Kurze Warnung: Das Ständemehr wird ausgebaut

Nr. 49 –

Das war knapp! Die Konzernverantwortungsinitiative scheitert lediglich am Ständemehr. Seither wird rege diskutiert, ob es den Mechanismus noch braucht. Dabei geht unter, dass er sogar ausgebaut werden soll. Nach dem Willen von FDP-Ständerat Andrea Caroni sollen neu alle internationalen Abkommen mit Verfassungscharakter das doppelte Mehr von Volk und Ständen benötigen. Bisher braucht es in solchen Fragen bloss das Volksmehr. Der Ständerat unterstützt das Vorhaben, der Nationalrat kann es noch stoppen (siehe WOZ Nr. 45/2020 ). Das Resultat vom Sonntag bietet dafür ein überzeugendes Argument: Warum soll bei einer Abstimmung über die Menschenrechte die Meinung der Kantone etwas zählen?

Die BefürworterInnen des Ständemehrs argumentieren, dass es die kleinen Kantone schütze. Doch seine Einführung war bei der Gründung des Bundesstaats 1848 vielmehr ein Kompromiss zwischen Liberalen und Konservativen: Die einen machten den demokratischen Entscheid am Individuum fest (Volksmehr), die anderen bei den Kantonen (Ständemehr). 1874 setzten sich die Liberalen durch: Bei Gesetzesreferenden genügt seither das Volksmehr.

Bis heute gibt es nur eine Konstellation, bei der das Ständemehr seine Vetomacht entfalten kann: wenn die konservativen Deutschschweizer Kantone eine Verfassungsänderung ablehnen. Aus diesem Grund hat es der Ständerat diese Woche wohlweislich verhindert, die «Ehe für alle» in der Verfassung zu regeln und damit dem Ständemehr zu unterstellen. Weil einige der historisch konservativen Kantone wie Zug oder Schwyz heute Steueroasen sind, privilegiert das Ständemehr auch noch die Reichen. Dass die Westschweizer Kantone auf eine Mehrheit kommen, ist rechnerisch nicht möglich, und der Wille der Städte wird im politischen System sowieso nirgends repräsentiert.

Ein Ausbau des Ständemehrs ist völlig unzeitgemäss. Wird es nicht abgeschafft, sollte es zumindest revidiert werden. Eine Berechtigung hat es nur bei Fragen, die das Verhältnis von Bund und Kantonen regeln.