Regierungsbildung in Frankreich: Feindbilder nach links, Inhalte nach rechts

Nr. 39 –

Frankreichs neue Regierung rückt trotz des Wahlsiegs der Linken weiter nach rechts. Damit verschieben sich politische Inhalte gefährlich zugunsten der extrem rechten Marine Le Pen.

Zusammenkunft des neuen französischen Kabinetts
Such den Linken mit der Lupe: Zusammenkunft des neuen französischen Kabinetts am Montag in Paris. Foto: Jeanne Accorsini, Imago

Sie steht. Endlich, möchte man sagen und aufatmen. Denn nachdem Emmanuel Macron wochenlang in die Olympiaeuphorie abgetaucht war und seine Landsleute im Ungewissen gelassen hatte, präsentierte der von ihm Anfang September ernannte neue Premierminister Michel Barnier nun seine 39-köpfige Regierungsmannschaft. Mit Betonung auf «-mann-»: Die Truppe um den 73-jährigen Politiksenior Michel Barnier wahrt nur auf den ersten Blick Geschlechtergerechtigkeit. Die wichtigen Posten sind fast ausschliesslich mit Männern besetzt. Die französische Presse spricht bereits von Macrons «Boys Club».

Fast noch verheerender ist, dass nur ein einziger linker Politiker, Didier Migaud als Justizminister, im neuen Kabinett sitzt. Und das, obschon das linke Bündnis Nouveau Front populaire (NFP) die im Juli von Macron anberaumten Parlamentswahlen gewonnen hat.

Ein Gestriger für das Morgen

Mit Michel Barnier stellen ausgerechnet Les Républicains (LR) den neuen Regierungschef. Jene Partei, die durch interne Querelen und Personalrangeleien schon ins Lächerliche abgedriftet war und bei den Wahlen abgeschlagen auf dem vierten Platz landete. Nun reiben sie sich verwundert die Augen, denn plötzlich sind sie die Retter der «Macronie» und dürfen inhaltlich auch noch die Politik der neuen Regierung mitgestalten. Die läuft auf ein «Weiter so» von Macrons liberaler Wirtschaftspolitik hinaus und auf ein «Weiter nach rechts» bei gesellschaftlichen Fragen wie der Migration.

Die Linke sieht darin nicht weniger als einen Staatsstreich. Die vom Linksbündnis vorgeschlagene und von Macron im Namen der «institutionellen Stabilität» abgelehnte Kandidatin Lucie Castets kritisierte neben den reaktionären Ideen des neuen Premiers auch das verheerende demokratische Signal dieser eklatanten Missachtung des Wähler:innenwillens.

Barnier statt Castets: Härter hätte der Kontrast zwischen den zwei Seiten Frankreichs kaum sein können. Auf der einen Seite die 37-jährige Spitzenbeamtin, die in ihrer Karriere gegen Lobbyismus, Geldwäsche und rechtsextreme Auswüchse vorging, stets im Dienste des Staates, dazu mit einer Frau verheiratet und Teil einer Gruppe von Frauen, die für eine junge, progressive Politiker:innengeneration steht.

Auf der anderen Seite Michel Barnier, ein Politiker der alten Schule, der Regierungserfahrung unter den konservativen Präsidenten Jacques Chirac und Nicolas Sarkozy vorweisen kann und der zweimal EU-Kommissar in Brüssel sowie Verhandlungsführer beim Brexit war. Einer aber auch, der sich als Lobbyist nicht immer rühmlich hervorgetan hat, der gegen die «Ehe für alle» und gegen die Kostenübernahme von Kinderwunschbehandlungen für gleichgeschlechtliche Paare gestimmt hat.

Front gegen links

Was ist von der neuen Regierung zu erwarten? Wohl eine Melange aus den politischen Vorstellungen Macrons und Marine Le Pens, der starken Figur des rechtsextremen Rassemblement National. So ist der neue Innenminister, Bruno Retailleau, ein ausgewiesener Hardliner, während das Macron-Lager im Wirtschafts- und Finanzressort zum Zug kommt. Ungeliebte Reformen wie das neue Rentensystem oder die Liberalisierung der Steuerpolitik werden entgegen den Forderungen der Linken folglich unangetastet bleiben.

Die jetzige Regierung ist auch ein Ausdruck davon, dass sich Macron geirrt hatte, als er im Juli neue Wahlen ausrief. Er hatte eigentlich damit gerechnet, dass die Rechtsextremen die Wahlen gewinnen, in die Regierungsverantwortung müssen und sich selbst entzaubern. Nach dem Wahlsieg des linken Bündnisses musste ein neues Narrativ her: Sie, die siegreiche Linke, stelle in Wahrheit eine Gefahr für das Land dar. Macron hatte in den letzten Jahren bei verschiedenen Wahlen die republikanische Front beschworen, die Brandmauer gegen Le Pen. Viele Linke gaben ihm wieder und wieder und mehr als widerwillig ihre Stimme. Nun hat er eine bürgerlich-rechte Front gegen links geschmiedet, hat Feindbilder nach links und politische Inhalte nach rechts verschoben. Macronismus und Lepenismus sind einander näher als je zuvor. Und die Republik kann nur den Atem anhalten.