TV-Serie «the Underground Railroad»: Die Peitsche überwindet Raum und Zeit

Nr. 23 –

Die Wahrheit erzählen, ohne sich von deren Barbarei verschlingen zu lassen: Das gelingt Barry Jenkins in seiner Serie über die Zeit der Sklaverei in den USA eindrücklich.

Präzise Anweisungen: Regisseur Barry Jenkins, hier mit Hauptdarstellerin Thuso Mbedu (Cora), ist ein Meister atmosphärisch dichter Inszenierung. Foto: Atsushi Nishijima, Amazon Studios, Alamy

Diese Serie ist ein Ereignis. Mit seiner filmischen Interpretation von «Underground Railroad», dem Roman, für den Colson Whitehead 2017 mit dem Pulitzerpreis ausgezeichnet wurde, gelingt Barry Jenkins etwas Unerhörtes: die rückwirkende Bereicherung eines Meisterwerks, die in einem neuen Gesamtkunstwerk mündet. Wo Whitehead die Geschichte der Sklaverei in den USA mit poetisch verknappter Sprache und nur skizzenhaft gezeichneten ProtagonistInnen erzählt und mit späteren Ereignissen historisch verdichtet, breitet der oscarprämierte Regisseur von «Moonlight» (2016) ein atmosphärisches und in Figurenzeichnung wie Dramaturgie komplex gewobenes Panorama der Lebensumstände von Schwarzen zur Zeit der Sklaverei aus.

Aber kann, ja, darf man ein bis heute nachwirkendes Trauma in ästhetischen Bildern aufleben lassen? Mit dieser Frage habe er lange gerungen, sagt Jenkins, es sei ein schwieriger Balanceakt gewesen, die Wahrheit zu erzählen, ohne sich von der Barbarei dieser Wahrheit verschlingen zu lassen. Wahrheit, hier sind sich Autor und Regisseur einig, geht weit über historische Fakten hinaus, auch wenn beide akribische Quellenrecherchen geleistet haben.

«Underground Railroad» erzählt die Flucht der jungen Cora von einer Plantage in Georgia. Jedes Kapitel respektive jede Folge der zehnteiligen Serie spielt in einem neuen Staat und verhandelt einen anderen Aspekt des in der «American institution of slavery» wurzelnden strukturellen Rassismus und der damit verbundenen Gewalt. Eine Gewalt, die sich nicht nur im physischen Zugriff auf den Schwarzen Körper ausdrückt, sondern auch in Geist und Psyche eindringt und zur allgegenwärtigen existenziellen Bedrohung wird. Eine Gewalt, die Whitehead und Jenkins mit ganz unterschiedlichen Stilmitteln verhandeln.

Schmerzhaft hohes Sirren

Ihre brachialste Gestalt zeigt diese Gewalt gleich zu Beginn, als im Verlauf eines festlichen Dinners im Garten der Plantagenvilla wenige Meter nebenan und quasi zur Erquickung der weissen Herrschaft ein entlaufener Sklave ausgepeitscht und schliesslich bei lebendigem Leib verbrannt wird. Whitehead arbeitet mit paradoxer sprachlicher Verknappung, wenn er die dreitägige Tortur nach nur zwei Abschnitten, in denen vor allem die Details des Menüs verhandelt werden, in einem einzigen Satz kulminieren lässt: «Den Zeugen blieben seine Schreie erspart, weil man ihm schon am ersten Tag sein Geschlecht abgeschnitten, es ihm in den Mund gestopft und diesen zugenäht hatte.»

Jenkins dagegen verweigert bis zuletzt eine Nahaufnahme der Folterszene und verlagert das Grauen stattdessen auf eine total überdrehte Tonspur: Die Hiebe der Peitsche übertönen immer wieder das Gespräch am Tisch, sogar ihr Sirren vor dem Aufschlag ist hörbar. Im Moment, in dem die Kamera den Gemarterten dann doch ins Bild rückt, als ihn die Flammen verschlingen, überlagert das Brutzeln der verkohlenden Haut alles. Es hört nicht auf, und als eine neue Einstellung die SklavInnen beim Baumwollpflücken im Feld zeigt, verschmilzt es mit dem Zischen der dürren Pflanzenstauden im Wind und dem schmerzhaft hohen Sirren der Zikaden. Die Gewalt, sie ist omnipräsent.

Aber Jenkins holt sie nur punktuell ins Bild. In South Carolina, der ersten Station von Cora und Caesar, mit dem zusammen sie flieht, scheint sie weit weg. Beide tragen modische bürgerliche Kleider, Cora besucht die Schule und arbeitet in einem Museum, Caesar wird von der Fabrik zum Forschungsassistenten der Griffin Institution befördert, in der sie beide unterkommen. Doch aus der vermeintlichen pastellfarbenen Idylle wächst eine subtilere, perfidere Form des Übergriffs auf den Schwarzen Körper: Unter dem Griffin-Motto, «den Neger in Geist, Körper und Seele zu bessern», werden Schwarze Frauen (zwangs)sterilisiert und Männer bekommen «Vitaminpillen», die ihr «schlechtes Blut» verbessern sollen, sie aber krank machen.

