Die Gegner des CO2-Gesetzes: BP, Shell und Co. gegen die bösen Abzocker
Das neue CO₂-Gesetz bedroht das Geschäft der Ölkonzerne. Der Heizölverkauf droht einzubrechen, Tankstellen könnten verschwinden. Nun gibt sich die Branche als Anwältin der Büezer und Bergbäuerinnen.
Die Woche begann schlecht für die Erdöllobby. Am Montag trat eine breite Allianz aus WirtschaftsvertreterInnen vor die Medien, um für eine Annahme des CO2-Gesetzes zu werben, über das am 13. Juni abgestimmt wird. Der Wirtschaftsdachverband Economiesuisse etwa, die Bankiervereinigung sowie VertreterInnen des Baugewerbes, der Elektrizitätsindustrie und der Versicherungen treten vereint für ein Ja ein.
Die GegnerInnen des Gesetzes, angeführt vom Erdöllobby-Verband Avenergy, stehen ziemlich einsam da. Schon vor Wochen haben sie mit ihrem «Wirtschaftskomitee» den Abstimmungskampf eröffnet und in Inseraten und auf Plakaten vor einer angeblich unvernünftigen Vorlage gewarnt, die der Wirtschaft und den BürgerInnen mehr Bürokratie und Kosten bringe. Doch grosse Teile der Wirtschaft sehen das offenbar anders. Sie sprechen von einem «gut schweizerischen Kompromiss», bei dem die eingeführten Lenkungsabgaben mehrheitlich wieder an die Bevölkerung verteilt würden und der Rest «zielführend» für Investitionen in den Klimaschutz genutzt werde.
Der Erdöllobby nimmt so niemand mehr ab, im Namen «der Wirtschaft» zu sprechen. Es ist offensichtlich, dass es ihr primär um ihr Eigeninteresse geht und sie deshalb Millionen in die Gegenkampagne investiert.
Konzerne, Genossenschaften, Private
Tatsächlich bedeutet das neue CO2-Gesetz den Anfang vom Ende des boomenden Geschäfts mit fossilen Brennstoffen. Neue oder höhere Lenkungsabgaben verteuern das Heizen mit Öl und Gas wie auch das Fahren mit Benzin- und Dieselfahrzeugen. Neue Grenzwerte für Heizungen erschweren es zudem spürbar, überhaupt neue Öl- oder Gasheizungen in ein Haus einbauen zu dürfen. Der Trend zu Elektroautos, der vergangenes Jahr so richtig eingesetzt hat, wird sich nochmals stark beschleunigen. Das hat wiederum negative Konsequenzen für die rund 1300 Tankstellenshops im Land, welche die Ölkonzerne als Nebengeschäft meist im Franchisesystem betreiben lassen und dafür Provisionen kassieren. Elektroautos müssen nicht betankt werden, sie werden meist zu Hause oder am Arbeitsplatz aufgeladen. Damit drohen auch die Frequenzen in den Tankstellenshops einzubrechen.
Avenergy besteht aus drei Gruppen von Mitgliedern: Die grösste und einflussreichste ist die der internationalen Ölkonzerne, die zusammen über ein Netz von 1200 meist überdurchschnittlich gut besuchten Tankstellen verfügen. Es sind dies die europäischen Unternehmen BP, Shell und Eni, die libysche Tamoil und die besonders umstrittene Socar, ein Staatskonzern aus Aserbaidschan, das im Korruptionsindex von Transparency International auf Platz 126 von 180 rangiert. Dazu kommt der französische Konzern Total im Bereich Flugzeugbetankung. Wie viel diese Grosskonzerne in der Schweiz verdienen, ist nicht bekannt. Zwar anerkennen viele von ihnen inzwischen den negativen Einfluss fossiler Energieträger auf das Klima, doch das hindert sie nicht daran, Milliarden in die Ausbeutung neuer Öl- und Gaslagerstätten zu investieren.
Die zweite Gruppe der Avenergy-Mitglieder sind Tochtergesellschaften der drei Detailhandelsgenossenschaften Migros, Coop und Fenaco (Landi-Läden): Migrol, Coop Mineralöl und Agrola betreiben insgesamt 970 Tankstellen in der Schweiz. Coop Mineralöl (an welcher der US-Ölkonzern Conoco Phillips eine Minderheitsbeteiligung von 49 Prozent hält) hat 2019 einen Umsatz von rund 2,5 Milliarden Franken erwirtschaftet (inklusive der Einnahmen aus den Tankstellenshops) und bezeichnet sich als «Nummer eins» der Schweiz.
Das Engagement von Avenergy gegen das CO2-Gesetz ist sowohl für Coop Mineralöl als auch Migrol problematisch, da sich Coop und Migros im Rahmen ihrer Interessengemeinschaft IG Detailhandel explizit für das CO2-Gesetz ausgesprochen haben. Migrol-CEO Daniel Hofer sagt auf Anfrage, dass sein Unternehmen «zu politischen Themen grundsätzlich keine Stellung bezieht». Hofer ist allerdings auch Präsident von Avenergy. In dieser Funktion sagt er: «Der Konsument soll die freie Wahl haben. Wenn er ein Elektroauto fährt, ist das okay, aber er soll auch ein Benzinauto fahren dürfen, ohne deswegen mehr zu bezahlen. Ich bin gegen Vorschriften, die den Konsumenten bestimmte Technologien verbieten oder vorschreiben.»
