LeserInnenbriefe

Nr. 27 –

Regenerative Basisdemokratie

«Extinction Rebellion: Ungehorsam ist berechtigt», WOZ Nr. 25/2021

Danke für die Feststellung, dass ziviler Ungehorsam angesichts der Zerstörung unserer Lebensgrundlagen angebracht ist. Leider wiederholt der Artikel über XR (Extinction Rebellion) wenig fundierte Kritik. Regenerative Kultur ist ein notwendiges Element einer Bewegung, um nicht selber zerstört oder zerstörerisch zu werden. Der Kampf gegen Klimawandel und Artensterben ist nicht esoterisch, und Beten kann lebensverlängernd sein, es ist weder verboten noch schädlich.

XR ist nicht die Bewegung, die alles besser weiss, wir wehren uns einfach gegen das Weiter-so. Der Klimastreik hat mit dem Klimaaktionsplan hervorragend ausgearbeitet, was getan werden muss. Die Antwort der Politik lautet, dass das in der gegebenen Demokratie nicht umsetzbar ist.

Der Vorwurf, dass die Forderung nach BürgerInnenversammlungen für rechte Positionen anschlussfähig sei, ist seltsam. Gerade hat eine Lobby das CO2-Gesetz blockiert, und der Bundesrat wurstelt sich mit Notrecht durch eine Krise. Da braucht es doch Ideen, wie die Demokratie erweitert werden kann. Klar, zufällig ausgewählte Menschen werden nicht «automatisch» für das Allgemeinwohl stimmen. Wenn sie sich aber vertieft mit Problemen und Lösungen auseinandersetzen, dann ist die Chance viel grösser, dass schnell und wirksam gehandelt wird.

XR will keine Menschen ausschliessen oder bekämpfen, wir würden auch Rechtswählende willkommen heissen. Wir pflegen aber eine regenerative, basisdemokratische Kultur und sind nicht offen für faschistische, autoritäre oder menschenfeindliche Verhaltensweisen. Ja, inhaltliche Punkte fehlen. Die Forderung «Act now!» sagt, dass wir alle wissen, was zu tun ist: keine fossilen Brennstoffe verheizen, Naturreservate einrichten, Erhaltung der Artenvielfalt, Klimagerechtigkeit, Fleischwirtschaft reduzieren, keine Gifte in die Umwelt abgeben, keinen Plastik oder Atommüll ins Meer kippen und so weiter. Das ist alles seit mindestens fünfzig Jahren bekannt – wir sollten es tun!

Damit die Menschen diesen enormen Wandel mittragen, bekämpfen wir Diskriminierung und Ungerechtigkeit, indem wir als globales Team zusammenarbeiten.

Richard Blättler, per E-Mail

Entscheidend ist die Frage nach den Akteuren

«Pandemieprävention: Wenn der Mensch die Biosphäre dominiert», WOZ Nr. 25/2021

Der Beitrag weist zu Recht darauf hin, dass die gestiegene Zoonosendynamik auch ökologische Ursachen hat. Neben dem kommerziellen Handel mit Wildtieren und einer intensiveren Landnutzung, die oft mit der Zerstörung von Wäldern verbunden ist, wird die industrialisierte Tierhaltung genannt.

Diese Prozesse befördern nicht nur den Spillover tierischer Erreger; sie beschleunigen auch den weiteren Verlust der Biodiversität. Weil dieser eine wichtige «bremsende» Funktion bei der Ausbreitung von zoonotischen Erregern zukommt, nimmt die Wahrscheinlichkeit globaler Pandemien weiter zu, wenn immer mehr Arten ausgerottet werden. So weit, so richtig.

Die im Text zitierten Wissenschaftler fordern, man müsse, um weitere Pandemien zu verhindern, bei «der Quelle des Problems ansetzen». Doch wo genau liegt diese Quelle? Im zerstörerischen Raubbau des Menschen an der Natur, wie es auch der Titel des Artikels suggeriert? Wohl kaum.

Genauso wie die Politikerinnen und Politiker und weite Teile der Wissenschaft stellt auch der Autor die wirklich entscheidenden Fragen auf dem Weg der Ursachenforschung nicht: jene nach den Akteuren und Strukturen, die diesen Raubbau vorantreiben. Es sind Investmentbanken, Fonds oder Pensionskassen – auch aus der Schweiz –, die entweder ins weiter wachsende globalisierte Fleischgeschäft oder in neue Palmölplantagen und Aufforstungsprojekte investieren. Letzteres wird inzwischen sogar als «grünes», also «gutes» Investment verkauft.

