Klimaabkommen: Offroader hier, Holzkocher dort
Die Schweiz schliesst als erstes Land bilaterale Klimaabkommen ab, zunächst mit Ghana und Peru. Dort sollen Emissionen kompensiert werden. Ein fatales System, sagen KritikerInnen.
Die Zeremonie Ende Oktober hatte einige Symbolkraft. Bundespräsidentin Simonetta Sommaruga sass vor dem Hintergrund einer Berglandschaft, dazu eine Schweizer und eine peruanische Fahne, neben ihr Botschafter Franz Perrez, zuständig für die internationalen Beziehungen im Bundesamt für Umwelt. Aus der peruanischen Hauptstadt Lima zugeschaltet der Schweizer Botschafter neben der peruanischen Umweltministerin Kirla Echegaray Alfaro; das Blau der Berglandschaft fürs Klima, die Fahnen für die Kooperation, die Videoschaltung als Bekenntnis zu einer Diplomatie, die ohne Flugreisen auskommt.
Simonetta Sommaruga liess sich denn auch mit den Worten zitieren, das soeben geschlossene bilaterale Klimaabkommen diene der Schweiz, es diene Peru – «und vor allem ist es gut fürs Klima». Und weiter, dass dieses Abkommen der Schweiz ermögliche, mit Klimaprojekten in Peru die eigene Klimabilanz aufzubessern, indem man beispielsweise in Bergregionen von Peru 200 000 energieeffiziente Holzkocher einrichte, damit 2 Millionen Tonnen CO2 eingespart und der Schweiz gutgeschrieben werden könnten; Ziel sei es, inskünftig mit solchen Abkommen im Ausland 30 bis 35 Millionen Tonnen CO2 zu kompensieren, sie würden dann der inländischen Klimabilanz angerechnet.
Nur wenige Wochen später unterzeichnete die Schweiz ein ähnliches Abkommen mit Ghana. Auch in Ghana sollen holzsparende Kocher gefördert werden, weiter Solaranlagen und Projekte zur Installation von LED-Leuchtmitteln, und auch diese Ersparnisse an CO2 will sich die Schweiz auf die eigene Klimabilanz anrechnen lassen.
Internationale Verwunderung
Was der Bundesrat als bahnbrechend bezeichnet, löste international Verwunderung aus. Megan Darby, Chefredaktorin von climatechangenews.com und eine prominente Stimme in der internationalen Klimabewegung, etwa schrieb, der Vertrag mit Peru führe ironischerweise dazu, dass «Schweizer BMW-Fahrer für Elektrobusse in Lima bezahlen»; das Abkommen sei eine Lizenz, in der Schweiz «weiterhin übermotorisierte Autos zu fahren».
Die 35 Millionen Tonnen CO2, die im Ausland kompensiert werden sollen, kommen aus Schweizer Benzin- und Dieseltanks. Die Logik des Abkommens: Statt hierzulande den Verbrauch von Treibstoffen zu reduzieren, soll mit geförderten Projekten der CO2-Ausstoss in Ländern wie Ghana und Peru sinken. Die Aufgabe, dies zu organisieren, fällt gemäss geltendem CO2-Gesetz der Stiftung Klimaschutz und Kompensation (Klik) zu.
Benzinlobby am Drücker
Die Klik ist eine Gründung der früheren Erdölvereinigung (heute Avenergy), des Branchenverbands der Benzin- und Dieselverkäufer. Seit 2013 sind diese gesetzlich verpflichtet, 1,5 Rappen pro verkauftem Liter Treibstoff für Kompensationsprojekte einzusetzen. Die Mitverursacher des Treibhausgasausstosses bestimmen also selber, was mit den von ihnen erhobenen Geldern passiert.
Bislang kompensiert die Klik gerade einmal fünf Prozent im Inland, etwa mit Gebäuderenovationen oder Projekten in der Landwirtschaft; den Rest kompensiert die Stiftung mit Projekten im Ausland und mit dem Aufkauf von Zertifikaten; auch künftig sollen «höchstens zehn Prozent der Emissionen im Inland» kompensiert werden, verkündet die Klik in einem Video, denn die Kompensation im Ausland sei günstiger.
