Pop: Musikgeschichte verkabeln
Jedes Soundschnipsel, das Madlib hier in Szene setzt, wird zur Perle. Zum Beispiel die verworrenen Bläserfiguren aus einem Experimentalstück von Anfang der achtziger Jahre, die im Track «Loose Goose» über einem schroff stampfenden Dancehall-Beat flirren. Oder die mehrstimmigen Soulsamples in «Road of the Lonely Ones», die der messerscharfe Breakbeat ungestört schwärmen lässt. In «Dirtknock» reiben sich am Beat die Echos von Post-Punk-Gitarren. Und die Vocal Line in «The Call» wird im Loop zur hymnischen Beschwörung; die Bassline dazu klingt plötzlich unglaublich heavy – kaum zu glauben, dass sie so etwas in den Sechzigern schon hatten.
Das ist Samplingkunst vom Feinsten, was der US-Hip-Hop-Produzent Madlib auf seinem aktuellen Album «Sound Ancestors» macht – Hip-Hop in seiner essenziellen Funktion, die Archive Schwarzer Musik durch Schlaglichter und neue Verbindungen immer wieder neu zu beleben. Bekannt wurde Madlib als Produzent für Musiker wie den kürzlich verstorbenen MF Doom oder Freddie Gibbs, er ist aber auch selber Rapper und spielt zahlreiche Instrumente. «Sound Ancestors» ist eins seiner raren Soloalben.
Darauf übernimmt ein weiterer Samplingmeister die Rolle von Madlibs Gegenspieler: der Londoner Produzent Kieran Hebden, der als Four Tet elektronische Musik veröffentlicht. Die genaue Arbeitsteilung zwischen den beiden ist unklar; Madlib soll Hebden Hunderte Stücke aus seiner riesigen Plattensammlung geschickt haben, worauf Hebden diese ordnete und eine Auswahl traf. An manchen Stellen ist die Handschrift von Four Tet zu hören, etwa in den sonnigen Gitarren und den verzogenen Stimmsamples in «Hopprock».
Madlibs Produktionsstil wiederum zeichnet sich dadurch aus, dass er die Samples oft kaum bearbeitet, wenn er sie zusammenfügt, und dass er auch ihre spezifische Klangfarbe beibehält: als wollte er verschiedene Momente der Musikgeschichte direkt miteinander verkabeln, anstatt sie sich einfach anzueignen.
Madlib: Sound Ancestors. Madlib Invazion. 2021