Elektronische Identität: Ringier, der Goldschatz und die Demokratie

Nr. 3 –

Marc Walder weibelt als CEO von Ringier für eine E-Identität. Folgt man seiner Datenspur, sieht man schnell, über welch gigantische kommerzielle Interessen am 7. März abgestimmt wird. Und welche Gefahren drohen.

Ankunft im «Digitalzug»: Andreas Meyer, damals SBB-CEO, Doris Leuthard, damals Bundespräsidentin, und Ringier-CEO Marc Walder am Digitaltag 2017. Foto: Ennio Leanza, Keystone

Wenn grosse Geschichten erzählt werden, nehmen sie meist einen gewöhnlichen Anfang. So auch die Geschichte von Digitalswitzerland. «Das Abenteuer begann in einer Kaffeepause am WEF 2015», heisst es auf der Website unter «Mission». Marc Walder, CEO des Medienkonzerns Ringier, habe Schweizer Firmenchefs um sich geschart und ihnen drei simple Fragen gestellt: Verändert die Digitalisierung Ihr Unternehmen? Soll die Schweiz ein führender Wirtschaftsstandort bleiben? Muss die Schweiz auch bei der Digitalisierung führend werden? «Die Antwort war ein einstimmiges Ja.»

Kurz darauf wurde Digitalswitzerland mit Post, SBB, Swisscom, Migros, Ernst & Young, UBS, Google, der ETH und natürlich Ringier gegründet. Heute zählt die sogenannte Standortinitiative mehr als 150 Mitglieder, das Ziel lautet in schönstem Schweizer Geschäftsenglisch: «Making Switzerland a leading digital innovation hub. Worldwide!»

Verfolgt man die Geschichte von Digitalswitzerland, Ringier und Marc Walder, erfährt man viel über die Entstehung und Ausgestaltung der elektronischen Identität, über die am 7. März abgestimmt wird. Zwar geht es dabei durchaus um die Frage, ob der Staat die E-ID ausstellt oder Private, vor allem aber auch darum, ob sie zur völligen Kommerzialisierung personenbezogener Daten dienen soll. Mit der Folge, dass in dieser Geschichte alles verschwimmt: Staat, Wirtschaft, Behörden, Firmen, Politikerinnen, CEOs, Journalismus, Werbung, Propaganda. Wo es keine Distanz mehr gibt, leidet am Ende stets die Demokratie. Doch zuerst weiter nach der Kaffeepause.

Die Rakete startet

Doris Leuthard war es, die damalige Vorsteherin des Infrastrukturdepartements Uvek, die Marc Walder in einem Telefongespräch den entscheidenden Tipp gab. Digitalswitzerland sei wichtig, «doch vergessen Sie die Bevölkerung nicht». Um von solchen Vertrautheiten zwischen Regierung und Konzernen zu erfahren, muss man bloss die Ringier-Medien lesen. Sie haben mit seitenlanger Begeisterung dokumentiert, was ihr CEO alles für die Digitalisierung des Landes tat. Nach dem Telefonat mit Leuthard rief Walder im November 2017 den «Digitaltag» aus. Die CVP-Bundesrätin wiederum reiste als «Mutter des Digitaltags» («Blick») in einem Digitalzug nach Zürich und eröffnete im Hauptbahnhof den Anlass: «Wir zünden hier die Digitalrakete Schweiz!» Worin sie bestand, ging im Brimborium fast unter: in der privatisierten, kommerzialisierbaren E-ID.

An einer Pressekonferenz während des Digitaltags gaben Staatsbetriebe wie die Post, Grossbanken wie die UBS und Versicherungen wie die Mobiliar bekannt, dass sie sich zum Konsortium Swiss Sign Group zusammenschliessen und gemeinsam eine elektronische Identität lancieren wollen. Bis dahin laborierten die Firmen in zwei Lagern an der E-ID, nun fanden sie zusammen. «Cash», das Wirtschaftsportal von Ringier, berichtete: «Es ist ein gewaltiger Durchbruch», meinte der damalige SBB-Chef Andreas Meyer. «Natürlich hoffen wir, dass die Politik uns den notwendigen gesetzlichen Rahmen gibt», sagte Lukas Gähwiler, VR-Präsident der UBS Schweiz.

Der Ruf wurde erhört. Nur wenige Monate später, im Juni 2018, verabschiedete der Bundesrat die Botschaft zum Gesetz über die elektronischen Identifizierungsdienste. Die E-ID soll es ihrem Besitzer, ihrer Besitzerin erlauben, sich im digitalen Raum zweifelsfrei auszuweisen, vergleichbar mit einer Identitätskarte. Ein beliebtes Beispiel für eine Anwendung ist die Bestellung eines Betreibungsregisterauszugs für die Wohnungssuche. Die E-ID soll nicht nur gegenüber Behörden zum Einsatz kommen, sondern auch im Bereich der E-Health (beim Zugang zum elektronischen Patientendossier sowie dem digitalen Impfausweis) und des E-Commerce (bei allen möglichen Kaufgeschäften).

