Nach dem Sturm aufs Kapitol: Die privatisierte Demokratie

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Das Ereignis ist historisch wie auch bezeichnend für unsere Zeit: Am 6. Januar 2021 hat ein rechtsextremer US-Präsident seine AnhängerInnen mithilfe eines milliardenschweren Techkonzerns angestiftet, das US-Parlament zu stürmen, um die Bestätigung seines Nachfolgers zu sabotieren. «Grosser Protest in Washington am 6. Januar. Seid da, es wird wild!», hatte Donald Trump auf Twitter unter anderem geschrieben. Seit der Kurznachrichtendienst Trumps Account kurz darauf löschte – genauso wie Facebook –, ist eine Debatte darüber entbrannt, welchen Platz Techkonzerne in der Demokratie spielen sollen – eine der zentralen Fragen der kommenden Jahre.

Die kurzfristige Sperrung von Trumps Account war richtig. Doch bei aller Abscheu gegenüber dessen Lügen, dem Hass und den Aufrufen zur Gewalt: Angela Merkel hat recht, wenn sie die dauerhafte Löschung des Accounts kritisch sieht. Tatsächlich sollte nicht ein privater Konzern entscheiden können, wer in der Öffentlichkeit was sagen darf. Das grundsätzliche Problem hinter dem Entscheid offenbarte sich in Merkels Bemerkung, wonach Twitter mit der Löschung die Meinungsfreiheit verletzte. Tut es eben gerade nicht: Mit ihren digitalen Plattformen haben die Techkonzerne die Demokratie ein Stück weit privatisiert. In den USA gilt die Meinungsfreiheit im privatisierten digitalen Raum nicht – und auch in Europa nur beschränkt: Die Konzerne entscheiden, wer was sagen darf.

Diese Privatisierung der Demokratie ist das Resultat einer jahrzehntelangen Politik. Nachdem das Internet einst mit öffentlichen Geldern entwickelt worden war, überliessen die USA nach der Zerschlagung der Telekomfirma AT&T 1984 die Branche dem freien Markt – so wie auch viele europäische Länder. Wie der deutsche Soziologe Philipp Staab in seinem Buch «Digitaler Kapitalismus» aufzeigt, haben die Regierungen mit der Deregulierung der Finanzmärkte dafür gesorgt, dass eine Unmenge von Risikokapital in die aufsteigenden Techfirmen floss. Die Regierungen haben den Firmen zudem die Steuern gesenkt und zugeschaut, wie diese ihre Monopole errichteten. So passt es, dass Trump – der diese rechtslibertäre Politik auf die Spitze trieb – der erste US-Präsident war, der via Techkonzern regierte.

Heute liegt der Grossteil der digitalen Öffentlichkeit in der Hand von ein paar milliardenschweren Techmonopolen, die eine immense Macht über die Demokratie besitzen. Vier Jahre lang boten sie Trump eine Plattform, weil sie von der Aufmerksamkeit profitierten, die seine Lügen und sein Hass auf ihre Kanäle zogen. Und nun, da der Präsident abtritt und sie vom nächsten Amtsträger Joe Biden die Quittung für ihre Verwicklung in Trumps faschistischen Angriff auf die US-Demokratie befürchten, löschen sie Trump ebenso willkürlich den Kanal.

Wenn Trumps ältester Sohn Twitter nun mit der Herrschaft des ehemaligen chinesischen Herrschers Mao Zedong vergleicht, liegt darin ein Stück Wahrheit. Er verweist damit unfreiwillig auf den grossen blinden Fleck vieler Liberaler: Die Anhäufung autoritärer Macht droht heute nicht zuletzt durch private Konzerne.

Trumps Anstiftung zu Gewalt über Twitter und die Löschung seines Accounts zeigen, wie dringlich eine öffentliche Regulierung der Techkonzerne ist. Merkel hat recht, dass öffentliche Gesetze definieren sollten, was auf den digitalen Plattformen nicht gesagt werden darf. Mit dem «Digital Services Act» hat die EU-Kommission letzten Dezember ein entsprechendes Gesetz vorgelegt. Der Grundsatz: Was in der analogen Welt verboten ist, soll es in der digitalen Welt ebenso sein. Dafür soll die Rechtsprechung bestehender Gerichte sorgen. Sicher, eine Demokratie muss demokratiefeindliche Meinungen aushalten können. Spätestens wenn jemand wie Trump zu Gewalt anstiftet, muss es jedoch möglich sein, dies per Gesetz zu unterbinden.

Gleichzeitig lässt aufhorchen, was EU-Binnenmarktkommissar Thierry Breton nach der Erstürmung des US-Kapitols in einem Beitrag für das US-Magazin «Politico» schrieb: Die jüngsten Ereignisse markierten für die digitalen Plattformen denselben Einschnitt wie einst die Anschläge des 11. September 2001 in New York für die «globale Sicherheit». Nach den damaligen Anschlägen bliesen Regierungen weltweit zu einem Frontalangriff auf die Grundrechte. Der öffentliche Druck wird dafür sorgen müssen, dass das neue EU-Gesetz nicht zur Zensur legitimer Regierungskritik missbraucht wird.

Die stärkere Regulierung der Techfirmen löst jedoch nicht das grundsätzliche Problem, dass die digitale Öffentlichkeit und damit ein Stück Demokratie in den Händen privater Milliardenkonzerne liegt: Das Ziel dieser Konzerne ist nicht eine möglichst demokratische Debatte – sondern der Profit. Für diesen sind sie auch bereit, die demokratische Debatte mittels Algorithmen zu pervertieren, die den Leuten auch Verschwörungstheorien auf dem Silbertablett präsentieren. Der einzige Ausweg: die Zerschlagung der Monopole und der Aufbau gemeinwirtschaftlicher Plattformen als Service public. Alles andere ist Verrat an der Demokratie.