Die treibende Kraft, nach der auch die Finanzakteure handeln, ist die Profitorientierung, der die Unternehmen im herrschenden System unter dem Druck der Konkurrenz folgen müssen. Damit sind zwingend eine Wachstumsdynamik, ein steigender Ressourcenverbrauch und eine Ausbeutung von Mensch und Natur verbunden. Um weitere Pandemien zu verhindern, wäre es also notwendig, zunächst eine Ursachenforschung zu betreiben, die diesen Namen auch tatsächlich verdient.

Mit der Tagung «Resilient Agriculture for Global Health. Nur eine andere Landwirtschaft hilft gegen Pandemien», die am 4. und 5. Juni stattgefunden hat – die WOZ war als Medienpartnerin dabei –, haben wir genau dies versucht. Insofern lohnt sich ein Blick in die umfangreiche Dokumentation der Tagung. Diese ist unter agrarinfo.ch zu finden.

Dr. Eva Gelinsky, semnar.ch (Saatgutpolitik und Wissenschaft), Mitveranstalterin der Tagung

Ohne Ablenkung, höchstens ein Goldfisch

«Fussball: Höchste Konzentration, Meditationsstufe neun», WOZ Nr. 25/2021

Gratulation für diesen Text! Er trifft die Worte, die Poesie: die Geburt des Mysteriums beim 1 : 3 gegen die Niederlande in Fribourg. Der Handballtriumph der St. Galler in Aachen. Ich mag sehr, wie der Autor das alles erzählt, und finde mich in der Beschreibung seines Empfindens. Meditationsstufe zehn. Nur schauen und alles sehen. Ohne Ablenkung. Ganz eintauchen. Höchstens ein Goldfisch!

Seit Jogi Löw Bundestrainer ist, bin ich jedoch gar Deutschland zugetan! Aber ich weiss genau um dieses Mitfreuen an deutschen Niederlagen. Früher war das. Und das Gejammer und die Heuchelei. Sascha Ruefer und der Chefankläger. Dazu findet der Autor genau ins Schwarze: Embolo und Mbabu, die Ruefer verwechselt, nur weil beide Schwarz sind. Unsäglich. Das war jetzt eine erfrischende Morgenlektüre. So lese ich sehr gern über Fussball.

Matteo Schenardi, per E-Mail

Gewaltprävention durch Elternschaftsurlaub

«Femizide in der Schweiz: Alle zwei Wochen», WOZ Nr. 26/2021

Es ist nicht verwunderlich, dass das von einer Männerherrschaft dominierte Parlament sich weigert, den Begriff «Femizid» zu akzeptieren. Von Männern verübte häusliche Gewalt und Femizide wurzeln in patriarchalen Gesellschaftssystemen, in denen weibliche Nachkommen weniger erwünscht waren oder sind.

Daraus resultiert bei Frauen im Erwachsenenleben ein Minderwertigkeitsgefühl verbunden mit dem Bedürfnis, von einem stark scheinenden Mann auserwählt zu werden, sich von ihm besitzen und (bis vor wenigen Jahren gesetzlich verankert) besteigen zu lassen, um die ökonomische Sicherheit nicht zu verlieren. Doch wenn Frauen sich emanzipieren und sich nicht mehr unterwerfen lassen, büsst der Mann seine Machtposition ein, und er erlebt das unerträgliche Gefühl der Ohnmacht.

Um diesem Gefühl zuvorzukommen, droht der Mann mit Gewaltanwendung. Wenn die Frau mit ihrer Forderung nach einer Verhaltensänderung dann beim Mann auf taube Ohren stösst, wählt eine emanzipierte Frau den Abbruch der Beziehung. Und das setzt beim Mann ein verdrängtes Gefühl in Resonanz, nämlich die erste prägende Lebenserfahrung im Patriarchat: eben geboren, von der Mutter getrennt und allein in eine Wiege gelegt worden zu sein und stundenlang vergeblich nach der mütterlichen Nähe zu schreien.

Diese jahrelang aufgestaute Wut auf die Mutter der Kindheit, die sich den gesellschaftlichen Bräuchen zu unterwerfen hatte und das Kind auf Befehl des eifersüchtigen Vaters nicht mit Zuwendung «verzärteln» durfte, ja, dieser mörderische Hass entlädt sich sowohl bei der häuslichen Gewaltanwendung als auch, im Extremfall, im Femizid.

Wenn wir es wirklich ernst meinen mit der Prävention jeglicher Gewalt, so beginnt dies mit der gesellschaftlichen Unterstützung der natürlichen Geburt, Geburtsvorbereitung auch für den Mann und einem Elternschaftsurlaub von einem Jahr.

Willi Maurer, per E-Mail