Wichtig zu wissen: Ein dänisches Zürich

Nr. 22 –

Ruedi Widmer über den «Velodankestag» und Critical Mass

Ich finde den Genderstern die beste der neuen Schreibvarianten, und er ist nicht so schlimm, wie jede zweite Zeitung aus Hinterpfupfikon zurzeit behauptet. Die Sprache verändert sich, angetrieben von der Jugend, der Werbung, den Rechtspopulisten. Altes geht, Neues kommt. Gewisses ist erhaltenswert, anderes kann weg. «Fräulein» sagt man beispielsweise nicht mehr, Männlein aber weiterhin. Eins zu null für den Mann. Und überall schreibt man den Genderstern ja sowieso nicht, beruhigt euch, Männer. Denn Männ*lein mit einem Genderstern würde ja gleichzeitig auch Fräulein bedeuten, deshalb schreibt man Männlein ohne Genderstern. Aber stilistisch schöner wäre ohnehin, Männchen und Frauchen zu schreiben. Oder Herrchen und Weibchen.

Am letzten Freitagabend erlebte Zürich die Velodemonstration Critical Mass mit nur 10 000 Teilnehmer*innen, also nur gut einem 8tel einer durchschnittlichen Coronademo und einem 132stel einer durchschnittlichen Trump-Rally. Die Veloparade war nur mehrere Kilometer lang, und auf der Zürcher Hardbrücke kam der Autoverkehr zum Erliegen, was Blutwallungen in den Führerkabinen auslöste.

Klar, bei Autofahrer*innen habe ich Verständnis für den Ärger, wenns nicht mehr weitergeht, denn Autofahren ist gesetzlich nicht verboten, aber ich meine, es war lehrreich für die Autofahrer*innen zu sehen, welche riesige Masse Velos jeden Tag unterwegs ist, und sie können sich glücklich schätzen, dass die Velofahrer*innen diese Bürde des Platzschaffens auf sich nehmen. Deshalb sollte es einen Tag geben in der Art des Muttertags, einen «Velodankestag». Das klingt fast dänisch, das passt zum Velo. Die rot-grünen Politiker*innen der Autostadt Zürich sollten überhaupt endlich etwas mehr Kopen hagen.

Wir haben jetzt eine Menge Feiertage durchlebt: den 1. Mai (aus dem 19. Jahrhundert) und die Ostern, die Auffahrt, die Pfingsten; also Feiertage aus dem 1. Jahrhundert. Auch die etwas modernere Auffahrtsbrücke war frei, zumindest wurde sie nicht von einer Velodemonstration blockiert. Aber wie schafft es ein neuer Gedenktag wie der Velodankestag noch zum Feiertag? Das ist gar nicht mehr möglich, genau wie Menschen ohne Erbschaft den sozialen Aufstieg nicht mehr schaffen können. Die Bibelfeiertage blockieren alles.

Mir schwebt für den Velodankestag ein frühes Juniwochenende vor, dieses müsste sicher einen Sonntag und einen freien Montag umfassen, und am Freitag davor wäre noch Carfreitag, an dem das Autofahren verboten wäre.

Am Velodankestagsonntag müssen alle Autofahrer*innen allen Velofahrer*innen einen Blumenstrauss schenken und ihnen die Velofahrer*innenwädli küssen, und die vielen Leute, die beides gleichzeitig sind, können sich selbst beschenken mit Blumen, das macht man sowieso zu wenig. Die Veloglocken läuten Sturm und es gibt eine Prozession, velofahrende Priester*innen fahren voraus mit dem Ebenbild der Mutter Velogabel. Mit dabei im Komitee Velodankestag sind bereits der Floristenverband, die Veloläden, die ganze linke Verkehrsschickeria und die Polizei.

Alle Menschen in der Schweiz sollen am Carfreitag und am Velodankestag frei haben. Mit Deutschland wird ein Raserabkommen getätigt; das Riesenland (Merkel, Miele, Stefan Gärtner) verpflichtet sich, alle Schweizer Autofahrer*innen für diese Tage aufzunehmen und die Autobahnen für sie freizuhalten.

Gerade frage ich mich allerdings, ob nicht gerade die Velos schuld sind, dass wir so viele Autos in der Stadt Zürich haben. Würden die Velofahrer*innen nämlich mehr Auto statt Velo fahren, hätte es für die Leute, die jetzt Auto fahren, zu wenig Platz, und diese würden sich vielleicht überlegen, mehr Velo zu fahren. Umverkehrt würde manch einer der heute Velo fahrenden Menschen seine verschüttete Leidenschaft zum Auto wiederentdecken.

Ruedi Widmer schätzt Winterthur für seine vielen Velowege.