EU-Lieferkettengesetz: Ein altes Anliegen vor dem Durchbruch

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Die EU nimmt in diesem Jahr Kurs auf ein ambitioniertes Gesetz zur Unternehmensverantwortung. Entscheidend ist dabei, dass in diversen Mitgliedstaaten bereits entsprechende Initiativen bestehen.

Das europäische Lieferkettengesetz ist letzte Woche einen deutlichen Schritt näher gerückt. Fast einstimmig nahm der Rechtsausschuss des EU-Parlaments eine Gesetzesinitiative an, die Unternehmen konsequent in die Verantwortung für ihre Produkte nimmt. Sie haften damit für die Einhaltung von Menschenrechten und Umweltstandards während des Herstellungsprozesses. Unternehmen sollen künftig ihre vollständige Wertschöpfungskette mitsamt Betriebsabläufen, direkten oder indirekten Geschäftsbeziehungen und Investitionsketten auf diese Faktoren prüfen, heisst es in einer Mitteilung des Parlaments.

Die Sorgfaltspflicht beinhaltet weiter, dass auch Geschädigte von ausserhalb der EU Zugang zu rechtlichen Mitteln erhalten sollen. Verstösse würden demnach mit Sanktionen bestraft und Produkte, die mit Zwangsarbeit, Kinderarbeit oder Menschenrechtsverletzungen in Verbindung stehen, auf dem gemeinsamen Binnenmarkt verboten. Der Rechtsausschuss bereite damit «den Weg für ein neues EU-Gesetz», wie es in einem Tweet des Gremiums nach der Abstimmung hiess. Die EU-Kommission hat einen entsprechenden Vorschlag für das Frühjahr angekündigt.

Trotz Fokus auf den europäischen Binnenmarkt betrifft ein solches Gesetz auch Unternehmen ausserhalb der EU: «Ein neues Gesetz zur unternehmerischen Sorgfaltspflicht wird den Standard für verantwortungsvolles Geschäftsgebaren in Europa und darüber hinaus setzen», kommentierte Ausschussmitglied Lara Wolters von der sozialdemokratischen EU-Parlamentsfraktion die Gesetzesinitiative. «Unternehmen werden nicht länger in der Lage sein, Menschen und den Planeten zu schädigen, ohne zur Rechenschaft gezogen zu werden», so Wolters.

Teil des «Green Deal»

Eine solche Regulierung fordern zivilgesellschaftliche und gewerkschaftliche Organisationen seit langem, zumal es in der heutigen globalisierten Wirtschaft kaum noch Produkte ohne internationale Lieferketten gibt. Und seit Didier Reynders, der belgische Justizkommissar der neuen EU-Kommission, im April 2020 einen entsprechenden Entwurf in Aussicht stellte, ist das Lieferkettengesetz in Brüssel ein akutes Thema. Es wird als Teil des europäischen «Green Deal» und des ökonomischen Wiederaufbauprogramms nach der Coronakrise behandelt.

Mit seiner viel beachteten Ankündigung reagierte Reynders auf eine Studie der EU-Kommission zur europäischen Sorgfaltspflicht. Diese hatte bilanziert, dass freiwillige Unternehmensbekenntnisse zu ethischen Standards unzureichend seien, da nur ein Drittel der EU-Unternehmen ihre Lieferketten eingehenden Prüfungen unterzögen. «Eine Regulierung ohne Sanktionen ist keine Regulierung», folgerte Reynders.

Nun spricht etwa der grüne EU-Abgeordnete Sven Giegold von einem «Durchbruch» für das Anliegen, Unternehmen zur Verantwortung zu ziehen. Wie weit dieses zurückreicht, zeigt eine Pressemitteilung des Europäischen Rats vom vergangenen Dezember, in dem die EU-Kommission zu einem Aktionsplan für Lieferketten aufgefordert wird. Darin verweist der Rat auf ein Dokument der Kommission mit dem Titel «Menschenwürdige Arbeit für alle fördern – der Beitrag der EU zur weltweiten Umsetzung der Agenda für menschenwürdige Arbeit». Es stammt aus dem Jahr 2006.

Bekannte Argumente

Dass beim Kampf für die Unternehmensverantwortung ein langer Atem unerlässlich ist, weiss man freilich auch in der Schweiz. Die Konzernverantwortungsinitiative, die Ende November einzig am Ständemehr scheiterte, hatte ebenfalls einen jahrelangen Vorlauf. In einem Statement der deutschen «Initiative Lieferkettengesetz» wurde das Resultat trotz Niederlage positiv bewertet: «Ein Lieferkettengesetz war in der Schweiz noch vor einigen Jahren undenkbar – jetzt ist eine Volksabstimmung dazu nur denkbar knapp gescheitert. Das zeigt: Ein Umdenken hat längst begonnen.»

Vergleichbare Initiativen zur unternehmerischen Sorgfaltspflicht gibt es derzeit auch in EU-Mitgliedsländern wie Deutschland, Finnland oder den Niederlanden. Solche seien essenziell, betont das britische Onlinepolitmagazin «Social Europe»: In den Entscheidungsprozessen der EU hätten schliesslich noch immer die Mitgliedstaaten die Schlüsselrollen inne, deren Parlamente die EU-Beschlüsse letztlich auch implementieren müssten.

In seiner Ankündigung im letzten Jahr hat sich Justizkommissar Reynders ausdrücklich auf das französische «Vigilance-Gesetz» von 2017 bezogen, das als weitaus progressivstes Gesetz zur Unternehmensverantwortung innerhalb der EU gilt. «Social Europe» nennt das einen «guten Ausgangspunkt». Dass die aktuelle positive Entwicklung aber kein Selbstläufer ist, zeigt beispielhaft die Reaktion des Bundesverbands der Deutschen Industrie (BDI). «Unternehmen ziehen eine europäische Lösung statt nationaler Sonderwege vor», heisst es in einer Einschätzung des BDI zwar. Aber er hat Bedenken, was die Haftung von Unternehmen für «Schäden ihrer Geschäftspartner oder Tochtergesellschaften in Drittstaaten» betrifft. «Die Frage, ob Unternehmen die geplanten Anforderungen überhaupt kontrollieren und leisten können, scheint sich manch Abgeordneter nicht zu stellen.» Ein Argument, das man in der Schweiz vom Kovi-Abstimmungskampf bestens kennt.