MigrantInnen in Malaysia: Interniert bei rohem Reis und blutigem Poulet

Nr. 16 –

Der Palmölanbau in Malaysia ist nicht nur ein ökologisches Desaster – unter die Räder geraten auch die meist indonesischen PlantagenarbeiterInnen.

Malaysias gigantische Palmölindustrie würde ohne Papierlose zusammenbrechen: Palmölmühle im Bundesstaat Sabah. Foto: Giles Clarke, Getty

Sabah ist berühmt für seine Strände, Regenwälder, Korallenriffe und eine höchst artenreiche Tierwelt, von der ein grosser Teil in weitläufigen Naturschutzgebieten lebt. Die Schattenseite des an der Nordspitze der Insel Borneo gelegenen malaysischen Bundesstaats ist jedoch die Abholzung der Regenwälder – um Platz zu schaffen für Ölpalmenplantagen. In den Plantagen schuften unter schwierigsten Bedingungen etwa eine Million MigrantInnen, die fast alle aus Indonesien stammen. Malaysia ist nach Indonesien der weltweit grösste Palmölproduzent, rund ein Viertel der Schweizer Palmölimporte stammt von dort. Derzeit laufen Verhandlungen über einen Freihandelsvertrag zwischen der Schweiz und Malaysia – die Palmölfrage dürfte in einem allfälligen Abstimmungskampf ähnlich kontrovers diskutiert werden wie beim im März knapp angenommenen Freihandelsvertrag mit Indonesien.

Die Palmölbranche ist nicht nur verantwortlich für ein ökologisches Desaster, sondern auch ein Hotspot für Menschenrechtsverletzungen. Die Koalisi Buruh Migran Berdaulat (KBMB), ein Zusammenschluss indonesischer Menschenrechtsorganisationen, veröffentlichte vor sechs Monaten einen Bericht zur Situation der indonesischen ArbeiterInnen auf Malaysias Plantagen – mit Fokus auf die Bedingungen in staatlichen Internierungslagern für verhaftete illegalisierte MigrantInnen in der Provinz Sabah. Der Bericht wird dieser Tage von der NGO Solidar Suisse, die an der Recherche beteiligt war, auf Deutsch publiziert.

Nach der Haft in den Block

Ein gesetzliches Quotensystem für migrantische ArbeiterInnen auf Ölpalmenplantagen in Sabah schafft perfekte Bedingungen für Ausbeutung: Jede Firma darf legal nur eine ausländische Arbeitskraft pro acht Hektaren beschäftigen. Das reicht aber nicht aus. Also werden papierlose ArbeiterInnen angeheuert, die dann der Willkür von Behörden und Polizei ausgeliefert sind. Wer ohne Arbeitserlaubnis erwischt wird, wird festgenommen, von Schnellgerichten abgeurteilt und landet nach Verbüssung der Haftstrafe in einem «Temporären Internierungszentrum» (PTS), wo die Betroffenen oft monatelang auf ihre Ausschaffung nach Indonesien warten müssen.

Zwischen September 2020 und Januar dieses Jahres waren die Abschiebungen wegen Corona ausgesetzt worden. Das bedeutete durch den verlängerten Aufenthalt in den Lagern zusätzliches Leid, das wiederum durch Coronaschutzmassnahmen noch verschärft wurde. Sie seien regelmässig mit Desinfektionsmittel besprüht worden, ohne ihre Kleidung wechseln zu dürfen, sagte eine Frau den AutorInnen des Reports. «Wir wurden angewiesen, die Kleider am Leib trocknen zu lassen. Die Beamten sagten uns, das sei zur Abtötung aller Erreger notwendig.»

«In dem PTS waren zehn lang gestreckte Blocks von jeweils etwa zehn mal fünfzehn Metern. In jedem Block waren mehr als 200 Menschen untergebracht, und in jedem Block gab es nur drei Plumpsklos», sagte ein Betroffener gegenüber der von Solidar Suisse unterstützten KBMB. Kranke hätten keine Medikamente bekommen, sondern seien einfach in einen anderen Block verlegt worden. Andere berichteten: «Das Essen in den PTS kam oft roh, das Poulet war noch blutig, der Reis war ungekocht oder abgestanden …» Ein Kind erzählt: «Ich wollte einmal duschen, aber es kam kaum Wasser. Oft gab es bis zu drei Tage lang kein Wasser.»

