Atomwaffen: Militärisch indoktriniert
Die Schweiz könnte einen wichtigen Beitrag zum Verbot von Atomwaffen leisten, tut es aber nicht. Bisher vertrauliche Dokumente zeigen: Das Verteidigungsdepartement gibt in dieser Frage den Ton an.

Wenn am Montag Donald Trump als 47. US-Präsident vereidigt wird, erhält der 78-Jährige auch den berühmten «Atomkoffer» – und somit die Möglichkeit, den Einsatz von Atomwaffen auszulösen. Nicht als Einziger auf der Welt: In einer zunehmend konfliktreichen Zeit besitzen neben den USA die acht weiteren offiziellen (Russland, China, Grossbritannien und Frankreich) und inoffiziellen (Israel, Indien, Pakistan und Nordkorea) Atommächte die tödlichste Massenvernichtungswaffe der Menschheitsgeschichte. Umso dringender stellt sich die Frage, wie sich die Gefahr eines nuklearen Krieges bannen lässt.
Im Sommer 2017 verabschiedete die Uno-Generalversammlung den Atomwaffenverbotsvertrag (TPNW). 122 Staaten stimmten damals dafür, darunter auch die Schweiz. Mehr noch: Die ehemalige SP-Aussenministerin Micheline Calmy-Rey hatte die Ausarbeitung des TPNW aktiv unterstützt und sich insbesondere mit den humanitären Auswirkungen von Atomwaffen befasst.
Bundesrätliche Kehrtwende
Mittlerweile hat der Bundesrat, angeführt vom aktuellen FDP-Aussenminister Ignazio Cassis, eine Kehrtwende vollzogen. Im letzten Frühjahr gab er bekannt, den Atomwaffenverbotsvertrag nicht zu ratifizieren – und setzte sich damit ein weiteres Mal über einen deutlichen Parlamentsentscheid hinweg, der schon vor sechs Jahren einen umgehenden Beitritt zum TPNW gefordert hatte. Das zentrale Motiv für die ablehnende bundesrätliche Haltung legten damals zwei ergänzende Berichte offen: Ein Beitritt würde «die Position der Schweiz in Sicherheitspartnerschaften komplizieren – insbesondere gegenüber der Nato», hiess es darin. Florian Eblenkamp vom Schweizer Ableger der Internationalen Kampagne zur Abschaffung der Atomwaffen (Ican), die massgeblich am Zustandekommen des TPNW beteiligt war und dafür 2017 den Friedensnobelpreis erhielt, kritisierte den bundesrätlichen Entscheid damals gegenüber der WOZ scharf. Er sprach von einem «Mangel an aussenpolitischem Gestaltungswillen».
Vor diesem Hintergrund wollte die WOZ genauer wissen, wie der damalige Entscheid zustande kam, und verlangte – gestützt auf das Öffentlichkeitsgesetz – Einsicht in die Sitzungsprotokolle jener interdepartementalen Arbeitsgruppe (Idag), die für die bundesrätliche Entscheidungsfindung sowie für die erwähnten Berichte verantwortlich war. * Insgesamt dreimal traf sich diese Idag zwischen Oktober 2022 und Januar 2023, wobei jeweils etwa drei Viertel der teilnehmenden Vertreter:innen aus dem Aussendepartement (EDA) stammten.
So ausgeprägt die personelle Mehrheit aus dem Cassis-Departement auch war: Inhaltlich dominierte letztlich das Verteidigungsdepartement (VBS) von Mitte-Bundesrätin Viola Amherd, die soeben ihren Rücktritt per Ende März angkündigt hat. Das zeigen die drei jeweils zweiseitigen Protokolle auf. Das VBS pochte darauf, die Sicherheitspolitik zum mit Abstand wichtigsten Bezugspunkt zu machen. Es wirkte explizit darauf hin, eine Formulierung über «den negativen Einfluss eines TPNW-Nichtbeitritts auf die Glaubwürdigkeit der Schweiz als vermittelnde Partnerin» fallen zu lassen. Es wollte sogar durchsetzen, dass der Entscheid gegen den TPNW «ohne zeitlichen Horizont» gefällt werde, der Nichtbeitritt also quasi Bundesdoktrin würde.
Beschädigte Glaubwürdigkeit
Roxane Steiger von der Gruppe für eine Schweiz ohne Armee (GSoA) hat sich die Protokolle auf Anfrage der WOZ angeschaut. Für sie ist klar: «Der ablehnende Entscheid sowie die Berichte zur Schweizer Haltung gegenüber dem TPNW tragen die Handschrift des VBS.» Alle Gründe, die demgegenüber aus völkerrechtlicher, humanitärer oder friedenspolitischer Sicht für einen TPNW-Beitritt sprechen würden, hätten dem Primat der Sicherheitspolitik weichen müssen. Für Steiger scheint das VBS mit einem klaren Verhandlungsauftrag an die Idag-Sitzungen geschickt worden zu sein: «Eine Totalabsage an den Vertrag.»
Das EDA hingegen macht in den Dokumenten einen zögerlichen Eindruck. Es bringt zwar Bedenken und Vorschläge ein, fügt sich aber gemäss Protokoll beinahe allen Anmerkungen des VBS. «Am Ende wirkt das Ergebnis wie eine Kombination aus einem passiven Aussenminister und einer aktiven Verteidigungsministerin, die die Annäherung an die Nato um jeden Preis vorantreiben möchte», sagt die GSoA-Sekretärin.
Sowohl Roxane Steiger als auch Florian Eblenkamp von Ican Schweiz beurteilen die bundesrätliche Ablehnung des Vertrags als zumindest indirektes Bekenntnis zur Nato-Doktrin der nuklearen Abschreckung. Beide gehen davon aus, dass diese Haltung der Glaubwürdigkeit der Schweiz als humanitärer Akteurin auf internationaler Ebene schadet – und es der Bundesrat damit verpasst, «als neutraler Staat eine aktive Rolle in der Abrüstungsdiplomatie einzunehmen», wie es Steiger formuliert.
Aus diesem Grund haben die GSoA und Ican Schweiz gemeinsam mit Organisationen wie Greenpeace oder Terre des hommes sowie mit der SP und den Grünen im letzten Sommer eine Volksinitiative lanciert. Mit dem Unterschriftensammeln sei man nach sechs Monaten «auf Kurs», wie Eblenkamp sagt. Kürzlich sei Indonesien dem TPNW beigetreten – womit bereits 98 Staaten den Vertrag unterschrieben hätten. «Somit fehlt noch ein Staat für eine globale Mehrheit», sagt Eblenkamp.