LeserInnenbriefe

Nr. 9 –

Trifft ins Schwarze

«Essay: Die Verantwortung ist ein ethisches Prinzip; sie kann nie nur das Eigene bedeuten», WOZ Nr. 8/2021

Der Essay von Melinda Nadj Abonji trifft genau ins Schwarze unserer heimeligen und bünzligen Schweiz. Wir stehen am Beginn einer dritten Coronawelle, und Nadj Abonji zeigt klar auf, welche Interessen hinter den unseligen Öffnungsrufen und der Sprache der Vertreter der bürgerlichen Parteien, vor allem der SVP, stehen.

Matthias Odenbreit, per E-Mail

Fernab des Hickhacks

«Verhüllungsverbot: ‹Der Nikab gibt einem Selbstvertrauen›», WOZ Nr. 8/2021

Vielen Dank für das bereichernde Interview mit Agnès De Féo. Ein lebensbejahender, bestärkender Beitrag fernab des elenden Hickhacks zwischen prohibitionistischem Paternalismus («Gesichtsschleier sind schlecht und gehören verboten») und ähnlich respektlosem «grosszügigem» Gewährenlassen («Gesichtsschleier sind schlecht, aber nicht verbietbar»). De Féo entlarvt die sogenannte «Burka»-Initiative und die darum geführte Debatte mühelos als das, was sie sind: sexistisch, frauenverachtend und bevormundend.

Iris Balmer, per E-Mail

Die Alles-geht-Freiheit

«Verhüllungsverbot: Um Gottes Willen: Nein», WOZ Nr. 7/2021

Was ist wahrhaft feministisch und höher zu gewichten: individuelle Freiheit oder menschliche Würde – so wie wir sie in unserer Kultur empfinden? Es ist eine ähnliche Frage wie die nach den Grenzen der Toleranz: Ist die Autorin auch tolerant gegenüber Intoleranz? Wollen wir in unserer Gesellschaft die «Freiheit» einer in Unterdrückung aufgewachsenen Frau schützen? Nein! Auch wenn unsere sogenannt freiheitliche Gesellschaft noch schwer von patriarchalen Herrschaftsansprüchen beeinträchtigt ist. Mit dem Verhüllungsverbot setze ich mich für ein selbstverantwortliches Leben ein und erteile der Alles-geht-Freiheit eine Absage.

Konrad Zehnder, per E-Mail

Berlin wie Bern

«SBB: Wenn nur die Zahlen stimmen» , «Vier Lokführer erzählen: ‹Hunderte von Überstunden – und ein Ende ist nicht in Sicht›» , WOZ Nr. 2/2021

Vielen Dank für diese schönen Beiträge. Amüsiert hat mich in diesem Zusammenhang die folgende Aussage eines Lokführers: «Ein deutscher Kollege sagte einmal: ‹Hätte ich gewusst, wies bei der SBB läuft, ich hätte auch weiter S-Bahn in Berlin fahren können.›» Denn immerhin war «der ehrgeizige Manager» Andreas Meyer Leiter der S-Bahn Berlin, bevor er zur SBB kam. Die S-Bahn Berlin hatte in seiner Zeit unter anderem grosse Probleme mit dem Unterhalt und mit Pannenserien. Auch in Berlin galt gemäss einem Artikel in der «Welt» und in anderen Medien offenbar: «Wenn nur die Zahlen stimmen.»

Michael Brönnimann, per E-Mail

Wie früher die Könige

«Durch den Monat mit Sibel Arslan (Teil 4): Gefällt Ihnen der Roche-Turm?», WOZ Nr. 8/2021

Die WOZ hat die Nationalrätin Sibel Arslan gefragt, ob ihr der Roche-Turm in Basel gefalle. Meiner Meinung nach passt er zum Stadtbild wie die Faust aufs Auge. Dieser Turm und die weiteren Türme des Roche-Konzerns sind reine Prestige- und Machtdemonstrationen der Pharma, genauso wie etwa die Wolkenkratzer der Banken in Frankfurt. Wie früher Kaiser und Könige mit ihren Palästen wollen Konzerne und Banken heute mit ihren Wolkenkratzern demonstrieren, wer wirklich das Sagen hat. Wirtschaftlich sind Hochhäuser nicht. Die Anlagenrendite ist viel schlechter als bei einer Flachbauweise von fünf bis sechs Geschossen.