Auf malaysischer Seite hat sich in den knapp sechs Monaten seit Veröffentlichung des Berichts an der Situation in den PTS nichts geändert. «Ein Grund könnte in der Rückübertragung der Zuständigkeit vom Verteidigungsministerium an die Einwanderungsbehörden und damit verbundenem Kompetenzgerangel liegen», sagt Fahmi Panimbang, einer der Autoren des Reports, am Telefon. Eine weitere Ursache sieht der indonesische Mitarbeiter von Solidar Suisse in der gegenwärtigen politischen Lage Malaysias. Im Februar 2020 brachte eine Allianz nationalistisch-islamischer Politiker die Reformregierung von Premierminister Mahathir bin Mohamad zu Fall. Der neue Premierminister Muhyiddin Yassin regiert seitdem mit einer hauchdünnen Mehrheit. Aktuell befindet sich Malaysia in einer aufgeheizten Vorwahlkampfstimmung in Erwartung von vorgezogenen Neuwahlen noch in diesem Jahr.

Fremdenfeindliche Stimmung

Rund zwei Millionen reguläre MigrantInnen sind in der malaysischen Wirtschaft beschäftigt. Hinzu kommen nach Schätzungen der Internationalen Organisation für Migration bis zu vier Millionen undokumentierte ArbeiterInnen aus Ländern wie Indonesien, Nepal, Bangladesch, Myanmar und den Philippinen. Um die Rechte beider Gruppen ist es aber schlecht bestellt, und beide werden diskriminiert.

Seit Ausbruch der Coronapandemie werden MigrantInnen der Verbreitung von Covid-19 bezichtigt, nachdem immer wieder enge und überfüllte Behausungen zu Coronahotspots wurden. Für weltweite Schlagzeilen und eine noch fremdenfeindlichere Stimmung sorgte im Januar 2021 ein Superspreader-Event bei Top Glove, dem weltweit grössten Hersteller von Latexhandschuhen in der Nähe von Kuala Lumpur. Zum Ausbruch kam es in den überfüllten und menschenunwürdigen Unterkünften der hauptsächlich ausländischen ArbeiterInnen. Malaysias Regierung hat inzwischen mehrere Ermittlungsverfahren gegen Top Glove eingeleitet.

Am 24. Februar wurden 1086 MyanmarInnen in ihr Heimatland deportiert, obwohl dort die Armee mit blutiger Gewalt den Widerstand gegen den Putsch vom 1. Februar niederzuschlagen versucht – und obwohl ein malaysisches Gericht zuvor die Aussetzung der Ausschaffungen angeordnet hatte. Das malaysische Menschenrechtskomitee Suhakam wiederum forderte Anfang April dieses Jahres die Regierung auf, endlich den Untersuchungsbericht über die weitverbreitete Zwangsarbeit in der Baubranche zu veröffentlichen.

Andrew Hall, ein prominenter Aktivist für die Rechte von MigrantInnen in Asien, ist von den Verhältnissen bei Top Glove, in der Bauindustrie oder den Internierungszentren für die irregulären MigrantInnen der Ölpalmenplantagen nicht überrascht: «Meiner Ansicht nach gehört der Umgang mit Migranten in Malaysia zu den schlimmsten der Welt. Die Verletzungen ihrer Rechte sind weitverbreitet, systemisch und bleiben straflos», sagt der Brite auf Anfrage. Und auch die Arbeit von AktivistInnen gestaltet sich in Malaysia schwierig: «Unsere lokalen Partner in Sabah müssen sehr vorsichtig agieren», sagt Fahmi Panimbang. Sie seien im Visier der Behörden und der Palmölkonglomerate wie des malaysischen Konzerns Sime Darby. «Sime Darby ist sehr mächtig und agiert in Sabah sehr repressiv.»

Positiveres hat Panimbang über die indonesische Seite zu berichten. Zwar sei auch Indonesien für MenschenrechtlerInnen ein sehr schwieriges Pflaster, aber «im Vergleich zu Malaysia können wir in Indonesien freier agieren». Auch viele indonesische Palmölfirmen würden inzwischen auf die wachsende Ablehnung von Palmölprodukten auf den westlichen Märkten reagieren. «Der Grosskonzern Sinar Mas etwa hat uns zu Gesprächen über die Verbesserung der Rechte der Arbeiter eingeladen. Sie wollen nicht den Zugang zu den Märkten in den USA und der EU verlieren.»

Die Ausschaffungen irregulärer ArbeiterInnen aus den PTS in Sabah nach Indonesien nehmen derweil wieder Fahrt auf. Panimbang weiss: «Noch in diesem Monat sollen drei Gruppen von je 150 Arbeitern deportiert werden.»