Atomwaffenverbot: Verrat an der humanitären Tradition

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In zwei Wochen tritt der Uno-Vertrag für ein Verbot von Atomwaffen in Kraft – gegen den Willen der Atommächte und der Nato-Staaten. Und ausgerechnet die Schweiz untergräbt die Bemühungen um eine globale Abrüstung, statt das friedenspolitische Projekt zu unterstützen.

Auf ihre Knöpfe wollen sie nicht verzichten: US-Präsident Donald Trump und der russische Präsident Wladimir Putin an einer Demo in Berlin im August 2019. Foto: Omer Messinger, Keystone

Am Ursprung eines der erfolgreichsten friedenspolitischen Projekte der Gegenwart stehen zwei australische Ärzte: Bill Williams und Tilman Ruff lancierten 2007 ihre global angelegte Kampagne für ein komplettes Atomwaffenverbot (Ican). Rasch erhielt ihr Anliegen Zuspruch, insbesondere von humanitären Organisationen wie dem Internationalen Komitee des Roten Kreuzes, aber auch von Ländern des Globalen Südens.

Ican orientierte sich bewusst an den erfolgreichen Kampagnen, die zuvor schon zur weltweiten Ächtung von Landminen und Streumunition geführt hatten. Zunächst sollte also eine kritische Masse von Staaten zusammenkommen, um unter dem Schirm der Uno eine völkerrechtliche Norm zur Abschaffung von Atomwaffen durchzusetzen. Ein notwendiger Schritt, um endlich Abrüstungsdruck auf die Atomwaffenstaaten zu erzeugen.

Zehn Jahre nach der Gründung erreichte Ican ein erstes Etappenziel und erhielt dafür sogar den Friedensnobelpreis: Im Juli 2017 verabschiedete die Uno-Vollversammlung den Atomwaffenverbotsvertrag (AVV) – gegen den Willen der Atommächte und der Nato-Staaten, die auch weiterhin auf die nukleare Abschreckung setzen wollen. Das völkerrechtlich bindende Dokument verpflichtet die unterzeichnenden Staaten dazu, «nie, unter keinen Umständen» Atomwaffen zu entwickeln, herzustellen, anzuschaffen, zu besitzen oder zu lagern. Am 22. Januar tritt der AVV offiziell in Kraft.

Der Bundesrat bremst

Ausgerechnet die Schweiz, die sich so gerne auf ihre humanitäre Tradition beruft, steht dabei im Abseits. Und das, obschon das Parlament hinter dem AVV steht: Sowohl der National- wie auch der Ständerat nahmen bereits vor über zwei Jahren eine Motion des Genfer SP-Ständerats Carlo Sommaruga an, die vom Bundesrat verlangt, den «Atomwaffenverbotsvertrag so schnell wie möglich zu unterzeichnen».

Doch der Bundesrat weigert sich unter Federführung des Aussendepartements bisher, die Motion umzusetzen. Mehr noch: Er untergräbt die geforderte Ratifizierung gar. Im Sommer 2018 erstellte eine interdepartementale Arbeitsgruppe einen Bericht zum AVV, der letztlich für eine Ablehnung plädierte. «Das Vorgehen der Stigmatisierung ohne Einbezug zentraler Staaten entspricht nicht dem Schweizer Ansatz, wonach die Abrüstung mit und nicht gegen Kernwaffenstaaten erfolgen sollte», so das zentrale Argument im Bericht. Das stelle den Schweizer Ansatz des Brückenbauens infrage. Auch der Bundesrat sieht das so. Im Parlament formulierte FDP-Aussenminister Ignazio Cassis die ablehnende Haltung noch deutlicher: «Wir sind alle gegen den Atomkrieg. Aber diese Art von Symbolpolitik bringt die reale nukleare Abrüstung nicht voran.»

Volksinitiative als Option

Laurent Goetschel kann die Haltung des Bundesrats nicht nachvollziehen. Für den Professor für Politikwissenschaft an der Universität Basel und Direktor von Swisspeace (Schweizerische Friedensstiftung) ist der AVV weit mehr als Symbolpolitik. «Im Gegensatz zu den beiden bereits bestehenden Uno-Verträgen, die lediglich die Nichtverbreitung und Reduktion von Atomwaffen sowie einen Teststopp verlangen, geht es hier um ein grundsätzliches Verbot», sagt Goetschel. Das betreffe also auch die Finanzierung und die Entwicklung solcher Waffen. Nur ein umfassendes Verbot werde die nukleare Abrüstung auch wirklich voranbringen.

Goetschel verweist darauf, dass der Vertrag seine Wirkung nicht schlagartig, sondern erst langfristig entfalten werde: «Mit dem Inkrafttreten wird die völkerrechtliche Ächtung von Atomwaffen eingeleitet. Je mehr Staaten mitmachen, umso stärker wird der entsprechende Druck. Das Bekenntnis zum humanitären Völkerrecht gehört zu den Markenzeichen der Schweizer Aussenpolitik. Handkehrum kommt der Haltung der Schweiz zu dieser Frage international eine grosse Bedeutung zu. Insofern kann ich den Entscheid des Bundesrats, den Vertrag nicht zu ratifizieren, nicht verstehen», so Goetschel.

Maya Brehm, Vorstandsmitglied bei Ican Switzerland, sieht in der bundesrätlichen Ablehnung gar einen Bruch mit der bisherigen Aussen- und Sicherheitspolitik: «Lange Zeit sah sich die Schweiz global in der Rolle einer humanitären Vorreiterin und ist allen vergleichbaren Abrüstungsübereinkommen beigetreten. Heute scheint es dem Bundesrat wichtiger, die Nato-Staaten nicht vor den Kopf zu stossen. Damit gefährdet er die Glaubwürdigkeit der Schweiz als unabhängige und neutrale Vermittlerin.» Dass es auch anders gehe, zeige unser Nachbarland Österreich, das ebenfalls neutral und kein Nato-Mitglied ist: Es ratifizierte den AVV bereits vor drei Jahren. «Statt zu zaudern, hat sich Österreich schnell und klar zu humanitären Abrüstungsgrundsätzen verpflichtet. Die Atommächte und die Nato-Staaten hatten kaum Zeit, wirklich Druck aufzubauen. Die Schweiz hingegen steht heute unter genauer Beobachtung», sagt Brehm.

Der Entscheid des Bundesrats ist noch nicht abschliessend. Im Sommer soll im Rahmen einer neuen Strategie im Abrüstungsbereich nochmals eine vertiefte Prüfung stattfinden. Bleibt der Bundesrat bei seiner Ablehnung gegenüber dem AVV, prüfe man auch die Möglichkeit einer Volksinitiative, sagt Maya Brehm von Ican Switzerland.