LeserInnenbriefe

Nr. 10 –

Eine Herkulesaufgabe

«Essay: Die Verantwortung ist ein ethisches Prinzip; sie kann nie nur das Eigene bedeuten», WOZ Nr. 8/2021

Frau Nadj Abonji bezieht sich bei ihrer wichtigen Aussage zur Geringschätzung ethischer Prinzipien auf Covid-19. Man darf hoffen, dass Corona eine vorübergehende Krise ist. Der Gemeinsinn ist aber auch auf länger anhaltende, noch grössere Probleme der Menschheit anwendbar: Umwelt, Frieden, Hunger, Autofahren, Fliegen, übermässiger Konsum, einseitige Verteilung des Reichtums, Ausbeutung natürlicher Ressourcen auf Kosten der armen Länder, Produzieren und Anwendung von Kriegswaffen, Bildung. Kurz gesagt mit der neuseeländischen Ministerpräsidentin Ardern: «die anderen vor sich selbst schützen». Eine Herkulesaufgabe. Ob wir dies je schaffen werden?

Angelo Andina, Tschlin

Zurück zu den Quellen

«Kommunismus: ‹Auf der Seite derjenigen, die gelitten haben›», WOZ Nr. 9/2021

Zwei Frauen, zwei Perspektiven auf den Kommunismus: Brigitte Studer erinnert an die belastete Geschichte des Begriffs, Zora Schneider will das humane Erbe dieser Tradition retten und auf seine Brauchbarkeit für unsere Zeit hin befragen. Studer hat sich intensiv mit dem Verlauf kommunistischer Bewegungen befasst und eine höchst lesenswerte «Globalgeschichte der Kommunistischen Internationale» vorgelegt, die eine Besprechung in der WOZ verdienen würde. So arbeitet sie gerade für die Frühzeit der 1919 gegründeten Kommunistischen Internationale (KI) enge Verbindungen zwischen radikaler Kapitalismuskritik und antikolonialem sowie feministischem Gedankengut heraus. Immer wieder erschütternd sind die Schilderungen des Stalin-Terrors, dem viele zuvor für die KI tätige GenossInnen zum Opfer fielen.

Der Stalinismus und seine Folgen gehören zur schweren Bürde, mit der sich alle auseinandersetzen müssen, die zur «Idee des Kommunismus» (Alain Badiou) zurückkehren wollen. In der Vergangenheit dieser gesellschaftlichen Bewegung war es hauptsächlich um die Eroberung der politischen Macht gegangen. Dabei ist die Frage des Kommunismus im Kern doch die Frage nach dem Gemeinwohl, den universalen Interessen. Die Menschen sind nicht einfach Anhängsel von Apparaten beziehungsweise «Megamaschinen» (Rudolf Bahro) – seien diese «realsozialistischer» oder kapitalistischer Natur. Sie sind, wie beide Frauen im Gespräch betonen, Subjekte ihrer eigenen Geschichte.

Noch ein Wort zu Traditionen: Auch das Christentum schleppt eine schwere Erbschaft der Rechtfertigung patriarchaler, kolonialer, imperialer Gewalt mit sich herum. Doch die christliche Botschaft lässt sich eben nicht auf diese Schreckensgeschichte reduzieren. Deshalb meine ich, dass es bei der Kirche wie beim Kommunismus darauf ankommt, zu den Quellen befreienden Denkens und Handelns zurückzukehren.

Kurt Seifert, Winterthur

Kein Leben im Lockdown

Diverse Artikel zum Coronavirus

Wie steht es mit den persönlichen Beobachtungen der Autorinnen und WOZ-Journalisten, die nicht müde werden, für eine Verlängerung der scharfen Coronamassnahmen zu plädieren? Haben sie keine Bekannte im höheren Alter, die bis Herbst dank Quartiertreffpunkten mit Mittagstisch ein eigenständiges Leben führen konnte und mit deren Schliessung jede Tagesstruktur verloren hat, sodass sie zu Hause verwahrlost? Haben sie keinen Kollegen, der vor lauter Einschränkungen am Arbeitsplatz und schweren existenziellen Ängsten einen Suizidversuch unternommen hat? Keinen betagten Verwandten, der sich während seiner zehntägigen Reisequarantäne nicht anders zu helfen wusste, als möglichst viel im Garten zu arbeiten, bis er sich mehrere Rückenwirbel brach und nun das Haus nie mehr alleine wird verlassen können? Wenn man dies alles in seinem nächsten Umfeld erlebt, tut einem das Lesen von Artikeln mit solchen Forderungen nur weh.