Die Klik ist Produkt eines erfolgreichen Lobbyings der Automobil- und Mineralölbranche. Als in den nuller Jahren der Ruf nach einer Lenkungsabgabe auf Treibstoffe laut wurde, gelang es der Branche anfänglich, mit einer freiwilligen Kompensation – dem «Klimarappen», gesetzliche Bestimmungen zu verhindern; dazu wurde die Stiftung Klimarappen gegründet, die Vorgängerorganisation der Klik. Jahrelang hat der Klimarappen als Argument gedient, um Benzin und Diesel nicht mit einer gesetzlichen CO2-Abgabe zu belegen und die Schweizer Klimabilanz zu schönen. 2013 dann wurde diese bescheidene freiwillige Abgabe gesetzlich verankert.
Von einer Lenkungswirkung, die durch einschneidende Verteuerung den Verbrauch reduzieren soll, kann bei 1,5 Rappen allerdings keine Rede sein. Anders bei den Brennstoffen wie Heizöl: Da ist seit 2008 ein Mechanismus in Kraft, bei dem die Abgabe kontinuierlich ansteigt, um den Verbrauch effektiv zu reduzieren; das eingenommene Geld wird an die Bevölkerung zurückverteilt. Auch die aktuelle Neufassung des Gesetzes, gegen das die Branche das Referendum ergriffen hat, sieht keine Lenkungsabgabe vor, aber mit maximal 12 Rappen pro Liter Treibstoff immerhin eine höhere Kompensation. Das ist jedoch immer noch viel zu wenig, um Benzin- und Dieselautos unattraktiv zu machen und alternative Verkehrsmittel zu fördern; dafür wären mindestens 20 bis 50 Rappen pro Liter erforderlich.
Ein zu geringer Preisaufschlag auf Benzin und Diesel motiviert AutofahrerInnen also nicht zum Umsteigen, führt zu keiner effektiven Reduktion des CO2-Ausstosses im Verkehr; aber weil nach wie vor viel Benzin und Diesel verkauft wird, flutet der geringe Preisaufschlag die Kasse für Kompensationsmassnahmen im Ausland. So kann das Geschäft von Avia, BP, Shell und Konsorten wie geschmiert weiterlaufen – ein Perpetuum mobile nach Schweizer Art.
Weitere Abkommen in der Pipeline
Mischa Classen, bei der Klik zuständig fürs Ressort Ausland, weist Kritik an ihrem – auf Kompensationen im Ausland fokussierten – Ansatz zurück. Der Stiftungsrat, ausschliesslich mit Vertretern der Mineralölgesellschaften besetzt, stehe für ein klares Bekenntnis zur «Transformation» der Energiesysteme in Peru und Ghana ein. Man werde «keine Öfen über der Kalahari abwerfen», sondern eine Garantie abgeben, dass in diesen Ländern mit Klimaschutzmassnahmen eine effektive, messbare Reduktion des CO2-Ausstosses erreicht werde. Das funktioniert natürlich nur, wenn in der Schweiz weiterhin viel Auto gefahren wird.
Georg Klingler, bei Greenpeace Schweiz zuständig für Klimapolitik, sieht das Problem allerdings nicht in erster Linie bei der Klik, sondern bei der Politik, die letztlich die klimapolitischen Leitlinien festlegt. Die beiden Abkommen seien nicht mehr als die Fortsetzung der bisherigen Politik mit anderen Mitteln, nämlich «die Akteure, die das Klima schädigen, für selbstverantwortlich zu halten».
Botschafter Franz Perrez verneint. Ziel sei gemäss Pariser Klimaabkommen nicht, dass die Schweiz «mit Aktivitäten im Ausland die Mängel in der Klimapolitik im Inland kompensieren darf».
Schon bald will die Schweiz mit mindestens zehn weiteren Ländern ähnliche Abkommen schliessen; auf der Liste stehen der Senegal, Marokko, Thailand, Mexiko, Chile und Argentinien.