Die dritte Gruppe schliesslich besteht aus unabhängigen kleineren und grösseren Aktiengesellschaften. Viele dieser Unternehmen sind in den vergangenen Jahren durch Übernahme von KonkurrentInnen gewachsen. Sie betreiben Tankstellen – etwa unter der Marke Avia –, verkaufen Heizöl, sind aber nebenher oft auch noch im Autohandel tätig. Diese Firmen sind zumeist in Privatbesitz und veröffentlichen keine Umsatzzahlen.
Lohnenswerte Rückerstattungen
Über die Umsätze der Ölkonzerne in der Schweiz ist nur wenig bekannt, doch innerhalb von Avenergy spielen diese Zahlen eine entscheidende Rolle. So bemisst sich sowohl der Mitgliederbeitrag wie auch das Stimmrecht an der Menge der importierten Erdölprodukte, letztlich also am Umsatz. Anhand der geschätzten Umsatzzahlen der betriebenen Tankstellen lässt sich hochrechnen, dass die internationalen Konzerne sowohl am meisten zahlen wie auch stimmenmässig dominieren. Shell, BP, Eni, Total, Socar und Tamoil finanzieren und bestimmen also die Kampagne gegen das CO2-Gesetz massgeblich mit.
Der Einfluss der Ölmultis auf die Schweizer Politik stösst auf Kritik. So wollte SP-Nationalrat Roger Nordmann Ende 2020 vom Bundesrat wissen, ob dieser Massnahmen gegen «diese unerträgliche Einmischung in die demokratische Debatte der Schweiz ergreifen will». Der Bundesrat hat inzwischen geantwortet und schreibt: «Nach aktueller Rechtslage steht es auch multinationalen Unternehmen frei, politische Kampagnen finanziell zu unterstützen.»
Ueli Bamert ist bei Avenergy Leiter der Abteilung Politik und leitet die CO2-Gesetz-nein-Kampagne. Der SVP-Kantonsrat weist darauf hin, dass es sich bei den Mitgliedern von Avenergy allesamt um «Schweizer Firmen mit Schweizer Angestellten und einem Firmensitz in der Schweiz handelt, die ihren Umsatz in der Schweiz erwirtschaften». Ob es sich dabei um Tochterfirmen ausländischer Konzerne handle oder nicht, sei daher «irrelevant».
Avenergy kann sich in seiner Ablehnung des CO2-Gesetzes immerhin auf den Hauseigentümerverband abstützen, der mit seinen 330 000 Mitgliedern eine Macht darstellt. Dazu kommen etwa der Verband der GaragistInnen sowie Gastrosuisse und Anbieter von Heizungen, die ihre KundInnen mobilisieren können. Weitere Mitstreiter sind die Autoimporteure vom Verband Auto-Schweiz, der Nutzfahrzeugverband Astag sowie der Automobilclub ACS – alle mit starker SVP-Schlagseite. Aber selbst die Autolobby ist gespalten: Ausgerechnet der TCS, die grösste Schweizer AutofahrerInnen-Vereinigung, vertritt eine andere Haltung. «Auch der Verkehr hat seinen Beitrag zu leisten, damit die Schweiz die Ziele des Pariser Klimaabkommens erreicht», schreibt der TCS in einer Stellungnahme.
Für die Erdöl- und Autolobby ist die Konstellation, gegen grosse Teile der Wirtschaftsverbände zu argumentieren, ungewohnt. Lange Zeit sassen sie selber im Economiesuisse-Vorstand und bestimmten den klima- und energiepolitischen Kurs des Spitzenverbands massgeblich mit. 2020 sind sie wegen dessen Haltung zum CO2-Gesetz ausgetreten und haben sich dem Gewerbeverband angeschlossen. Doch auch dieser, beim Sammeln für das Referendum noch dabei, hat sich als unsicherer Kantonist erwiesen und Stimmfreigabe zum neuen Gesetz beschlossen. Zu viele Mitglieder, etwa im Bausektor, konnten mit dem Nein nichts anfangen. Denn für viele Firmen birgt das CO2-Gesetz echte Chancen. So können neu alle Unternehmen, die das wollen, die CO2-Abgabe mittels Massnahmen zur Emissionsreduktion zurückerstattet erhalten. Das kann sich lohnen.
Betonung der sozialen Last
Wenn schon die Wirtschaft bockt, so versucht Avenergy jetzt, die sogenannt einfachen Leute mit Plakaten und Inseraten gegen das Gesetz zu mobilisieren, die Bergbäuerinnen und Büezer, die angeblich mit höheren Benzin- und Heizkosten abgezockt würden. Kampagnenleiter Bamert spricht von einem «unsozialen Gesetz», weil es «zu zahlreichen Härtefällen führen» würde, da sich gerade RentnerInnen und junge Familien die hohen Investitionskosten für eine neue Heizung nicht leisten könnten. MieterInnen, die in einem fossil beheizten Haus lebten, würden «fast immer mehr bezahlen», was besonders jene träfe, die «jeden Franken zweimal umdrehen müssen».
Auch wenn etwa der MieterInnen-Verband schreibt, dass nur wenige MieterInnen mehr bezahlen müssten und über Rückverteilung und Förderprogramme (für den Einbau neuer Heizungen) viele sogar profitierten: Die Betonung der sozialen Last ist geschickt und könnte verfangen. Der Werber Christof Dietler, der für die Ja-Kampagne der Umweltverbände arbeitet, bescheinigt den GegnerInnen, auf «eine subtile Art Unzufriedenheit aufzubauen». Angesichts dessen, was er bereits an Werbung gesehen habe, rechnet er mit einem Kampagnenbudget der GegnerInnen von fünf bis zehn Millionen Franken. Die bedrohte Erdöllobby wirft nochmals alles in die Waagschale. Dietler ist sich sicher: «Man muss sie sehr ernst nehmen.»