Agrotreibstoffe: Mit Frittieröl die Bilanz schmieren

Nr. 48 –

Der Verbrauch von Diesel aus Frittieröl boomt in der Schweiz. Die inländische Produktion ist ökologisch sinnvoll, doch neunzig Prozent des Agrotreibstoffs werden von weither importiert.

Von der Burgerbraterei veredelt in den Tank: Bei der Recycling Energie AG in Nesselnbach wird aus altem Frittieröl Agrotreibstoff gemacht.

Grauer Nebel hängt über dem aargauischen Reusstal. Auf dem Verladeplatz der Recycling Energie AG in Nesselnbach parkt ein Lkw. Der Chauffeur fährt mit einem Sackrolli die Fracht heraus: kleinere und grössere blaue Plastikfässer. Ein Geruch nach Gebratenem steigt aus den Fässern empor. Hier wird gebrauchtes Frittieröl gesammelt. Ein inzwischen sehr begehrter Rohstoff.

«Ich hole das Öl gratis von unseren Kunden ab», sagt Werner Humbel, Geschäftsführer und Inhaber der Recycling Energie AG, sportlich-elegant gekleidet in einer schwarzen Outdoorjacke und Lederschuhen. «Würde ich für das Abholen des Öls etwas verlangen, würden meine Kunden zur Konkurrenz wechseln.» Zu Humbels Kunden gehören Nahrungsmittelproduzenten wie Emmi oder Chipshersteller Zweifel, aber auch Spitäler, Altersheime, Gefängnisse und Restaurants.

Aus dem Frittieröl produziert Humbel Dieseltreibstoff – dies seit bereits fünfzehn Jahren. Etwa drei Millionen Liter Frittieröl verarbeitet seine Firma pro Jahr. Das eingesammelte Öl stamme aus einem Umkreis von rund hundert Kilometern, schätzt Humbel. In den weiter entfernten Regionen arbeitet er mit Subunternehmen zusammen, die das Öl hertransportieren. «Viel mehr Öl gibt der Markt für mich nicht her», sagt Humbel.

Für die Produktion des Dieselöls lässt Humbel das vorgereinigte Frittieröl in eine kleine Werkhalle transportieren, ein paar Kilometer weiter entfernt. In der Halle stehen grosse silberne Tanks, die durch gewundene Rohrleitungen verbunden sind, dazwischen Schaltpulte mit Anzeigen für die Temperatur, den Druck und andere Kennwerte. Humbel füllt aus einem der Tanks eine Probe ab, die Flüssigkeit riecht noch immer leicht nach Fritteuse. Diesel, der maximal sieben Prozent von diesem Biotreibstoff enthält, ist für ganz normale Motoren zugelassen. Daneben gibt es Fahrzeuge, die mit hundert Prozent Agrotreibstoff betrieben werden können.

Grossimport aus Deutschland

Es gibt in der Schweiz ein halbes Dutzend Firmen, die Diesel aus gebrauchten Speiseölen herstellen, der als «biogener Treibstoff der zweiten Generation» bezeichnet wird. Im Vergleich zu fossilen Treibstoffen hat er eine deutlich bessere Ökobilanz. Dies allerdings vor allem dann, wenn er aus der Region stammt. Doch dazu später.

Daneben gibt es die Agrotreibstoffe der ersten Generation, die kurz nach der Jahrtausendwende einen enormen Boom erlebten. Für sie werden extra Pflanzen angebaut. In Deutschland, Frankreich oder den USA wachsen bis heute auf riesigen Flächen sogenannte Energiepflanzen wie Raps, Mais oder Weizen. Die Agrotreibstoffe – so die Hoffnung – sollten die Fahrzeuge dieser Welt am Laufen halten, ohne das Klima zusätzlich anzuheizen. Schon bald gerieten sie jedoch heftig in die Kritik: Pflanzen für den Tank statt für den Teller? Ethisch nicht vertretbar, hiess es plötzlich rundherum.

Die Schweiz, sagt Bernhard Steubing, habe beim Boom nicht mitgemacht. Der Spezialist für Ökobilanzen schrieb 2011 an der ETH Lausanne seine Doktorarbeit zum Thema. «Die Schweiz hat früh rigide Anforderungen an biogene Treibstoffe gestellt.» Wer für den Schweizer Markt Treibstoffe aus pflanzlichen Rohstoffen herstellen will, muss nachweisen, dass von ihrem Anbau bis zum Verbrauch mindestens vierzig Prozent weniger Treibhausgase freigesetzt werden als bei fossilem Treibstoff. Zudem darf die Produktion nicht den Anbau von Nahrungsmitteln konkurrenzieren und keine Waldflächen, Feuchtgebiete oder andere ökologisch wertvolle Flächen zerstören. Die Folge ist, dass für die Schweiz fast nur abfallbasierte biogene Treibstoffe zugelassen werden.

