Durch den Monat mit Miriam Davoudvandi (Teil 3): Was ist eigentlich Ihre Identität?
Sie ist jung, sie ist Migrantin und als Tochter einer Arbeiterfamilie im Schwarzwald aufgewachsen. Dieser Hintergrund prägt das Leben der deutschen Journalistin Miriam Davoudvandi bis heute.
WOZ: Miriam Davoudvandi, in den letzten Jahren ist innerhalb der Linken eine Diskussion zu beobachten zwischen einer identitätspolitischen Strömung und einem Flügel, der sich vor allem auf Klassenzugehörigkeit beruft. Wie stehen Sie dazu?
Miriam Davoudvandi: Um ehrlich zu sein, beschäftigt mich diese Spannung gar nicht so stark. In der Linken waren und sind solche Auseinandersetzungen ja seit jeher an der Tagesordnung. Sie gehören wohl einfach zum Linkssein.
Was für mich viel mehr zählt, ist die gegenseitige Solidarität. Das sind die Momente, in denen alle gemeinsam auf der Strasse sind – und als Arbeitende zusammenhalten. Mir ist aber auch sehr bewusst, dass es Unterschiede innerhalb der Gruppe der Prekarisierten gibt.
Wo verorten Sie sich selbst in diesem Spannungsfeld?
Ich habe in meiner Jugend und meiner Kindheit unterschiedliche Ausgrenzungserfahrungen aufgrund meiner mir zugeschriebenen ethnischen Herkunft gemacht. Und ganz klar war und bin ich auch als Frau in dieser Gesellschaft den Männern in verschiedenen Bereichen immer noch nicht gleichgestellt. Die einschneidendsten Erfahrungen aber haben sich aufgrund meiner sozialen Herkunft ergeben. Klassenzugehörigkeit war und ist die prägendste Dimension meiner Identität.
Inwiefern hat denn Klassenzugehörigkeit Ihr Leben beeinflusst?
Ich bin im süddeutschen Bad Säckingen an der Grenze zur Schweiz aufgewachsen. Es ist eine sehr aufgeräumte Gegend, viele Menschen leben in ihren kleinen Einfamilienhäusern. Ich hingegen lebte als Tochter einer Arbeiterfamilie unter anderen Umständen, meine Eltern mussten sehr viel arbeiten, um über die Runden zu kommen. Meine Eltern hatten nie den Luxus, das zu tun, was sie wirklich wollten. Sie mussten in erster Linie arbeiten.
In welcher Form haben sich diese Erfahrungen auch auf Ihr eigenes Leben übertragen?
Obwohl ich beispielsweise für eine radikale Änderung unseres gesellschaftlichen Verständnisses von Arbeit bin, ertappe ich mich oft selbst dabei, dass ich mich unwohl fühle, wenn mir Arbeit Spass macht. In meiner Erfahrung ist Arbeit mit Überleben assoziiert. Ich bin selbstverständlich total privilegiert im Vergleich zu meinen Eltern, aber dennoch: Sobald ich auch nur einen Cent verdient habe, habe ich Angst davor, ihn wieder zu verlieren. Diese Erfahrungen haben auf jeden Fall auch psychisch an mir genagt – und sie tun es heute noch.
Welche konkreten Auswirkungen hatten diese Realitäten auf Sie?
Beispielsweise konnten wir uns kein Auto leisten. Das mag jetzt nach einem Luxusproblem klingen, jedoch waren wir aufgrund dieses Fakts in unserer Mobilität stark eingeschränkt – vor allem in dieser ländlichen Schwarzwaldregion, wo man echt einfach ein Auto braucht, um uneingeschränkt am sozialen Leben teilnehmen zu können. Für meine Mitschülerinnen und Mitschüler war es totale Normalität, dass sie zu ihren Hobbys chauffiert wurden und dass die Eltern sie von egal wo abholten. Ich war diesbezüglich immer auf den Goodwill anderer angewiesen.
Diese konkrete Erfahrung lässt mich heute noch davor zurückschrecken, wenn ich das Gefühl habe, ich könnte von jemandem abhängig sein.
Aber Sie haben doch auch selbst einen gewissen Aufstieg vollzogen. Sie sind heute eine renommierte Journalistin. Spüren Sie in Ihrem aktuellen Leben noch immer Klassenunterschiede?
Ganz klar, ja. Einerseits hatte ich beispielsweise so viel finanziellen Druck während meines Studiums in Medien- und Kommunikationswissenschaften, dass ich es nicht abgeschlossen habe. Ich musste nebenbei immer sehr viel arbeiten, um das Studium bezahlen zu können. Diese Doppelbelastung war für mich zu viel, und sie hat eindeutig mit sozialer Herkunft zu tun.
Andererseits stelle ich in meiner täglichen Arbeit Unterschiede zu Menschen fest, die in anderen sozialen Milieus erzogen wurden, die schon als Kinder musisch, sprachlich, künstlerisch gefördert wurden und so einen ganz anderen Zugang zu Kultur hatten.
Macht Sie das wütend?
Um nochmals auf meine Eltern und meine Sozialisierung zurückzukommen: Wir hatten nicht das Privileg, wütend zu sein. Meine Eltern wussten, wenn sie aufmüpfig sind, könnten sie ihre Arbeit verlieren. Daran war ihre nackte Existenz geknüpft. Ich bewundere Arbeitende, die es schaffen, neben der Arbeit an den Wochenenden an Demonstrationen zu gehen, sich zu organisieren und ihre Rechte einzufordern.
Aber ja: Ich selbst fühle immer auch Wut gegenüber den Realitäten unserer Welt. Aber manchmal fühlt sich auch das nach einem Privileg an.
Miriam Davoudvandi (29) lebte bis zu ihrem sechsten Lebensjahr in Bukarest. Dann zog sie zusammen mit ihrer rumänischen Mutter zu ihrem iranischen Vater nach Deutschland. Sie arbeitet erfolgreich als freie Journalistin für verschiedene Medientitel. Auf Twitter und Instagram folgen ihr jeweils Zehntausende.