Fernando Solanas (1936–2020): Mit der Kamera als Waffe

Nr. 46 –

Er war die vielleicht wichtigste Figur des lateinamerikanischen Revolutionskinos, doch für seinen Welterfolg «El viaje» zahlte er einst einen hohen Preis. Mit 84 Jahren ist der argentinische Regisseur Fernando Solanas nun in Paris an den Folgen einer Covid-19-Erkrankung gestorben.

Ein Spott mit bösen Folgen: In seinem Film «El viaje» zeigte der Regisseur Fernando Solanas den ­argentinischen Präsidenten Carlos Menem als Doktor Frosch. Still: Trigon-Film

Als ich ihn das letzte Mal sah, war er ein Prediger in der Wüste. Es war vor neun Jahren am Filmfestival Havanna. Das Festival, das sich dem «Kampf gegen den Imperialismus» verschrieben hat, war schon damals gehörig in die Jahre gekommen. Fernando Solanas predigte im Anschluss an die Projektion von «Tierra sublevada: Oro impuro», seinem Dokumentarfilm über die ökologischen und sozialen Verheerungen, die die Minenindustrie in seiner argentinischen Heimat anrichtet: Vor praktisch leeren Rängen im Kino Infanta geisselte er die Gier der multinationalen Konzerne, verdammte den Imperialismus und pries Kuba, wo solche Machenschaften nicht existierten.

«Das will bei uns niemand mehr hören, diesen Diskurs können wir täglich auch in der Parteizeitung ‹Granma› lesen», meinte ein kubanischer Bekannter, bevor er den Saal verliess. Doch Solanas gab sich im anschliessenden Gespräch unbeirrt: «Ach, wissen Sie, das kenne ich auch aus Argentinien, manchmal habe ich halt nur ein kleines Publikum – doch die Leute, die hier im Saal geblieben sind, waren ja sehr interessiert, und ich bin überzeugt, dass sie das, was ich zu sagen habe, weiterverbreiten.»

Einige Jahre zuvor, 2004 am Filmfestival Fribourg, war das noch ganz anders gewesen. Das Publikum hing an Solanas Lippen, als er in einem überfüllten Saal über «Memoria del saqueo» sprach, seinen Film über die Plünderung Argentiniens durch multinationale Konzerne. «Memoria del saqueo» war der Auftakt einer Serie von Dokumentarfilmen über die Folgen «imperialistischer Politik» in Argentinien.

Schüsse in die Beine

Seine grössten Erfolge hatte Fernando Solanas in den zwanzig Jahren davor gefeiert, mit einer ganzen Reihe verspielt-poetischer Spielfilme, die stets in einem stark politischen Kontext standen. 1985 erhielt er in Venedig den Regiepreis für «Tangos – el exilio de Gardel», einen Tanzfilm über sein eigenes Exil während der Jahre der Militärdiktatur (1976–1983). Drei Jahre später folgte der Regiepreis in Cannes für seinen nächsten Spielfilm, «Sur», jenes melancholische, von der Musik Astor Piazzollas unterlegte Filmpoem über einen einsamen Mann, der nach dem Ende der Militärdiktatur gerade aus dem Gefängnis entlassen worden ist und nun durch das nächtliche Buenos Aires irrt.

Fernando Solanas, Regisseur Foto: Juan Ignacio Iglesias

Doch sein international mit Abstand erfolgreichster Film war 1992 sein verträumtes Roadmovie «El viaje». Abgesehen von seinen visuellen Qualitäten wurde der Film berühmt durch den Spott, mit dem er den fiktiven Präsidenten eines lateinamerikanischen Landes überzog. JedeR erkannte darin Argentiniens damaligen neoliberalen Präsidenten Carlos Menem, der hier als Doktor Frosch mit Schwimmflossen durch ein von Überschwemmungen heimgesuchtes Gebiet stolzierte. Allein in der Schweiz erzielte «El viaje» über 100 000 Kinoeintritte, doch Solanas zahlte einen hohen Preis für den Film: Ein Attentäter schoss ihm in die Beine und verletzte ihn schwer, das Attentat wurde nie aufgeklärt.

Es war nicht die erste handfeste Anfeindung in seinem Leben: 1969, kurz nach der Fertigstellung von «La hora de los hornos», einem vierstündigen Agitationsfilm gegen die neokolonialistische Ausbeutung Lateinamerikas, musste Solanas nach einem gescheiterten Entführungsversuch für Jahre aus Argentinien fliehen. «La hora de los hornos» ist bis heute ein Monument des lateinamerikanischen Revolutionskinos. Solanas steht damit in einer Reihe mit jenen bereits verstorbenen Cineasten des Kontinents, die in den 1960er und 1970er Jahren, inspiriert vor allem von der kubanischen Revolution, ihre Meisterwerke schufen: Figuren wie sein Landsmann Fernando Birri, der Brasilianer Glauber Rocha oder der Mexikaner Paul Leduc, der vor zwei Wochen starb, ohne dass hierzulande ein Medium davon Notiz genommen hätte.

Revolutionäres Feuer

Pablo de Vita, Filmkritiker bei Argentiniens grösster Tageszeitung «La Nación», schreibt auf Anfrage über Solanas: «Vor seiner intellektuellen Ehrlichkeit und seiner künstlerischen Brillanz hatten selbst seine schärfsten politischen Gegner grössten Respekt.» In der Schweiz ist Martial Knaebel, Mitbegründer und von 1992 bis 2007 künstlerischer Leiter des Filmfestivals Fribourg, einer der besten Kenner des Regisseurs. An drei Ausgaben des Festivals war dieser zu Gast gewesen, zuletzt 2004. Mit einem Pathos, das Solanas sicher gefallen hätte, sagt Knaebel auf Anfrage: «Am meisten bewundere ich an ihm, dass er sein revolutionäres Feuer nie aufgab, dass ihm der Kampf gegen Ungerechtigkeit stets das Wichtigste war – und das in einer Zeit, da die Linke immer kraftloser geworden ist.»

Solanas war schon 71 Jahre alt, als er neben seiner Laufbahn als Regisseur eine Linkspartei gründete, Proyecto Sur. Für diese wurde er 2019 ins argentinische Parlament gewählt, und in dieser Funktion wurde er durch den neuen argentinischen Präsidenten Alberto Fernández zum Botschafter bei der Unesco in Paris ernannt – ein Amt, das Solanas bis zu seiner Coronaerkrankung im Oktober ausübte.

Danach ging alles sehr schnell. In seiner letzten Botschaft auf Twitter schrieb Solanas, bereits auf der Intensivstation, am 21. Oktober: «Lasst nicht nach, auf euch aufzupassen». Martial Knaebel sagt dazu: «Das war die Persönlichkeit von Solanas: Er hat immer an die anderen gedacht.»

Etliche Filme von Fernando Solanas sind in der Schweiz bei Trigon-Film auf DVD erhältlich, manche davon auch im Streaming bei www.filmingo.ch.