Terrorangriff in Frankreich: Wie schützt man die Meinungsfreiheit?
Nachdem ein achtzehnjähriger Tschetschene einen Lehrer ermordete, der SchülerInnen Mohammed-Karikaturen gezeigt hatte, wird in Frankreich wieder einmal laut die Meinungsfreiheit verteidigt. Das ist richtig, denn ohne sie gibt es keine Demokratie. Und nach den 259 islamistisch motivierten Morden, die das Land seit dem Anschlag auf «Charlie Hebdo» 2015 erlebt hat, mag gar der Ruf nachvollziehbar sein, diese durch mehr Polizei verteidigen zu wollen.
Was in der Debatte allerdings einmal mehr unterzugehen droht, sind Umstände, die es dem politischen Islam viel einfacher machen, zu wachsen. Verkörpert werden diese durch die seit Jahrzehnten wachsenden Plattenbausiedlungen, in die Frankreich die Kinder und Enkel der MigrantInnen aus den ehemaligen Kolonien ausrangiert hat und in denen es an Arbeit und Perspektiven fehlt. Wohlstand und gesellschaftliche Teilhabe werden in Frankreich noch immer weitgehend entlang der kolonialen Herrschaftsordnung verteilt.
In diesen Banlieues, wo einst linke Befreiungsideologien dominierten, hat der politische Islam seit den achtziger Jahren zunehmend an Boden gewonnen. Eine kleine Minderheit der IslamistInnen ist gewalttätig und mit dem globalen Dschihadismus vernetzt.
Die Meinungsfreiheit wird von vielen MuslimInnen als weitere Diskriminierung empfunden. Dies nicht zu Unrecht: Diente sie einst als Waffe gegen die mächtige Kirche, berufen sich heute vor allem Reaktionäre wie der Autor Éric Zemmour darauf, um die Religion der Ausgegrenzten in den Dreck zu ziehen: ein gefundenes Fressen für jene, die auf Radikalisierung setzen. Auch dem Mord am Lehrer war eine eigentliche Hasskampagne vorausgegangen.
Der Ausweg besteht nicht darin, die Meinungsfreiheit zu relativieren. Statt sie jedoch durch immer mehr Polizei verteidigen zu wollen, muss Frankreich die richtigen Voraussetzungen schaffen: Eine egalitäre Gesellschaft, in der die Meinungsfreiheit nicht als Unterdrückungsinstrument empfunden wird, ist Gift für den Islamismus.
Das wird zwar Jahrzehnte brauchen, doch eine progressive Alternative dazu gibt es nicht.