Durch den Monat mit Miriam Davoudvandi (Teil 1): Ist Hip-Hop neoliberal?

Nr. 22 –

Miriam Davoudvandi hat sich als aufstrebende Musikjournalistin in Deutschland einen Namen gemacht. In der männerdominierten Hip-Hop-Szene bringt sie immer wieder emanzipatorische Anliegen zur Sprache – und scheut sich nicht, diese kritisch zu reflektieren.

«Im Hip-Hop wird nicht nach unten getreten»: Miriam Davoudvandi.

WOZ: Frau Davoudvandi, Sie gelten innerhalb der deutschsprachigen Rapszene, die Journalisten und Journalistinnen gegenüber eher kritisch eingestellt ist, als äusserst glaubwürdig. Wie haben Sie das geschafft?
Miriam Davoudvandi: Ist das so? Ich nehme in meiner Arbeit die Menschen, denen ich begegne, ernst – ohne sie auf ein Podest zu stellen. Ich bin zwar auch selbst Fan der Künstler und Künstlerinnen, die ich interviewe oder porträtiere, aber ich sehe sie halt in erster Linie einfach als Menschen. Ich denke, es kommt mir zugute, dass ich selbst durch meine älteren Brüder und das Musikfernsehen sehr früh mit Hip-Hop in Berührung gekommen bin und mit dieser Subkultur sozialisiert wurde.

Inwiefern kommt Ihnen das zugute?
Hip-Hop hat seine eigenen Codes, Sprech- und Verhaltensweisen. Ich muss mich diesbezüglich in einem Interview mit einem Rapper nicht verstellen, sondern kann sein und sprechen, wie ich auch wirklich bin. Ich fühle mich in diesen Momenten auch viel wohler als in einem akademischen Umfeld, wo ich meine Sprache und mein Verhalten noch eher anpassen muss. Als migrantische Person in Deutschland ist für mich das Codeswitching im Alltag so oder so mein täglich Brot. Da bin ich schon sehr froh, wenn ich Menschen interviewen kann, ohne mich dabei verstellen zu müssen.

Die Hip-Hop-Szene wird von den Mainstreammedien gern als sexistisch, frauenfeindlich und konservativ kritisiert.
Es gibt Themen wie Rassismus, wo die Hip-Hop-Szene dem gesellschaftlichen Diskurs weit voraus ist. Ich würde auch nicht sagen, dass diese Subkultur sexistischer ist als die Gesamtgesellschaft.

Aber ja: Das Problem ist immer noch vorhanden. Die Hip-Hop-Bewegung ist eine grosse Familie, und da gibt es eben auch den einen Onkel oder den einen Cousin, der in gewissen Themen rückständig denkt. Ich fühle mich als Teil dieser Bewegung und versuche, das Gespräch zu suchen und den Leuten zu erklären, dass es falsch ist, unterdrückerische Verhaltensweisen zu reproduzieren. Ich habe festgestellt, dass das oft mehr bringt, als Menschen an den Pranger zu stellen. Aber klar: Es gibt auch die Unbelehrbaren, bei denen auch das nichts bringt.

Sie haben in den letzten Jahren immer wieder feministische Anliegen in den Diskurs der deutschen Rapszene eingebracht und den Sexismus in den Texten angesprochen. Tut sich da was?
In den letzten Jahren sind Frauen in der deutschen Hip-Hop-Szene endlich sichtbarer geworden, etwa Shirin David, Badmómzjay oder Layla. Auch und vor allem deswegen werden diese Themen nun schon deutlich mehr besprochen und reflektiert. Wir machen kleine Schritte, aber wir machen Schritte. Ich persönlich würde mir mehr Unterstützung von den männlichen Akteuren wünschen.

Fühlen Sie sich als politischer Mensch in der Hip-Hop-Szene manchmal alleine?
Nein, das gar nicht. Es gibt sehr viele Rapper und Rapperinnen, die immer wieder explizit und implizit Flagge zeigen wie beispielsweise Ebow. Aber es gibt genauso Superstars wie Haftbefehl oder Capital Bra, von denen viele Menschen ein politisches Statement nicht erwarten würden. Was ich mir manchmal ein wenig mehr wünsche, ist eine Kritik an strukturellen Mechanismen von Unterdrückung. Oft wird diese Kritik aus persönlicher Sicht gemacht – was ich auch wichtig und richtig finde –, aber es braucht eben auch eine Kritik an den Strukturen.

Repolitisiert sich die Hip-Hop-Bewegung im Zuge der Klima-, der LGBTIQ- und der antirassistischen Bewegung?
Es führt aktuell kein Weg daran vorbei. Ich denke schon, dass diese Themen auch viele Akteure und Akteurinnen der Hip-Hop-Szene beschäftigen. Was mir in vielen Gesprächen auffällt: Es gibt viele, die ein wenig Angst haben, ihre Gedanken zu formulieren. Viele der genannten Rapper und Rapperinnen kennen Ausgrenzung aus ihrer eigenen Biografie – aber sie drücken sich auf eine andere Weise aus, als es in den gesamtgesellschaftlichen Debatten zu diesen Themen getan wird.

Ein Grundpfeiler der Hip-Hop-Kultur ist der Competition-Gedanke. Es geht also auch darum, sich in Tanz- und Rapbattles mit anderen zu messen. Hat das nicht auch etwas Neoliberales an sich?
Ja, in der Hip-Hop-Kultur gibt es diesen Wettbewerbsgedanken. Im Vergleich zum Wettbewerbsgedanken im Neoliberalismus gibt es in den Battles klare Regeln, die Teilnehmenden messen sich auf Augenhöhe – und sehr wichtig: Sie haben selbst entschieden, an diesem Wettbewerb teilzunehmen. Insbesondere bei Rapbattles stehen sich zwei Gegner oder Gegnerinnen rein mit Worten gegenüber und messen sich über Schlagfertigkeit, Wortwitz und über ihre Performance. Und es gibt eben einen ganz wichtigen Unterschied zum neoliberalen Verständnis von Wettbewerb: Es wird nicht nach unten getreten. Die Hip-Hop-Kultur steht genau für das Gegenteil.

Miriam Davoudvandi (29) lebt in Berlin. Als Musikjournalistin interviewt sie regelmässig die bekanntesten Musikerinnen und Musiker des Landes – und konfrontiert sie dabei immer wieder mit gesellschaftlichen Missständen.