Von oben herab: Under Pressure

Nr. 9 –

Stefan Gärtner über neue Interessengruppen

Das erste Prinzip des Kapitalismus: immer mehr, logisch. Also muss es auch immer mehr Pressure-Groups geben! Economiesuisse und Succèsuisse («Für eine liberale Wirtschaftsordnung – für eine erfolgreiche Schweiz») kennt man, Progresuisse («Für eine offene, erfolgreiche und vernetzte Schweiz und die Weiterführung der Bilateralen») und Autonomiesuisse («Für eine weltoffene, erfolgreiche und freie Schweiz») sind neu – doch wie lautet das zweite Prinzip des Kapitalismus: Des Fortschritts ist kein Ende!

Saucissonsuisse («Für eine Schweiz, die allen gut bekommt») möchte dafür sorgen, «dass die Schweiz kein Würstchen wird». Die Pressure-Group setzt sich für eine erfolgreiche, liberale, niemals zu satte Schweiz ein und hofft auf reges Interesse (Freitisch in der «Kronenhalle», tgl. 11 bis 13 und 18 bis 24 Uhr).

«Für eine Schweiz, die uns ansteckt» will sich Pandemiesuisse verwenden, ein Verband, der für eine offene, vernetzte, «geradezu atemberaubend erfolgreiche Schweiz» kämpft. «Null Mindestabstand zum Erfolg!» lautet einer der Wahlsprüche, gegen die, so ist zu hoffen, kein (sozialistisches) Impfkraut gewachsen ist!

Saecolosuisse strebt nicht mehr und nicht weniger als das «Schweizer Jahrhundert» an, geprägt von Offenheit, ökonomischer Liberalität und einer erfolgsorientierten Wirtschaftsordnung samt sofortiger Geschäftsklimaneutralität. «Der Standort darf nicht überhitzen», sagt ein Sprecher der Gruppe, die andererseits «eine neue Eiszeit in den Beziehungen Schweiz–EU» rundheraus ablehnt. Die Emissionen von Rundschreiben, Appellen und Pressemitteilungen sollen deshalb auf dem (hohen) Stand von 2021 eingefroren werden.

«Für eine Weiterführung der Bi-, Queer-, Trans- und Interlateralen» wirbt Diversuisse, denn Diversität bedeutet Vielfalt, Vernetztheit, Weltoffenheit, «und je liberaler, desto erfolgreicher!». Eine «Wirtschaft für alle» hat sich der Verband auf die Regenbogenfahnen geschrieben, was bedeutet: Die Wirtschaft nicht mit engherzigen Vorschriften und Vorurteilen behelligen, dann haben alle was davon. «Jede*r wie er kann – falls er*sie kann!»

Automnesuisse dagegen ist eine Neugründung, der von Fachleuten nur mässige Erfolgsaussichten bescheinigt werden, ganz abgesehen davon, dass Autonomiesuisse bereits rechtliche Schritte in Erwägung zieht. «Die Blätter fallen – die Schweiz nicht!» oder «Jagd auf ‹Roter Oktober›» mögen gelungene Claims sein; gegen den metaphorischen Widerspruch, wenn Wirtschaftsaussichten sich eintrüben oder ein Sturm die Börsen durcheinanderwirbelt, ist aber vermutlich trotzdem kein Ankommen.

The Swiss Face will sich die ungebrochene Vorliebe für Allwetterkleidung aus Fleece und Kunstfaser zunutze machen und propagiert eine «resiliente, atmungsaktive Schweiz». Ursprünglich EU-skeptisch, fand die Gruppe den Slogan «Draussen zu Hause» leider schon besetzt, sodass sie sich jetzt lieber für Erfolg, Liberalität, Vernetztheit, Wirtschaftsordnung und Weiterführung einsetzt, «wovon letztlich auch immer».

Um eine kontroverse Neugründung handelt es sich sicher bei NSuisse. «Wir sind natürlich nicht für den Nationalsozialismus, diese für so viele Millionen Menschen tödliche Ideologie, die sich die Welt unterwerfen wollte, um sie rücksichtslos auszubeuten», heisst es auf Anfrage der WOZ. «Wir sind ganz im Gegenteil neoliberal.»

Widmersuisse – mehr Fläche, mehr Farbe, mehr Stangen! Endlich einmal eine Pressure-Group, die weiss, was wirklich zählt. «Wer Popmusik noch von CD hört, ist kein alter Trottel», formuliert der Vorsitzende Rudolf Widmer (54) seine Agenda, «er weiss bloss nicht, wie Spontify funktioniert!» Vernetztheit und eine erfolgreiche Schweiz sind ihm darum «im Grunde scheissegal, odrr» – Hauptsache, die kleinen Silberscheiben sterben nicht aus.

Stefan Gärtner (BRD) war Redaktor bei der «Titanic» und ist heute Schriftsteller und «linksradikaler Satiriker» («Die Zeit»). An dieser Stelle nimmt er jede zweite Woche das Geschehen in der Schweiz unter die Lupe.