Ursprünglich hatte das Justizdepartement das Ziel verfolgt, dass der Staat die E-ID herausgibt, zusätzlich zur Identitätskarte. Doch dann kam es zur Kehrtwende: Obwohl Staaten wie Deutschland dieses Modell anwenden, setzte der Bund aus Angst vor dem technologischen Wandel und drohenden Kosten auf Auslagerung an Private. Der Staat behält so zwar die Aufgabe, eine Person bei der Ausgabe einer E-ID zu überprüfen – der Verkauf, der Vertrieb sowie die Verwaltung der elektronischen Identität werden hingegen an sogenannte Identity Provider (IdP) vergeben. Oder wie es in der Botschaft zum Gesetz pathetisch heisst: «Die vertrauensbildende Kraft staatlicher Anerkennung und Aufsicht soll mit dem technologischen Know-how und der Dynamik privatwirtschaftlicher Initiative kombiniert werden.»

Am nächsten Digitaltag 2018 brachte sich dann auch schon das Swiss-Sign-Konsortium als künftiger Provider in Stellung. Es startete eine Kampagne für seine Swiss-ID, die fürs Erste ein Log-in für verschiedene Onlinedienste ist. Wenn dereinst der Staat die Glaubwürdigkeit garantiert, soll sie zum digitalen Identitätsstandard werden. Bis dahin will man möglichst viele EinwohnerInnen zum Erwerb einer Swiss ID motivieren. «Ich han eini», sagen im dazugehörigen Werbefilm ein Senn und ein Fischer. «Ich han eini», sagte auch Doris Leuthard, noch bevor das Gesetz zur E-ID überhaupt ins Parlament gekommen war.

Ringier ist zwar nicht Mitglied des Swiss-Sign-Konsortiums, mit der Swiss ID kann man sich mittlerweile aber auch in die Angebote des Medienhauses einloggen, zu dem Onlinemarktplätze zur Stellenvermittlung, Wohnungssuche oder zm Autokauf gehören. Welche Rolle nun schreibt sich Marc Walder bei der Entstehung der E-ID zu? Sieht er sich als Erfinder, Lobbyist oder Promotor des Modells? Und wie könnte Ringier von der E-ID profitieren?

Die WOZ hätte gerne mit Walder gesprochen, der erst Tennisprofi und dann Journalist wurde, zum Chefredaktor der «Schweizer Illustrierten» und des «SonntagsBlicks» aufstieg, an einem Managementkurs in Harvard ein digitales Erweckungserlebnis hatte, darauf den Ringier-Konzern als CEO umkrempelte und von der Besitzerfamilie Ringier als ultimativer Vertrauensbeweis zum Miteigentümer gemacht wurde. Leider fand Walder, der mit seinem Glatzkopf auf Fotos stets ein bisschen wie ein Guru wirkt, der freundlich-nachdenklich in die Zukunft blickt, keine Zeit. Immerhin gab er einige schriftliche Antworten.

Walder zeigt sich darin bescheiden, bezeichnet sich selbst ganz einfach als «Befürworter der E-ID»: «Ausländische Erfahrungen zeigen, dass eine erfolgreiche Digitalisierung auf einer erfolgreichen E-ID beruht.» Auf die Frage, ob Ringier auch ein Geschäftsinteresse verfolge, gibt er eine allgemeine Antwort: «Eine vertrauenswürdige E-ID ist die Basis für eine digitale Schweiz.» Sein Engagement begründet Walder damit, dass für einen Konsens alle Kräfte des Landes gebündelt werden müssten: «Sonst haben wir gegen die globalen Tech-Companies wie Google oder Amazon nicht den Hauch einer Chance.»

Ringier setzt wie kein anderes Schweizer Medienhaus auf die reine Werbefinanzierung. Die Inhalte sind online gratis, die UserInnen geben ihre Daten ab: Sofern sie sich einverstanden erklären, kann ihnen der Konzern personalisierte Werbung anzeigen. Lange setzten die Medien auf Cookies, um ihre LeserInnen zu tracken. Seit der Europäische Gerichtshof 2019 entschieden hat, dass Websitebetreiber für die Verwendung von Cookies die Einwilligung der UserInnen brauchen, schalten sie vermehrt Log-ins vor: Die Schweizer Grossverlage haben sogar eine Log-in-Allianz gegründet, die ihnen die Identifizierung ihrer BesucherInnen erlaubt.

