Moçambique: Der Konzern hier, die Islamisten dort

Nr. 14 –

Das Erdgas hätte die grosse Chance sein sollen, doch nun herrschen Gewalt und Chaos: Der Aufstand in der Provinz Cabo Delgado hat eine neue Eskalationsstufe erreicht. Eine Art Lehrbuchbeispiel zu den Fallstricken der Rohstoffausbeutung in Afrika.

Vor gewalttätigen Rebellen in Sicherheit gebracht: Allein am 1. April kamen mehr als 1000 Personen aus Palma im Hafen der Stadt Pemba an. Foto: Luis Miguel Fonseca, Keystone

Schliesslich zog Total die Reissleine. Ende letzter Woche hat das französische Mineralölunternehmen sein Gelände auf der Afungi-Halbinsel im Norden der Provinz Cabo Delgado zu evakuieren begonnen. Auf etwa siebzig Quadratkilometern Fläche ist dort eine gigantische Anlage zur Verflüssigung von Erdgas im Bau, mit eigenen ArbeiterInnenunterkünften, Hafenanlagen und einer Flugzeuglandepiste. In drei Jahren soll sie den Betrieb aufnehmen, als Teil des grössten privaten Investitionsprojekts auf dem gesamten afrikanischen Kontinent: Zwanzig Milliarden US-Dollar an Investitionen wurden angekündigt, um dereinst jedes Jahr fast dreizehn Millionen Tonnen Erdgas, das vor der Küste gefördert wird, für den Export nach Europa und Asien aufzubereiten.

Bereits zu Jahresbeginn sistierte Total die Arbeiten und zog einen Teil des Personals ab, nachdem sich die Sicherheitslage 2020 drastisch verschlechtert hatte. Noch am 24. März vermeldete der Konzern, die Bauarbeiten würden wieder aufgenommen – just an jenem Tag, an dem ein mehrtägiger Angriff auf die Kleinstadt Palma begann, die nur wenige Kilometer nördlich vom eingezäunten Projektareal liegt. Aus drei Richtungen griffen Kämpfer der Rebellengruppe Ahlu Sunna Wal Jamah (ASWJ) Palma an – die Regierungstruppen waren rasch aus der Stadt vertrieben. Während ein Grossteil der etwa 75 000 EinwohnerInnen floh, zerstörten die Angreifer Kommunikations- und Sicherheitsanlagen und plünderten Banken, Medikamenten- und Nahrungsmittellager. Dutzende Menschen wurden ermordet. Obwohl die Armee mittlerweile verkündet hat, Palma wieder unter Kontrolle zu haben, sind nur wenige BewohnerInnen zurückgekehrt; Tausenden war die Flucht per Schiff gelungen, noch mehr dürften sich aber noch immer im Busch rund um Palma verstecken.

Schon dreieinhalb Jahre dauert der Konflikt in Cabo Delgado an, über 800 Rebellenangriffe auf Dörfer und Städte wurden bereits registriert, manche davon auch in der Umgebung der Afungi-Halbinsel. Über 4000 Menschen kamen insgesamt ums Leben, fast ein Drittel der etwa 2,3 Millionen EinwohnerInnen der Provinz wurden gemäss UNHCR vertrieben. Dass der jüngste Angriff auf Palma für Total aber eine neue Eskalationsstufe bedeutet, liegt vor allem daran, dass dabei erstmals auch Expats ins Visier der Rebellen gerieten – darunter offenbar VertragsarbeiterInnen des Konzerns, die sich tagelang in einem Hotel im Norden der Stadt verschanzt hatten. So erfolgt der Abzug trotz der Beteuerungen der Armee, wonach das Projektgelände zu keinem Zeitpunkt in Gefahr gewesen sei. Hunderte Soldaten sind gemäss Sicherheitsvertrag zwischen Armee und Total dort stationiert, auch jetzt noch, da der Konzern das Gelände verlassen hat. Zumindest haben dies Augenzeugen der Nachrichtenagentur Reuters berichtet: Eine Stellungnahme von Total blieb bislang aus, und es ist entsprechend ungewiss, wie es um die Weiterführung des Projekts steht.

Afrika «brauchbar» machen

Hier der kriegerische Konflikt, und gleich daneben der globale Rohstoffkonzern: Die Situation im Norden Moçambiques ruft einen Aufsatz mit dem Titel «Seeing like an Oil Company» in Erinnerung, den der US-amerikanische Anthropologe James Ferguson 2005 veröffentlichte. Er beschreibt darin, wie global tätige Konzerne Afrikas Reichtümer aus dem Boden und aus dem Meer holen, ohne sich von lokalen Realitäten beeindrucken zu lassen. Infrastruktur wie Arbeitskräfte werden grösstenteils importiert, das Business findet in abgeschotteten und schwer bewachten Räumen statt. Vor Ort profitiert höchstens eine kleine korrupte Elite, nicht aber die Bevölkerung; unter Umweltschäden und Zwangsumsiedlungen leidet diese aber sehr wohl, wie unter Umständen auch unter Verteilkämpfen. Es bestehe gewissermassen eine Unterteilung in ein «brauchbares» und ein «unbrauchbares» Afrika, schrieb Ferguson: Ein transnationales Netz zerstreuter Enklaven werde «gesichert, kontrolliert und ansatzweise mit privaten oder halbprivaten Mitteln regiert», wobei afrikanische Staaten ausserhalb dieser Enklaven insbesondere seit der neoliberalen Wende der achtziger Jahre immer weniger Regierungsaufgaben wahrnähmen.

