Lonza: Es fehlt der rauchende Colt

Nr. 14 –

Es ist eine eigenartige Debatte: Seit Tagen werfen Bürgerliche dem SP-Gesundheitsminister Alain Berset vor, er habe es verpasst, bei Lonza eine eigene Produktionslinie für einen Covid-Impfstoff zu kaufen – wie dies angeblich möglich gewesen wäre. Dabei sind es die Bürgerlichen, die solche öffentlichen Beteiligungen seit Jahrzehnten als Sünde ablehnen. Man stelle sich den Aufschrei vor, hätte Berset investiert und der Impfstoff wäre gefloppt.

Zuerst waren es anonyme Quellen, die dem «Tages-Anzeiger» von einem Angebot einer Produktionslinie berichteten – wobei die Zeitung den Artikel wegen fehlender Beweise wieder zurückzog. Erneut angefacht wurde die Geschichte von Albert Baehny, der mit seinem Vize Christoph Mäder die Lonza präsidiert. Mäder ist auch Verwaltungsrat der Ems-Chemie und seit Herbst Präsident des Wirtschaftsdachverbands Economiesuisse. In der «NZZ am Sonntag» sagte Baehny, dass er Bersets Leuten in einer Sitzung Anfang Mai 2020 die Idee einer Produktionslinie unterbreitet habe, mit der sich die Schweiz Impfstoff hätte sichern können.

Die Lonza-Spitze wusste, was sie damit auslösen würde. SVP, FDP und Mitte-Partei sind seit Beginn der Coronapandemie in der Defensive. Die Geschichte ist der ideale Stoff für einen Befreiungsschlag. Die FDP spricht von «Impfgate», die Wahrheit müsse «endlich ans Licht kommen».

Dabei fehlt der rauchende Colt. Auf die Frage, ob eine Produktionslinie zur Diskussion gestanden habe, wich Baehny zuerst aus: «Das wäre doch denkbar, oder?» Erst auf Nachfrage, ob er dies «in den Raum gestellt habe», antwortete er mit Ja, «als Option unter anderen denkbaren Möglichkeiten». Beweise blieb er schuldig – auch auf Nachfrage der WOZ gibt sich Lonza wortkarg.

Bersets Departement widerspricht: Lonza habe nur um Geld für die Hochrisikoinvestition in ein Vakzin mit ungewisser Wirksamkeit gefragt. Impfstoff hätte die Schweiz im Gegenzug keinen erhalten. Das Departement hat auch das Sitzungsprotokoll publiziert, in dem lediglich von einer Beteiligung die Rede ist, die nicht näher präzisiert wird. Darauf krebste Baehny im Schweizer Fernsehen zurück: Er müsse sich «leicht korrigieren». Vielleicht sei er mitschuldig, weil er unklar kommuniziert habe.

Ohnehin hat es sich bei Baehnys Äusserungen im besten Fall um eine Idee gehandelt. Für ein Angebot fehlt ihm die Kompetenz: Der Impfstoff, den Lonza produziert, gehört der US-Firma Moderna. Für den Kauf einer Produktionsstrasse hätte die Schweiz mit Moderna verhandeln müssen. Da fragt sich: Warum sollte eine US-Firma der Schweiz eine Extrawurst gewähren?

Bemerkenswert ist allerdings der neue Konsens zugunsten einer öffentlichen Impfstoffproduktion – Impfstoff als Service public. Das Parlament hat dies als Möglichkeit kürzlich ins Gesetz geschrieben. Zudem sagte SVP-Bundespräsident Guy Parmelin vor wenigen Tagen, dass er mit Frankreich und Deutschland über den Aufbau einer gemeinsamen Impfindustrie Gespräche führe. Hier besteht tatsächlich ein Problem: Trotz jahrelanger Warnungen vor einer Pandemie fehlte sämtlichen Schweizer Pharmafirmen das Know-how, um einen Impfstoff zu entwickeln.

Allerdings darf die Pharma nicht lediglich subventioniert werden wie in den USA und in Deutschland: In beiden Ländern hat die öffentliche Hand allein 2020 insgesamt mehrere Milliarden US-Dollar in Moderna beziehungsweise Biontech zur Entwicklung des Impfstoffs investiert (siehe WOZ Nr. 7/2021 ). Trotzdem liegen die Patente nun bei den Firmen, die anderen verbieten können, den Impfstoff zu produzieren – was zu weltweiter Knappheit führt. Wenn die Allgemeinheit Milliarden in die Hand nimmt, muss sie die Kontrolle über den Impfstoff behalten, damit genug produziert werden kann. Ohnehin hat nicht in erster Linie die Schweiz zu wenig Impfstoff, sondern ärmere Länder – von wo mutierte, impfstoffresistente Viren wieder hierhergelangen können.

Was vor lauter «Impfgate» untergeht: Die Schweiz hat sich laut Zahlen der Uno so viel Impfstoff gesichert, dass sie die Bevölkerung fünfmal impfen könnte – nur Kanada und die USA haben mehr. Fast die Hälfte des hiesigen Impfstoffs kommt übrigens von Lonza.