Ja, es sterben leider viele Menschen an unterschiedlichsten Ursachen, aber es gibt auch Menschen, die wegen des Lockdowns im Endeffekt kein Leben mehr haben. Kann das die Lösung sein? Oder vielleicht ein Grund, über die Frage der Verantwortung in einem umfassenderen Sinn nachzudenken?

Sabine Schäfer, Basel

Wikipedia wird diverser

«Ein Traum der Welt: Land ohne Lächeln», WOZ Nr. 9/2021

Schön, dass auch die WOZ des Zwanzig-Jahr-Jubiläums von Wikipedia gedenkt. Ich habe mich sehr gefreut. Also die eher nachdenklich stimmenden Erfahrungen mit der deutschsprachigen Wikipedia kann ich ein Stück weit nachempfinden (für all die vielen andern Wikipedias auf der Welt kann ich nicht sprechen). Die Verfasserin stiess offenbar sehr früh dazu, grossen Respekt. Dass sie auf Wikipedia seit 2009 inaktiv ist, es aber trotzdem nicht abschreiben mag, spricht ebenfalls für sie.

Klar, es ist widersprüchlich. Wikipedia ist ein «Jekami»-Projekt. Damit wird für die damit verbundene Freiwilligenarbeit, die das ambitiöse Ziel hat, seriöses, neutrales und aktuelles Wissen gratis allen zur Verfügung zu stellen, ja auch immer geworben. Es ist aber so, dass Regeln hierbei eben doch gelten, und die sind nicht immer so glasklar (frau/man muss halt immer wieder nachfragen). Und sie ändern sich auch immer wieder – wenigstens aber doch zugunsten von unter anderem Feministinnen. Und von Personen wie mir, die von Informatik keinen Schimmer haben (dafür von den Frauenstreiks, von Literaturgeschichte und so weiter). Fazit: Es ist heute einfacher als noch vor ein paar Jahren, Artikel über Genderthemen reinzubringen (ich mache seit Februar 2013 bei Wikipedia mit). Und werde weiter eines meiner derzeitigen Lieblingsthemen «Frauen und Alpinismus» ausbauen. Unter anderem über die Sektion Baldern des SAC. Hierbei ist auch wieder ein Jubiläum zu feiern, nämlich das von hundert Jahren (dass die Sektion damit ein Stück Frauengeschichte schrieb, versteht sich).

Gabi Einsele, Stallikon

Nahrung braucht Hände

«Zukunft der Welternährung: Raus aus der industriellen Landwirtschaft», WOZ Nr. 9/2021

Fassungslos sitze ich vor dem Artikel. Da lässt Franziska Meister also vier Standpunkte zu Wort kommen. Die Permakultur, die ganzen Erfahrungen, Forschungen und Erfolge in der Richtung sind ihr keinen Nebensatz wert. Und damit bleibt ein Grundproblem unerwähnt: Was die Nahrungsmittelherstellung vor allem braucht, sind Hände, Hände von Menschen, die von ihrer Arbeit leben können. Diese Hände sind abends schmutzig und auf der Tastatur vielleicht nicht mehr ganz so flink. Aber diese Hände sind es, die uns ernähren, nach wie vor und auch in Zukunft. Das ist keine weltfremde Nostalgie, das sieht inzwischen auch die FAO so. Bei aller Digital- und Technikeuphorie, liebe WOZ, so geht das nicht.

Georg Traber, La Vraconnaz