Pressefreiheit: Mit Schlägen und Spucke gegen das einende Feindbild

Nr. 47 –

Regelmässig werden JournalistInnen bei Demonstrationen von CoronaskeptikerInnen angegriffen. Dabei bleibt es nicht nur bei Beleidigungen.

Ein Fotograf, der mit Boxhieben attackiert wird und dabei seine Brille verliert. Ein freier Journalist, der zu Boden gestossen wird, eine Prellung und Schürfwunden erleidet. Ein Reporter des Berliner «Tagesspiegels», der vor Hooligans fliehen muss. «Wir mussten unsere Berichterstattung kurzzeitig abbrechen, da grössere Hooligan-Gruppe ohne polizeiliche Begleitung auf uns zurannte», twitterte der Journalist. Das sind nur drei Beispiele von Übergriffen auf MedienvertreterInnen, die sich bei der letzten «Querdenken»-Demonstration mit mehr als 20 000 TeilnehmerInnen gegen die deutsche Coronapolitik Anfang November im sächsischen Leipzig zugetragen haben. Anwesende JournalistInnen beschrieben die Polizei als zögerlich.

Insgesamt wurden an jenem Tag 29 körperliche Angriffe von Protestierenden auf JournalistInnen registriert. Tina Groll, Vorsitzende der Deutschen Journalistinnen- und Journalisten-Union (DJU), sprach von einer «völlig neuen Dimension, was das Ausmass der Gewalt betrifft». Zudem kritisiert Groll auch die Zaghaftigkeit der Polizei, die die Pressefreiheit nicht ausreichend geschützt habe.

Schulterschluss

Ende März gab es in Berlin die ersten Proteste gegen die Coronapolitik der Regierung, und kurze Zeit später hätten schon die Attacken auf JournalistInnen begonnen, sagt Jörg Reichel, DJU-Landesgeschäftsführer in Berlin-Brandenburg. Meist würden die JournalistInnen beschimpft. «Körperliche Angriffe – Schlagen, Schubsen, Anspucken und Bedrängen – sind seltener. Es gibt keine landesweiten Statistiken, aber für Berlin gehen wir von mindestens einhundert Fällen von Behinderungen und Angriffen während der Arbeit aus», sagt Reichel. Er mahnt vor einer stetigen Unterwanderung der Anti-Corona-Bewegung durch RechtsextremistInnen. Mit ihren Slogans wie «Ein Baum, ein Strick, ein Pressegenick» oder «Wenn wir wollen, schlagen wir euch tot» würden diese zunehmend bei solchen Veranstaltungen die Stimmung aufheizen und zu Gewalt gegen Medienschaffende insgesamt anspornen. ReporterInnen seien mittlerweile ein gemeinsames Feindbild von Rechtsextremisten und Coronaskeptikerinnen, sagt Reichel, was den Schulterschluss erleichtere. Im Zweifelsfall sollten sich die PressevertreterInnen zurückziehen und aus der Distanz berichten, lautet sein Rat.

Die Polizei schaut zu

Im Zuge der Proteste gegen die Coronamassnahmen haben die Angriffe von CoronaskeptikerInnen auf MedienvertreterInnen zugenommen. Allein von März bis Juni verzeichnete das European Centre for Press and Media Freedom rund 126 Attacken auf JournalistInnen, die meisten davon standen im Zusammenhang mit der Pandemie.

Wenige Tage vor der Eskalation in Leipzig wurde in der slowenischen Hauptstadt Ljubljana der Fotograf Borut Zivulovic an einer Anti-Lockdown-Demo von Protestierenden dermassen zusammengeschlagen, dass er ins Spital musste. Nahezu zeitgleich veröffentlichte Reporter ohne Grenzen (ROG) einen Aufruf an die italienische Politik, Gewalt gegen JournalistInnen zu verurteilen. Denn innerhalb von zwei Wochen waren in Italien insgesamt neun ReporterInnen in unterschiedlichen Städten bei Anti-Corona-Demonstrationen attackiert worden. Wie auch in Deutschland, heisst es im ROG-Schreiben, seien auch in Italien RechtsextremistInnen in diese Attacken verwickelt gewesen.