Das Problem liegt im Fall der Schweiz vielmehr darin, dass ein Grossteil des abfallbasierten Diesels importiert wird. Letztes Jahr wurden in der Schweiz knapp 215 Millionen Liter Treibstoff aus gebrauchten Speiseölen getankt, rund fünfzehnmal mehr als noch vor fünf Jahren. Mehr als neunzig Prozent davon wurden importiert – grösstenteils aus Deutschland, seit einigen Jahren aber auch aus den USA, Japan oder China. Das Öl wird auf Schiffen, die fossilen Diesel verbrennen, um die Welt transportiert – viel sinnvoller wäre es, die Abfälle in den Herkunftsländern als Treibstoff zu nutzen. Doch für Treibstoffunternehmer wie Avia, BP oder Tamoil ist der Import in die Schweiz lukrativer. Der Grund: Sie können sich so von den Verpflichtungen des CO2-Gesetzes freikaufen.

Das CO2-Gesetz verpflichtet Treibstoffhändler, einen Teil der Treibhausgasemissionen, die sie verursachen, zu kompensieren – ab 2020 zehn Prozent. Dies tun sie, indem sie sich die günstige CO2-Bilanz der von ihnen verwendeten abfallbasierten Treibstoffe anrechnen lassen. Hinzu kommt, dass der Bund auf nichtfossile Treibstoffe keine Mineralölsteuer erhebt. Auf herkömmliche Diesel bezahlen Treibstoffhändler dagegen 76 Rappen pro Liter – das ist fast die Hälfte des Preises für einen Liter fossilen Diesel. Mischen sie nichtfossilen Treibstoff hinzu, wird die Rechnung für sie tiefer. Die Händler müssen dies an den Tankstellen auch nicht deklarieren.

Lieber Busse zahlen

Der neu gewählte Aargauer Ständerat Thierry Burkart, Vizepräsident des autofreundlichen Touring-Clubs der Schweiz (TCS), ist überzeugt, dass es die beiden Privilegien weiterhin braucht. Dass dies so bleibt, will Burkart mit einer parlamentarischen Initiative erreichen, die der Ständerat am Montag berät.

Burkart rechnet damit, dass Unternehmen dank dieser Anreize vermehrt auf Lkws und andere Fahrzeuge umsteigen, die mit Diesel aus hundert Prozent gebrauchtem Frittieröl getankt werden können. Die Steuerbefreiung soll diese Art Treibstoff günstiger machen und die Betriebskosten senken, «damit die Amortisationsdauer der Investition verkürzt wird und somit immer mehr Flottenbetreiber Biotreibstoffe einsetzen».

Doch woher sollen so grosse Mengen biogener Treibstoffe stammen? Bereits wird sämtliches inländisches Frittieröl verwertet, Importe sind fragwürdig. Der Lastwagenverkehr wird sich nie im heutigen Umfang auf Agrotreibstoffe umstellen lassen – schon gar nicht auf abfallbasierte.

Unterstützt wird Burkart von Biofuels Schweiz, dem Interessenverband der Agrotreibstoffindustrie, dem mittlerweile auch fast sämtliche Erdölunternehmen angehören. Ohne die Befreiung von der Mineralölsteuer falle der Anreiz weg, abfallbasierte Treibstoffe beizumischen, sagt Geschäftsführer Ueli Frei. «Dann kompensieren die Erdölimporteure einfach nicht mehr – und bezahlen eben die Strafe von 160 Franken pro Tonne CO2.» Deutlicher kann er kaum auf den Punkt bringen, mit welcher Macht sich die Mineralölbranche dagegen wehrt, verbindliche Regeln im Kampf gegen die Klimaerwärmung einzuhalten.

Noch immer sind die CO2-Emissionen aus dem Verkehr 3,3 Prozent höher als im Referenzjahr 1990. Dabei sollten sie gemäss der offiziellen Klimapolitik der Schweiz bereits nächstes Jahr 10 Prozent unter jenen von 1990 liegen.

Werner Humbel, der Geschäftsführer der Recycling Energie AG, war einst Gründungsmitglied des Verbands Biofuels Schweiz. Er besucht noch immer deren Anlässe. «Aber inhaltlich haben wir das Heu nicht mehr auf derselben Bühne, das ist längst ein Verband von Ölhändlern geworden», sagt er und steigt in seinen schwarzen Tesla. Am Tag darauf findet einer dieser Biofuels-Anlässe statt, die «Biodiesel-Tagung». Dort gibt sich der Verband zuversichtlich, dass die Steuererleichterung noch mindestens bis Ende 2023 bestehen bleibt.

Steuerausfälle

Nichtfossile Treibstoffe sind in der Schweiz seit 2007 von der Mineralölsteuer befreit, was zu Steuerausfällen geführt hat. Gemäss Gesetz hätten die Ausfälle durch einen höheren Benzinpreis kompensiert werden müssen. Dieser Mechanismus wurde jedoch 2010 durch den Bundesrat aufgehoben. Damals waren die Mengen an nichtfossilen Treibstoffen so gering, dass die Regierung die Benzinpreiserhöhung für nicht gerechtfertigt hielt.

Das hat sich geändert. Zwar warnte die Eidgenössische Zollverwaltung bereits 2015 vor den drohenden Steuerausfällen – genützt hat es nichts. Dem Bund werden damit bis Mitte nächstes Jahr schätzungsweise 900 Millionen Franken an Steuereinnahmen entgangen sein.