Die Basler Regierung will bekanntlich den CO2-Ausstoss auf null absenken. Solche CO2-Ziele sind unrealistisch, wenn laufend neue Hochhäuser aus dem Boden spriessen. Der Bau von Hochhäusern widerspricht krass den Zielen der 2000-Watt-Gesellschaft, die in der Schweiz angestrebt wird. Gebäude über 25 Meter Höhe benötigen wesentlich mehr Bauenergie: Statik, Fundationen, Erdbebensicherheit, Brandschutz und so weiter werden sehr aufwendig, Erschliessungssysteme immer umfangreicher, der Anteil an nutzbaren Geschossflächen immer kleiner. Besonders für Familien sind Hochhäuser nicht geeignet.

Heinrich Frei, Zürich

Der «friedliche» Protest

76 Jahre ist es her, seit das KZ Auschwitz befreit wurde. Jedoch wird das Erinnern schwieriger – die Stimmen der Zeugen, die den Horror und Terror am eigenen Leib erfahren haben, werden immer weniger. «As a Holocaust survivor, my greatest concern is … who is going to remember?», sagt Rabbi Arthur Schneier, ein Holocaust-Überlebender, am internationalen Tag des Gedenkens an Opfer des Holocausts. Auch die Schweiz gedachte offiziell der Opfer des Holocausts und ist stolzes Mitglied der International Holocaust Remembrance Alliance. Antisemitismus scheint für viele SchweizerInnen aber kein wichtiges Thema mehr zu sein.

Am 20. Februar versammeln sich rund 1500 GegnerInnen der Coronamassnahmen in Wohlen AG. Freie Meinungsäusserung ist in der Schweiz ein Recht, auch wenn ich den Meinungen der GegnerInnen der Coronamassnahmen nicht zustimme. Vielmehr möchte ich gerne auf eine Aussage der Sprecherin der Kantonspolizei Aargau eingehen: «Solange alles friedlich bleibt, werden wir die Lage einfach beobachten.» Die Demonstration ist genehmigt, jedoch wird das Schutzkonzept nicht eingehalten. Die Polizei greift nicht ein, da es ein «unverhältnismässiger Aufwand gewesen wäre, so viele Menschen zu kontrollieren». Diese Aussage wäre verständlich, wenn es bei diesem «friedlichen» Protest geblieben wäre.

Eine Frau, die stolz am Protest teilnimmt, ist komplett in Gelb gekleidet und trägt über ihrer rechten Brust einen Pin, der den Davidsstern zeigt. Es ist nicht irgendein Davidsstern, sondern eine direkte Anspielung auf den Davidsstern, den Juden in Zeiten des nationalsozialistischen Regimes tragen mussten. Natürlich steht bei der demonstrierenden Dame nicht «Jude» auf dem Pin, sondern höchstwahrscheinlich «ungeimpft». Es könnte von einem Einzelfall gesprochen werden, jedoch steht nur wenige Meter hinter der Dame ein Mann, gekleidet in einen weissen Schutzanzug und mit einer Sonnenbrille, der stolz ein Schild hochhält, auf dem in grossen schwarzen Buchstaben steht: «Impfen – Arbeit Macht Frei».

Da ist er also, der «friedliche Protest». Das Coronavirus zu verharmlosen und sich gegen Massnahmen auszusprechen, ist das eine. Sich mit Opfern, die industriell und systematisch aufgrund ihrer Religion ermordet wurden, zu vergleichen, weil einige Monate eben mal kurz verzichtet werden muss, ist aber unfassbar. Wir Menschen in der Schweiz sind so extrem privilegiert, dass wir das Gefühl haben, eine dem Holocaust vergleichbare Unterdrückung erlebt zu haben, weil wir auf gewisse Dinge verzichten mussten. Die Leugnung des Holocausts wird in der Schweiz mit einer Freiheitsstrafe von bis zu drei Jahren oder einer Geldstrafe bestraft. Mit diesem Leserbrief bitte ich die Kantonspolizei Aargau, sich stärker und direkter gegen diesen Antisemitismus einzusetzen und sofort zu handeln, denn Antisemitismus ist keine Meinung, sondern ein Verbrechen.

A. G. (Name der Redaktion bekannt), per E-Mail