Erdogan gegen Macron: Gefährliches Gehetze

Nr. 44 –

Das französische Satiremagazin «Charlie Hebdo» stichelt weiter. Am Mittwoch hat es auf der Titelseite den türkischen Präsidenten karikiert. Zu sehen ist, wie dieser den Schleier einer Frau lüftet und ihr auf den nackten Hintern schaut. Dazu steht: «Erdogan – privat ist er sehr lustig.» Damit reagiert das Blatt auf den Aufruf Recep Tayyip Erdogans, französische Waren zu boykottieren. Persönlich wird das den Staatschef kaum treffen. Vielmehr passt die mediale Kritik aus Frankreich in seine Strategie.

Erdogan steht unter Druck. Die Wirtschaft ist in der Krise, die Landeswährung verliert weiter an Wert, die Inflation ist hoch, das Land verzeichnet einen heftigen Anstieg von Coronaerkrankungen. Da scheint es naheliegend, die Wählerschaft von ihren Alltagssorgen abzulenken und nationalistische Reflexe zu wecken. Entsprechend gaukelt der Autokrat seinem Volk ein feindseliges Ausland vor und inszeniert sich als starken Mann, der die MuslimInnen im Abwehrkampf vereinen will.

Dabei ist er einst als moderater Muslim aufgetreten. Doch diese Maske hat er fallen lassen. Er instrumentalisiert auch die reaktionären islamistischen Kräfte, um seine innenpolitischen Schwächen zu verdecken. Das macht ihn gefährlich. Aussenpolitisch fährt er seit längerem einen aggressiven Kurs. Frankreich verfolgt an mehreren Fronten eine entgegengesetzte Interessenpolitik, sodass sich das Land als willkommenes Feindbild eignet. In diesem Sinn verdreht Erdogan ein Verbrechen – die Ermordung eines französischen Lehrers durch einen mutmasslichen Islamisten – in einen Kampf der Kulturen und stellt sich als Beschützer der Entrechteten dar. Er kann dabei mit dem Applaus von konservativen Teilen der muslimischen Bevölkerungsgruppen rechnen, die Frankreich sozial und wirtschaftlich im Abseits stehen liess. Die berechtigte Kritik an diesem Missstand legitimiert jedoch nicht dazu, die Meinungsfreiheit und ein Kapitalverbrechen zu relativieren. Die aufklärerischen Werte sind nicht verhandelbar. Frankreich und die westlichen Länder müssen dies dem türkischen Potentaten klar mitteilen.