Bei den Log-ins setzt Ringier derzeit auf ein eigenes System mit dem Namen Ringier Connect und weitere Dienste wie die Swiss ID. Der Konzern antwortet in einer Stellungnahme dazu, ob er künftig auch die E-ID einsetzen will, ausweichend: «Für unsere Dienstleistungen benötigen wir die Gesetzesgrundlage nicht.» Unabhängig davon sei aber eine E-ID für die weitere Entwicklung von Onlinetransaktionen unbestritten nötig.

Für Erik Schönenberger, Geschäftsführer der Digitalen Gesellschaft, ist der Fall klar: «Die Medienkonzerne sehen bei der Einführung der E-ID einen Goldschatz für ihre personalisierte Werbung funkeln.» Denn diese habe einen klaren Vorteil: Im Gegensatz zu Cookies, die nur Geräte wie den Laptop tracken, oder zu Log-ins, bei denen man sich auch als Donald Duck anmelden kann, werde die E-ID in der vorliegenden Form eine eindeutige Identifikation der UserInnen ermöglichen.

In der Parlamentsberatung haben die KritikerInnen zwar einige Erfolge für den Datenschutz erzielt: Künftige Identity Provider dürfen die elektronischen Identitäten, die sie ausstellen, nicht selbst für kommerzielle Zwecke nutzen. Und die Anbieter von Onlineshopping, die für ihre Transaktionen nach der E-ID fragen, müssen weiterhin einen anderen Zugang zu ihren Angeboten gewährleisten. «Bloss», fragt Schönenberger rhetorisch, «warum soll ich mich beim Einkaufen überhaupt ausweisen müssen?» In der vorliegenden Form diene die E-ID primär der Kommerzialisierung.

Justizministerin Karin Keller-Sutter gab das in einem Interview mit der NZZ kürzlich unumwunden zu: Es gehe um die «Marktdurchdringung». Die Digitale Gesellschaft stellt sich denn auch nicht grundsätzlich gegen eine E-ID, möchte zum Schutz der Privatsphäre aber eine Lösung, bei der möglichst wenige Daten anfallen: weder beim Staat noch bei Providern oder bei den Onlinediensten. Technisch wäre das durchaus möglich, wenn die E-ID dezentral gespeichert würde, bei den BürgerInnen selbst.

Propaganda in eigener Sache

Wie Ringier am Freitag gleich selbst vorführte, ist das Konstrukt aber auch aus demokratiepolitischer Sicht heikel. Bisher betonte der Konzern, keine politischen Native Ads zu schalten. Der Presserat zeigte sich wiederholt zutiefst beunruhigt über solche fingierten Beiträge zu Werbezwecken. Die fehlende Trennung von Inhalt und Werbung untergrabe die Glaubwürdigkeit des Journalismus. Vergangene Woche nun tauchten auf den Plattformen «Blick», «Beobachter» oder «Schweizer Illustrierte» plötzlich Beiträge mit dem Titel «Darum brauchen wir eine elektronische Identität» auf. Präsentiert werden die Publireportagen – wen überraschts – von Digitalswitzerland. Gestaltet hat die Agentur Furrerhugi.

Daniel Graf, der mit der Onlinesammelplattform WeCollect das Referendum gegen die E-ID initiiert hat, spricht von einem «Dammbruch». «Ringier macht auf den eigenen Newsplattformen Schleichwerbung für ein Anliegen, mit dem es kommerzielle Interessen verfolgt: Wie soll da noch ein unabhängiger Journalismus möglich sein?» Die Entwicklung stelle eine Bedrohung für die Demokratie dar: «Die E-ID wird es ermöglichen, gezielt Werbung an Wählersegmente auszuspielen. Der Kaufkräftige gewinnt noch mehr Macht in Abstimmungskämpfen.» Das Referendumskomitee hat beim Presserat eine Beschwerde gegen Ringier eingereicht, 1800 BürgerInnen unterstützen sie online.

Marc Walder sieht selbst keinen Rollenkonflikt: «Werbevermarktung und redaktionelle Berichterstattung sind zwei verschiedene Paar Schuhe», schreibt er. «Unsere Medien werden in der Berichterstattung sowohl die Befürworter als auch die Gegner zu Wort kommen lassen.» Vielleicht bewegt sich der Ringier-CEO aber auch schon in höheren Sphären, als sich um direktdemokratische Feinheiten zu kümmern. Ausgezeichnet mit dem «Transformer Award» und zum «Digital Economy Ambassador» ernannt, nahm Walder im letzten Jahr auch im Stiftungsrat der Swiss Digital Initiative Einsitz. Sie will Unternehmen weltweit zu ethischen Verhaltensregeln bewegen. Auch bei der Stiftung geht es mit der Vermischung von Politik und Wirtschaft munter weiter: Die Initiative steht unter dem Patronat von Finanzminister Ueli Maurer. Präsidentin ist eine alte Bekannte: Doris Leuthard.