Was die Serie nur antönt, bringt Whitehead im Buch ohne Umschweife auf den Punkt: Schwarze Männer, die an Syphilis erkrankten, werden zur Behandlung ins Krankenhaus beordert, erhalten dort aber nur Zuckerwasser, weil die Ärzte die verschiedenen Entwicklungsstadien einer Syphilis an ihnen studieren wollen. Damit versetzt er die berüchtigte Tuskegee-Studie, die zwischen 1932 und 1972 in Alabama an Schwarzen durchgeführt wurde, in die Zeit der Sklaverei. Ebenso historisch verbürgt sind die über 60 000 Zwangssterilisationen an vorwiegend Schwarzen Frauen zwischen 1907 und 1981, die den Nazis als Vorbild für die «Nürnberger Rassengesetze» von 1935 dienten.

Kein «safe space», nirgends

Assoziationen an die Nazizeit prägen auch Coras nächste Station in North Carolina, wo man Schwarze schlicht ausrotten will: Sie hängen von den Bäumen entlang der Strasse zur Kleinstadt, und Cora wird in einem Dachstock eingesperrt, wo sie mucksmäuschenstill zu sein hat und nur durch ein winziges Guckloch mitbekommt, wie die «Knight Riders», eine Art kapuzenloser Ku-Klux-Klan, rituelle Hinrichtungen und Bücherverbrennungen inszenieren. Eine düstere Szenerie, aus der Jenkins alle Farben bis auf Brauntöne verbannt hat.

Selbst vor der prosperierenden Valentine-Siedlung von befreiten und in Freiheit geborenen Schwarzen, in der Cora in Indiana Unterschlupf findet, macht weisse Gewalt nicht halt. So macht «Underground Railroad» in Buch wie Serie vor allem eines deutlich: Für Schwarze hat es in der Geschichte der USA nie einen «safe space» gegeben. «Aus der Sklaverei können wir uns nicht freikaufen», sagt John Valentine nur Minuten vor Beginn des Massakers im vermeintlich sicheren Hafen, der seinen Namen trägt. «Die Sklaverei wird immer Teil von uns sein.» Jenkins verdeutlicht das mit dem wiederkehrenden, die Ohren malträtierenden Sirren und Aufschlagen der Peitsche, die Raum und Zeit überwindet: Die Narben der Sklaverei sind für alle AfroamerikanerInnen bis heute spürbar.

Und der Regisseur geht noch weiter: Indem er den Sklavenjäger Ridgeway als der Protagonistin Cora ebenbürtigen Gegner zeichnet – als einen von inneren Widersprüchen zerrissenen Charakter – und ihm dramaturgisch viel Raum zugesteht, macht er deutlich, dass diese der US-Gesellschaft inhärente Gewalt auch auf Weisse zerstörerisch wirkt. «Jeden Morgen waren die Hammerschläge seines Vaters auf Metall die Schritte eines Schicksals, das niemals näherkam», heisst es im Roman. Ein Satz, den Jenkins akustisch ummünzt und die Hammerschläge, gepaart mit dem Ticken einer Uhr, zum Begleitsound von Ridgeway werden lässt: eine Zeitbombe, die auch ihrem eigenen Untergang entgegentickt.

Symbol des Schwarzen Widerstands

Was ihn antreibt, ist die Zerstörung dessen, worauf die Hoffnung aller Schwarzen ruht: der «Underground Railroad». Historisch gesehen war dies der Codename für ein geheimes Schleusernetzwerk, das Fluchtrouten für entflohene SklavInnen plante und ihnen Unterschlupf auf dem Weg in den Norden bot. Seine Mitglieder – viele von ihnen ehemalige SklavInnen wie Harriet Tubman, die zwischen 1850 und 1865 rund siebzig Geflüchtete rettete – kannten stets nur die nächste Station, aber nie das ganze Netzwerk. Whitehead und Jenkins verwandeln dieses in eine tatsächliche Untergrundeisenbahn und erheben es zum zentralen Symbol für Schwarzen Widerstandsgeist. Geradezu hyperrealistisch wirken die bis ins Detail liebevoll ausgestatteten Untergrundstationen, Eisenbahnwagen und Tunnelsysteme in der Serie. Einzig in Coras Traum vom zentralen Bahnhof scheint der magische Realismus aus dem Roman auf: eine Art Zwischenwelt, in der Cora auch Caesar wiedertrifft.

«Die Underground Railroad ist grösser als ihre Betreiber», erfährt Cora von Royal, der sie aus den Fängen von Ridgeway befreit, «sie umfasst auch dich.» Kein Wunder, ist der Sklavenjäger geradezu besessen davon, dieses Netzwerk zu finden und zu zerstören. Ob ausgerechnet der Moment, als er endlich den Fuss in einen Tunnelschacht setzt, sein Schicksal besiegelt? Was Whitehead offenlässt, bündelt Jenkins dramaturgisch zum finalen Triumph Schwarzer Selbstermächtigung.

«The Underground Railroad». Regie: Barry Jenkins. USA 2021. Amazon Prime.