Coronaproteste: Von Ottawa um die Welt

Nr. 7 –

In Brüssel konnte das Vordringen des «Freiheitskonvois» in das Zentrum verhindert werden. Doch die Trucker:innen haben sich bereits weltweit organisiert.

Die Taktik der Polizei in Brüssel ging auf: Eigentlich sollte es eine Grossdemonstration gegen die Coronaauflagen werden. Doch statt eines von Autos, Lastwagen und Lieferwagen blockierten Zentrums gab es am vergangenen Montag zahlreiche Kontrollen auf dem Brüsseler Ring. Damit konnten die Beamt:innen die sogenannten Freiheitskonvois auf Abstand halten. Nur wenigen Hundert Protestierenden gelang es, zu Fuss in die Innenstadt und ins Europaviertel zu kommen.

Die meisten Teilnehmer:innen stammten aus den Nachbarländern Frankreich und den Niederlanden. Allein im grenznahen Lille waren am Sonntag rund 1300 Fahrzeuge aufgebrochen. Ein Teil der Demonstrant:innen wurde auf einen Parkplatz beim Expogelände im Norden Brüssels umgeleitet, wo solch eine Kundgebung erlaubt war. Auf Aufnahmen belgischer Medien ist zu sehen, wie die Fahrer:innen gegen hohe Benzinpreise, «die Impfung, die keine ist», und die Politik, die «konstant belügt und betrügt», protestieren.

Die gescheiterte Blockade in Brüssel war als Höhepunkt des «European Freedom Convoy» geplant. Vorbild der Protestierenden ist Kanada, wo Lastwagenfahrer:innen in den vergangenen Wochen vor allem in der Hauptstadt Ottawa gegen Coronabeschränkungen demonstrierten. Sie blockierten auch kurzzeitig den Übergang zwischen der kanadischen Provinz Ontario und der US-Metropole Detroit.

Immer mehr Länder

Der Protest kanadischer Trucker:innen fand in zahlreichen Ländern Nachahmer:innen. Vor dem neuseeländischen Parlament in Wellington gibt es seit letzter Woche ein Protestcamp von Impfgegner:innen, bei denen auch Trucker:innen mitmachen. Auch in Canberra, Australiens Hauptstadt, protestierten Trucks auf dem Messegelände und beim Parlament. In Paris gelangte ein Protestkonvoi letzten Samstag trotz Verbot auf die Avenue des Champs-Élysées. Um ihn zu stoppen, setzte die Polizei Tränengas ein. In Wien fuhr am Wochenende ebenfalls trotz Verbot ein Autokorso aus Protest gegen die Covid-Massnahmen durch die Stadt. In Den Haag blockierten Lastwagenfahrer:innen und Bäuer:innen mit Traktoren den Zugang zum Parlament. In Israel machte sich am vergangenen Montag ein Konvoi nach Jerusalem auf. Die Schweiz gehörte gar zu den Pionier:innen, da bereits eine Woche zuvor die Zufahrt zum Bundesplatz in Bern von der Polizei gesperrt worden war. Mehrere Teile des «Freedom Convoy Switzerland», der das Ende aller Coronaregeln forderte, wurden dabei aufgehalten.

Die Bewegung ist wegen ihrer inhaltlichen Schwammigkeit für viele Gruppen anschlussfähig. Sie zieht Anhänger:innen der völkischen identitären Bewegungen ebenso wie Freiheitstrychler:innen und gewisse Esoterikergebene wie auch Antisemit:innen an. Das sie verbindende Motiv ist der selbsterklärte Freiheitskampf gegen eine vermeintliche Coronadiktatur.

«Wieder frei sein»

Daneben speist sich die ungewöhnliche Allianz in den jeweiligen Ländern auch aus politischen Konflikten der letzten Jahre. Es ist kein Zufall, dass die Lastwagenfahrer:innen in Frankreich nun erneut gegen die Benzinpreise protestieren. Deren Erhöhung war bereits 2018 ein Auslöser für die ersten Proteste der Gilets jaunes. Gleiches gilt für die niederländischen «Freiheitskonvois». Bei deren jetzigen Demonstrationen waren auffallend viele Bäuer:innen mit ihren Traktoren vertreten. Diese verwendeten die gleichen Symbole wie bei ihren Protesten der letzten Jahre – etwa die umgedrehte Landesfahne, die eine vermeintliche nationale Notlage ausdrücken soll –, und wieder forderten sie den Rücktritt von Regierungschef Mark Rutte, erneut beschimpften sie den öffentlich-rechtlichen Sender NOS als «Verbreiter von Fake News».

In einem Statement auf dem Telegram-Kanal des niederländischen Konvois auf dem Weg nach Den Haag hiess es am Wochenende, man wolle «an allen Fronten zur Normalität zurückkehren und sich dafür einsetzen, wieder frei zu sein». Aber auch der konstante rechtspopulistische Diskurs des Landes der letzten zwanzig Jahre klingt im selben Statement überdeutlich mit: «Unsere Repräsentanten repräsentieren uns nicht mehr. Wir werden nicht mehr gehört.»

Wenn nun in den kommenden Wochen in vielen Ländern die Pandemiebeschränkungen weitgehend aufgehoben werden, erlaubt das auch einen Blick auf die Zukunft dieser Bewegung. Inwieweit ist das Feindbild staatlicher Virusbekämpfung für sie essenziell? Wenn dieses reale Feindbild entfällt, wird es dann durch andere Inhalte ersetzt? Dass die kanadische Flagge vorerst zu den Requisiten auf Demonstrationen gehören wird, ist zu erwarten.