Extinction Rebellion: Ungehorsam ist berechtigt

Nr. 25 –

Am Dienstag klebten AktivistInnen der Klimaprotestbewegung Extinction Rebellion sich mithilfe von Sekundenkleber mit ihren Händen ans Bundeshaus. Zwei Stunden brauchte die Polizei, bis sie die Protestierenden losgelöst hatte. Die Aktion sei nur ein Vorgeschmack, liessen die «Rebell*innen» verlauten: Im Oktober werde man die Stadt Zürich lahmlegen. Und zwar so lange, bis der Bundesrat die drei Hauptforderungen der Bewegung erfülle. Die AktivistInnen verlangen von der Regierung, dass diese «die Wahrheit über das Ausmass der Klima- und Umweltkatastrophe klar und unmissverständlich kommuniziert». Zudem müsse sie «sofort handeln, um den Kollaps zu verhindern». Und Punkt drei: «Eine Bürger*innenversammlung einberufen, deren Beratungen die dringende Dekarbonisierung des Landes einleiten sollen».

Der Klimanotstand wurde mit dem Nein zum CO2-Gesetz noch unerträglicher. Die Einhaltung der Minimalziele des Pariser Abkommens ist in weite Ferne gerückt, die Schweizer Klimapolitik auf Jahre hinaus blockiert. Den zivilen Widerstand von Extinction Rebellion kann also nur ein Ignorant als alarmistisch oder extremistisch abtun. Dennoch liefert die einst in England von Biobauer Roger Hallam mitgegründete Extinction Rebellion Gründe für Kritik: Sie versteht sich als eine Bewegung «beyond politics», deren Ziel es ist, eine möglichst breite Masse zu mobilisieren. Inhaltlich bieten die RebellInnen wenig: Politische Programmpunkte, ein Modell für ein alternatives System sucht man vergebens. Zudem fiel Hallam, von dem sich Extinction Rebellion inzwischen distanziert hat, durch antisemitische Äusserungen auf.

In der Bewegung schwingt auch Esoterik mit: Sie setzt auf Seminare über «regenerative Kultur», die wenig konkret als «radikal liebender, tiefgehender innerer wie äusserer Wandel» beschrieben wird. Mensch, Gesellschaft und Kultur sollen sich gemäss den Zielen der Bewegung «Stück für Stück weiterentwickeln und verbessern» – auch Gebete und Zeremonien haben bei Extinction Rebellion Platz.

Kern der Strategie ist neben dem zivilen Ungehorsam die Idee der BürgerInnenversammlung. Die Bewegung geht hier weiter als die Grünen, die nach dem Vorbild anderer Länder einen Klimarat vorschlagen, der eigene Vorstösse ins Parlament einbringen könnte. Im Gegensatz dazu wollen die RebellInnen dem angestrebten Bevölkerungsausschuss, der zufällig ausgelost, aber repräsentativ sein soll, mehr Macht geben: «Nur die Mitglieder dieser Bürger*innenversammlung können sich, mit dem Allgemeinwohl im Sinne, beraten und nach bestem Wissen und Gewissen über die notwendigen Veränderungen entscheiden, die uns von unserem tödlichen Kurs abbringen», heisst es in der Aufforderung an den Bundesrat.

Die Idee, dass «einfache BürgerInnen» automatisch für das Allgemeinwohl stimmen würden, dass also in erster Linie die Parteipolitik der Bekämpfung des Klimawandels entgegenstünde, ist nicht nur simplifizierend. Sie macht die Bewegung auch anschlussfähig für rechte Positionen.

Muss man Extinction Rebellion also grundsätzlich ablehnen? Nein. Denn die Grundfrage, die die Bewegung aufwirft, ist aktueller denn je: Wie schaffen wir es, angesichts des Komplettversagens der institutionellen Politik der Dringlichkeit der Klimakrise zu begegnen?

BürgerInnenräte können darauf nicht die absolute Antwort sein, aber ein Baustein: In Frankreich etwa hat sich gezeigt, dass repräsentative und durch ExpertInnen informierte Bevölkerungsgremien zu durchaus griffigen Vorstössen führen. Die RebellInnen können hier wichtige Inputs liefern. Ihre Grundforderung ist zwar radikal, die AktivistInnen arbeiten aber an diversen Umsetzungsvorschlägen, die nicht zwangsläufig die demokratischen Institutionen angreifen.

Wie Extinction Rebellion – wie angekündigt – im Herbst Zürich «lahmlegen» will, bleibt offen. Derzeit fokussiert die Bewegung darauf, möglichst viele RebellInnen zu mobilisieren, die bereit sind, mit dem Einsatz des eigenen Körpers gegen die Klimakatastrophe zu kämpfen. Das grösste Verdienst der Bewegung bleibt, dass sie stört. Und Störung braucht es in der Klimakrise dringend.