Frankreich: Staatsstreich in Pantoffeln
Wenn zwanzig pensionierte Generäle und Hunderte SoldatInnen in einem offenen Brief den Zerfall Frankreichs beklagen und indirekt mit einem Staatsstreich drohen, dann klingt das erst einmal wie ein schlechter Scherz. Marine Le Pen aber begrüsste den Aufruf als Teil einer «Schlacht für Frankreich». Es sei die Pflicht jedes französischen Patrioten, das Land zu retten, sympathisierte die Parteichefin des rechtsextremen Rassemblement National ganz unverhohlen mit der Drohung der Militärs. Wenig verwunderlich, dass einige der unterzeichnenden Generäle ihrer Partei nahestehen.
Das Datum der Veröffentlichung hätte symbolischer nicht sein können: Am 21. April, genau sechzig Jahre nach dem gescheiterten Putschversuch gegen den damaligen Präsidenten Charles de Gaulle, erschien in der rechtskonservativen Zeitschrift «Valeurs actuelles» ein Brief an Staatsoberhaupt Emmanuel Macron. Die über 1500 UnterzeichnerInnen sehen das Land durch die «Horden aus der Banlieue» und den politischen Islam in Gefahr. Sie kündigten eine Mission «zum Schutz der zivilisatorischen Werte und zur Rettung der Mitbürger auf dem nationalen Territorium» an, sollte politisch nichts unternommen werden. Verteidigungsministerin Florence Parly bezeichnete die Aktion zunächst als Träume von «Achtzigjährigen in Hausschuhen». Mit Verzögerung holte die Regierung dann zum Gegenschlag aus, Parly kündigte Sanktionen für die noch im Militär aktiven UnterzeichnerInnen an, und auch der Hohe Militärrat soll sich mit der Angelegenheit befassen.
Dass der amtierende Staatschef beim Militär keinen guten Ruf geniesst, ist seit langem bekannt. Zum einen, weil er Frankreichs Rolle als Kolonialmacht stärkerer Kritik unterzogen hat als mancher seiner Vorgänger. Zum anderen entliess er zu Beginn seiner Amtszeit Generalstabschef Pierre de Villiers, der zuvor seine Verteidigungspolitik kritisiert hatte. Keine Liebesbeziehung zwischen Macron und den Streitkräften also, sondern eine Zwangsehe.
Immerhin streben jetzt Linke und Grüne Ermittlungen gegen die UnterzeichnerInnen wegen «Gefährdung der Republik» an. Was zunächst einmal beruhigend klingt, darf nicht darüber hinwegtäuschen, dass Macron seit Monaten verzweifelt versucht, die rechte Flanke zu besetzen. Vor allem das Thema der inneren Sicherheit ist hitzig aufgeladen. Der frühere Mitte-links- und mittlerweile liberale Politiker hat während des anhaltenden Ausnahmezustands, zwischen der strauchelnden Coronapolitik und der bestehenden Gefahr durch islamistischen Terror, selbst viele demokratische Prinzipien missachtet. Sei es mit den starken Freiheitseinschränkungen im Zuge der Pandemie oder durch das Antiterrorgesetz, mit dem die Regierung den politischen Islam mit mehr Überwachungsmechanismen bekämpfen will. Die harte Hand zeigte sich auch in der ausufernden Polizeigewalt während der Gelbwestenproteste und in den Vorstädten. So ist die derzeitige Regierung nicht die beste Besetzung, um nun auf die Demokratie und die Verfassung zu verweisen.
Dennoch ist es unwahrscheinlich, dass diese aufrührerische Attacke auf Macron dazu führt, dass die Armee das Ruder übernimmt. Zwar gibt es in der Truppe einen überproportionalen Anteil an Le-Pen-WählerInnen, die von einem starken Staat träumen. Doch bis auf eine Handvoll BürgermeisterInnen hat das Rassemblement National wegen des Mehrheitswahlrechts keine bemerkenswerte politische Macht – andere ernst zu nehmende Verbündete in staatlichen Schlüsselpositionen hat das Militär nicht.
So bleibt diese Androhung trotz des Jubels von rechts aussen zunächst ein symbolischer Akt. Trotzdem sollte der Brief der Regierung eine Warnung sein. Laut Umfragen wird es bei den nächsten Wahlen 2022 wie schon 2017 zu einer Stichwahl zwischen Macron und Le Pen kommen. Wo der gesellschaftliche Kitt verloren geht, werden extreme Positionen lauter. Es verschiebt sich die Deutungshoheit über die herrschenden Zustände, die in diesen unruhigen Zeiten immer unübersichtlicher werden.