Ende Oktober berichtete der Presse-Service Wien über Bedrohungen und körperliche Angriffe auf PressevertreterInnen während einer Kundgebung gegen Coronamassnahmen. «Teilweise geschah dies unter den Augen der Polizei, die zu keinem Zeitpunkt einschritt», heisst es in einem Tweet des Zusammenschlusses freier FotojournalistInnen. Anfang November wurde ein ORF-Kamerateam, das von Protesten gegen den Lockdown berichtete, mit «Lügenpresse»-Sprechchören empfangen. Wegen dieser Ereignisse fordert die European Federation of Journalists einen besseren Schutz von BerichterstatterInnen.

Nur noch mit Security

Zu einer besonders drastischen Reaktion griff zuletzt der niederländische öffentlich-rechtliche Rundfunksender NOS: Wegen der «anhaltenden Bedrohungen» seiner MitarbeiterInnen fahren diese nun nur noch in Autos ohne Senderlogo. «Wir sehen, dass JournalistInnen online attackiert werden und bei fast jeder Demonstration aggressiv angegangen werden», sagt Peter ter Velde, Sicherheitskoordinator bei NOS. Insgesamt habe sich die Sicherheitslage für JournalistInnen drastisch verschlechtert, sagt ter Velde, und die Angriffe hätten seit Beginn der Coronapandemie zugenommen. Ein Kameramann, der seit über zwanzig Jahren für NOS im Einsatz ist und anonym bleiben will, bestätigt dies: «Ohne Security kann ich heutzutage meine Arbeit kaum ausführen.» Beim Filmen, so berichtet er, bekomme er zudem immer wieder Verschwörungstheorien zu hören.

Gerade diese VerschwörungsanhängerInnen würden sehr viel Raum während der Coronaproteste einnehmen, sagt auch Sicherheitstrainer ter Velde. Er beobachtet die Entwicklung mit wachsender Sorge. «Innerhalb dieser Gruppe wird jede Grenze überschritten», sagt er. «Sie bildet eine Unterströmung der Gesellschaft, die gegen Autoritäten, Wissenschaft, Politik und Medien ist.»

Militante BäuerInnen

Einige der Protestierenden würden der sogenannten QAnon-Bewegung angehören. QAnon ist eine aus den USA stammende Bewegung von VerschwörungstheoretikerInnen, die im Sommer auch Europa erreichte. Zudem gebe es Schnittmengen mit der niederländischen Gelbwestenbewegung und den Bauernprotesten von 2019, sagt ter Velde. Damals trugen die DemonstrantInnen Sticker mit dem Slogan «NOS Journaal = fake news». Das «NOS Journaal» ist die Hauptnachrichtensendung des Landes. Die Proteste richteten sich vornehmlich gegen die Klimapolitik der Regierung, von der sich die LandwirtInnen drangsaliert fühlten. Jetzt seien wieder viele AnhängerInnen der Gelbwestenbewegung bei den Coronaprotesten zu sehen. «Und beim militanten Teil der Bauern gibt es das gleiche Misstrauen gegenüber der Wissenschaft, der Politik und den Medien», sagt ter Velde. Als Zeichen ihres Misstrauens würden die DemonstrantInnen umgedrehte Landesfahnen schwenken. So wurde in früheren Zeiten auf Schiffen signalisiert, dass sie in Not waren.

Einen Hinweis darauf, wie solche Denkbilder entstehen, liefert die Langzeitstudie zum Medienvertrauen der Universität Mainz. Der Anteil der Befragten, die bei «wirklich wichtigen Dingen» Medien nicht vertrauen, stieg zwischen 2008 und 2019 von 9 auf 28 Prozent. In Wechselwirkung damit steht das Entstehen einer alternativen Szene in sozialen Medien. Wenn zum Beispiel in Berlin Coronaproteste stattfänden, seien mindestens zwanzig solche Hobbyjournalisten vor Ort, warnt Reichel von der DJU. «Es handelt sich um eine eigene Medienwelt, die auf Youtube stattfindet, wo auf Basis von Antisemitismus, Rechtsradikalismus und Verschwörungstheorien Nachrichten produziert und Analysen geliefert werden», sagt er.