In Cabo Delgado ist Letzteres schon lange offensichtlich. Die Zentralregierung hat den Aufständischen kaum etwas entgegenzusetzen. Mit ihren Guerillataktiken in der schlecht erschlossenen Provinz – flächenmässig fast doppelt so gross wie die Schweiz und von der Hauptstadt Maputo über 1500 Kilometer entfernt – überfordert die ASWJ die Regierungstruppen komplett. Überhaupt ist die Rebellengruppe sehr schwer greifbar, es kursieren teils widersprüchliche Informationen: So ist etwa unklar, ob sie seit 2015 oder doch bereits seit 2007 existiert und ob sie tatsächlich echte Verbindungen zum «Islamischen Staat» unterhält, als Teil dessen das US-Aussenministerium die ASWJ seit kurzem bezeichnet. «Al-Schabab» werden die Rebellen von der Bevölkerung zudem genannt, obwohl sie mit der gleichnamigen Miliz in Somalia nichts verbindet.

Mehrere Tausend Kämpfer soll die ASWJ heute haben. Waren es anfänglich noch kleine Gruppen, die abgelegene Dörfer plünderten und Polizeistationen angriffen, sind sie mittlerweile besser bewaffnet und organisiert, ihre Taktiken werden laufend elaborierter. Inwiefern die Rebellen Rückhalt in der mehrheitlich muslimischen Bevölkerung Cabo Delgados geniessen, ist derweil umstritten. Neben Berichten über schreckliche Gräueltaten, die an den Stil des IS in Syrien und im Irak erinnern, gibt es solche, wonach die Islamisten sich durchaus auch fürsorglich und umsichtig geben. Die ASWJ lehnt den Staat ganz grundsätzlich ab – womit sie in Cabo Delgado auf Zuspruch treffen könnte. Die Provinz ist die ärmste des Landes, sie wurde von der Regierung der einstigen Befreiungsbewegung Frelimo jahrzehntelang vernachlässigt. «Cabo Esquecido» wird die Provinz auch genannt: das vergessene Kap.

Privatisierte Aufstandsbekämpfung

Dabei war in Cabo Delgado vor nicht allzu langer Zeit Hoffnung auf einen Aufschwung aufgekommen. In den Jahren 2009 und 2010 wurden zunächst Rubinvorkommen entdeckt und dann die Gasfelder vor der Küste. Die bewaffnete Rebellion seit Herbst 2017 soll sich nicht zuletzt auch daran entzündet haben, dass es hauptsächlich multinationale Unternehmen sind, die profitieren – während sich die Situation für die Bevölkerung weder punkto Bildung und Gesundheit noch ökonomischer Chancen verbessert hat. Der Staat scheint unfähig oder nicht gewillt, daran etwas zu ändern.

Stattdessen greifen Armee und Polizei beim Versuch, die Lage unter Kontrolle zu bringen, auf private Sicherheitsfirmen zurück: Zunächst wurde 2019 die russische Gruppe Wagner engagiert, die sich letztes Jahr wieder zurückzog, nachdem sieben ihrer vermutlich gegen 200 Söldner auf brutale Weise getötet worden waren.

Militärisches Kampfgerät und Ausbildung erhielt die Armee von der südafrikanischen Paramount Group. Ebenfalls in Südafrika domiziliert ist die Dyck Advisory Group (DAG) von Lionel Dyck, einem Veteranen der einstigen weissen rhodesischen Armee im heutigen Simbabwe. Söldner der DAG kamen in der Aufstandsbekämpfung seit einem Jahr zum Einsatz, zogen sich jüngst aber wieder zurück, nachdem Amnesty International Anfang März einen Bericht veröffentlicht hatte, in dem nicht nur zahlreiche Kriegsverbrechen der ASWJ dokumentiert sind, sondern auch Menschenrechtsverletzungen von Armee und DAG. Zahlreiche private Sicherheitsunternehmen sollen bereits um die nächsten Aufträge Moçambiques buhlen.

Mittlerweile zeigt sich die Regierung von Präsident Filipe Nyusi, der selbst aus Cabo Delgado stammt, auch offen für internationale militärische Unterstützung, etwa aus den USA, Grossbritannien, Südafrika oder der ehemaligen Kolonialmacht Portugal –wohl nicht zuletzt, weil das hochverschuldete Land sich um die erhofften Steuereinnahmen aus dem Erdgasgeschäft sorgt.

«Direkte und indirekte Anstellungsmöglichkeiten» und eine «Verbesserung der Lebensqualität für die Bevölkerung Moçambiques» verspricht ein Bericht der Afrikanischen Entwicklungsbank aus dem vorletzten Jahr. Fernsehbilder von vorletzter Woche von der Afungi-Halbinsel sprechen demgegenüber eine ganz andere Sprache: Vor den Toren des Total-Projektgeländes sind Tausende Menschen zu sehen, auf der Suche nach Zuflucht vor den Kämpfen in Palma. Sie warteten vergeblich auf Einlass.