die sie höchstens mal ein wenig Sechziger-Jahre-Reverb legt, mal eine subtile Verzerrung. Olsen zeigt, dass es Mut braucht, das Intimste aus sich herauszuholen und sich nicht von seinen peinlichsten Wünschen abbringen zu lassen. Auch «Whole New Mess» ist voller eloquenter Manifeste für innere Resilienz – dem gebrochenen Herzen und der Melancholie zum Trotz.
Wie sehr die Reduktion auf «Whole New Mess» im Gegensatz zur Hi-Fi-Version auf «All Mirrors» Facetten dieser Melancholie zum Vorschein bringt, hört man am besten bei «Summer Song». Hier lässt sie ihre Stimme im eigenen warmen Hauch fast zerfleddern, wenn sie erzählt, wie sie durch die Hölle ging und auch ihre engsten FreundInnen nicht merkten, wie sie zu einer leeren Hülle verkam. Zusammen mit «Windows» von 2012 darf man «Summer Song» getrost zu den traurigsten Liedern des Jahrzehnts zählen.
Angel Olsen: Whole New Mess. Jagjaguwar/Cargo. 2020